„Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“, meinte Fausto, wenn Edda ihn, unsicher geworden, auf solch einen seiner Widersprüche aufmerksam machte. Wenn er diesen Ton anschlug, hatte er seinen gesättigten Erdungsgrad erreicht. Edda beängstigte dieser Satz und dieser Zustand, ebenso wie der Spruch: „Das Leben endet sowieso tödlich.“ Das war nicht Fausto, er wollte provozieren und auch das war nicht er. Sie wollte sich auf ihn verlassen können, ihn anhimmeln dürfen. Das nahm er ihr, wenn er auf diese Weise provozierte oder sich mit Plattitüden brüstete. Edda hatte geahnt, von Anfang an, dass sie sich mit ihrem Anlehnungsbedürfnis an ihm die Zähne ausbeißen könnte, und trotzdem gab sie ihre Art ihn zu lieben nicht auf. Lieber riskierte sie einige Zahnlücken.
Fausto machte seine Arbeit wie nebenbei, er trank und reiste, liebte Edda, wenn auch neuerdings etwas abwesend, und er versank mit Leidenschaft in Sri Aurobindos „Synthese des Yoga“. Täglich, schon bei Tagesbeginn, während Edda noch schlief. Auch wenn es am Abend zuvor hoch hergegangen war, im Morgengrauen hockte er vor diesem Buch. Edda blinzelte manchmal schlaftrunken zum Schreibtisch hinüber, nach ihrem Empfinden las er es aufmerksamer und vor allem inniger als der Papst die Bibel.
Fausto leitete wieder einmal eine seiner Fluchtaktionen ein. Er kam nicht „Mariachis“ singend aus der Dusche, sondern kramte wortlos, mit lautem Gepolter, im Flureinbauschrank nach seiner winzigen Gepäcktasche. Oft nannte er Edda morgens zärtlich, meine Königskobra, wenn sie das Haar zerwühlt, ihn anblickte, er sich paralysiert fühlte und bei ihr bleiben wollte. Er bewunderte mit Furcht das Weibliche, für ihn von Schlangenhaftem durchwoben. Er betrachtete seine Frau gerne und erfand spottende Kosenamen für ihre erstaunlich geformten Füße.
Trotz seines mangelnden Einsatzes für Haus und Hof, Edda war sich sicher angekommen zu sein. Sie würde sich weiter aufrichten um für i m m e r an seiner Seite zu leben. Sie würde ihn nicht wieder davonziehen lassen. Am liebsten würde sie mit ihm verschwinden. Sie könnte sich als Fotografin umschulen lassen und ihn auf allen Recherchen begleiten. Auf allen!
Aber sie lag nur still da, im zerwühlten Morgenbett, wie ein paralysiertes Kaninchen vor dem Geist des Gefressenwerdens. Sie fühlte sich festgeschweißt. Gleich, in der nächsten Sekunde würde der Zug sich in Bewegung setzen, Entfernung schaffen. Sie fand einfach keine Worte, keine Tränen, und sie konnte nicht abspringen, den Zug nicht aufhalten. Sie hörte das Schuften der Lokomotive wie ihre Herzschläge, das Pfeifen des Schaffners und das Zuschlagen der Türen. Ein kurzer Kuss des Abschieds, und weg war er.
Dann erst löste sich die Starre. Edda stürzte aus dem Bett zum Fenster und sah ihn, wieder einmal, leichten Fußes davongehen. Seine schönen Hände ruhten niemals in den Hosentaschen, sie bewegten sich im Gleichgewicht seitlich seines schreitenden Körpers. Sie bewegten sich, als sähen sie Edda an, winkten traurig zurück, mit dem Ausdruck seiner Seele in ihrem leichten Schwingen.
Und wieder keimte sofort die Sehnsucht nach seiner Rückkehr, wuchs mit jeder Minute seiner Abwesenheit. Lebendig am Marterpfahl. Würde Edda verbrennen, an dieser Liebe ersticken? Sie vielleicht, aber ihre Liebe zu Fausto nicht. Die wollte nicht zu kalter Asche werden, tief in einem Abgrund der Vergangenheit verscharrt. Jeden Morgen erwachte sie mit Edda, reckte sich ins Leere, aus dem Trübsinn des Alltags enthoben. Traurig und voller Hoffnung.
Edda hebelte eine Parallelaktion, die sie vorwiegend ihrem Körper spendete. Sie hatte einem sexuellen Verlangen nachgegeben und versuchte Fausto währenddessen zu vergessen. Was sich als nicht möglich erwies. Ihre Seele und mehr, glaubte sich bei ihm. Sie wollte leben, sie wollte lachen und schön bleiben. Sie wollte keine Gramesfalten züchten. Trotzdem stolperte sie eilends aus diesem kurzen Vergnügen wieder heraus. Es klappte nicht, sie fühlte sich als Verräterin.
„Freiheit und Hingabe sind Fundamente der Liebe, Demut ist die Stütze geistiger Stärke“. Diese Worte hatte Edda in Großbuchstaben unter Glas verbannt. Versteckt, an der Innenseite der Einbauschranktür hängen. Ab und an öffnete sie diese furnierte Tür und linste hinein. Es entsprach ihrem Empfinden des Verzichts, sie hatte diesen Spruch in einem esoterischen Blättchen entdeckt und ergötzte sich daran. Keiner ihrer Bekannten aus dem „Schornstein“ hätte das lesen dürfen, besonders die Frauen nicht, diese steckten ausnahmslos in einem Emanzipationswahn und hätten diesen Satz in die falsche Kehle bekommen. Edda glaubte ihn verstanden zu haben, sie sah es nicht im Sinne der katholischen Kirche, sondern eher als ein Befreiungsversuch ihrer festgeschraubten Wunschvorstellungen.
Wiederholung, Agonie der Menschwerdung? Willkommene Einrichtung gegen die Entwicklung? Das Wesen Mensch, kaum geboren, in seinen permanenten Wiederholungen schon zum Stillstand gezwungen? Geburt ist Sterben? Hoffnungsvolles Sein, auch ohne Fortschritt, ist mehr Sein als Tod! Ist die Blindheit der Schutz dieser vorüberhuschenden Existenz, die gegen geistige Entwicklung streikt? Wie weit kann ein Rückzug sich hinziehen, über die vollkommene Auflösung hinaus? Warum umwuchern Angst und der Griff nach der Leere den Menschen wie selbstverständlich, als bestünde er aus ihnen? Werden Umstände der Entwicklungsmöglichkeit übersehen, aus der Furcht heraus sich nach Innen zu wenden oder aus wirklichem Unvermögen, aus der Unreife heraus, die mit ein bisschen Bemühen doch vertrieben werden könnte? Warum strebt es allgemein nach der Augenwischerei in seiner Bequemlichkeit, die sich von der ungetrübten Substanz des Geistes entfernt, von der Möglichkeit einer wahren Begegnung mit dem Sein? Warum sind die einfachsten Wege so unzugänglich, so wenig ausgetreten, kaum entdeckt, nicht bevölkert? Warum diese unendlich scheinende, generelle Unterbelichtung?
Edda fühlte sich schwindelig, ein wenig so, als hätte sie leichte Vergiftungserscheinungen von diesen Themen, die sich ihr aus den Bücherseiten entgegenstemmten und Einlass in ihr Bewusstsein forderten.
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