Fausto war nun seit einigen Monaten geschieden. Eines Tages machte er Edda den Vorschlag eine größere Wohnung zu mieten, anstatt der beiden Behausungen, die sie immer noch getrennt und doch zusammen bewohnten.
„Das wird aber schwierig sein, als nicht verheiratetes Paar“, meinte Edda zum Spaß. Sie hatten einigen Ärger mit seinem prüden Vermieter gehabt, wegen Eddas ständiger Anwesenheit ohne Ehebescheinigung.
„Wenn das der einzige Grund ist“, antwortete Fausto zwischen den Zeilen aufblickend, „dann heiraten wir eben. Ich muss hier aus dieser Bude raus, Adolfs Pisse hängt im Teppichboden fest.“
Eigentlich hatte sie sich lieblichere Motive zum Heiraten gewünscht, nun sollten es also Mietvorschriften und Hundepisse sein. Sie ergriff den gesponnenen Faden schnell, bevor er riss, lachte und sagte, „O.K. Wir machen einen Termin beim Standesamt.“ Drei Wochen später war sie Faustos neue Ehefrau. Sie hatten eine geräumige Wohnung mit Dachterrasse gefunden, dort hing Fausto stundenlang in seiner Hängematte und malte mit der brennenden Zigarette zwischen den Fingern, Kreise in die Luft. Wie abwesend. Es passierte oft, dass er sich dann plötzlich unbeholfen aus dieser Stoffwiege rollte, an seinen Schreibtisch stürzte und die ganze Nacht an der Schreibmaschine saß. Tippte und rauchte.
Edda hatte seinen Namen angenommen. Sie war sehr stolz auf ihren Ehemann. Sie würde an seiner Seite keine magersüchtige Fee werden. Den fernen Protest ihres Instinkts, der sich schattig und ein wenig klebrig, wie eine Staubschicht auf der Schallplatte ihrer Glücksmusik, bemerkbar machte, wischte sie energisch zur Seite.
Sie lagen gemütlich im Bett, Fausto rauchte und las in einem Buch von Lama Govinda. Einen ganzen Nachmittag lang waren sie gemeinsam den Rufen ihrer Sinne gefolgt und lümmelten sich nun dem Abend entgegen. Er blätterte in dem Buch und meinte, es sei eine interessante Reisebeschreibung über Land und Geist.
„Der Meditierende muss sich sein Ziel vergegenwärtigen...“, las er vor. Edda unterbrach ihn sofort.
„Ich bin keine Meditierende und habe nicht vor, mein Leben in permanenter Andacht mit gekreuzten Beinen zu verbringen und auf das große Licht zu warten. Ein dreifaches OM? Nein danke.“
Sie griff nach dem Rotweinglas. Fausto sah leicht verärgert zu ihr hinüber. „Warum verspottest du das OM, ohne auch nur das Geringste darüber zu wissen? Das vedantische Symbol, das Mantra des Brahman-Bewusstseins, jegliches Wort und jeglicher Gedanke blühen aus dem großen OM hervor….ach lassen wir das, außerdem, sei doch nicht immer gleich so ablehnend, niemand spricht hier von dir, Edda. Du steckst voller Vorurteile und scheinst dich außerdem nur für Lektüren zu interessieren, mit deren Vorgehen du dich identifizieren kannst.“ Er hob seine Stimme am Ende dieses Satzes etwas an, so dass ein leichter Frageton auftauchte, das schwächte seinen Vorwurf im ersten Moment ab. Doch dann fügte er hinzu, „das halte ich für beschränkt, Edda.“
„Du hältst mich für beschränkt?“ Edda war aufgesprungen, sie rannte nackt, mit dem Glas in der Hand, ärgerlich vor ihm auf und ab. Es kostete ihn Mühe ernst zu bleiben.
„Nein, nicht dich halte ich für beschränkt aber deine Art, Bücher zu lesen. Nichts interessiert dich, wenn es nicht mit dir zu tun hat, direkt oder indirekt, oder mit deinen Wunschvorstellungen. Das halte ich für beschränkt und für einen direkten Hinweis in Richtung egozentrischer Intoleranz.“
Edda sank zurück auf das Bett. Sie wollte das Liebesnest noch ein wenig länger warmhalten, romantische Beteuerungen hören und sich einzig in seinen Armen fühlen. „Warum hast du mir das nicht vor der Hochzeit gesagt“, war ihr schwacher Einwand.
„Sei nicht albern“, sagte Fausto trocken. „Es interessiert mich Edda, m i c h und in diesem Falle wäre i c h gerne der Meditierende. Willst du es nun hören oder nicht?“
Sie hatte kein bisschen Lust auf Govindas Wolkenreise durch Tibet, aber sie nahm sich zusammen und versuchte zuzuhören. Er macht genau das, was er mir vorwirft, dachte sie schmollend, er wäre selbst gern dieser Mönch mit der Karnevalsmütze. In dem Buch war ein Foto des Autors zu sehen.
Fausto setzte noch einmal an. „Der Meditierende muss sich sein Ziel vergegenwärtigen….“ Er stoppte und blickte kurz auf Edda. Sie schwieg, mit geschlossenen Augen.
„….vergegenwärtigen“, setzte Fausto zum dritten Mal an, „….er muss die Richtung im Herzen haben, dann ist es gleich, welche Methode oder Wege er wählt zu seiner Verwirklichung...“
Er, der, er! Edda bemerkte sofort, dass man hier keine Frauen einbezog, aber sie sagte nichts. Fausto las weiter, „...ob er gefühlsmäßig vorgeht und schöpferisch, oder verstandesmäßig und analytisch, er wird auf das Ziel zuschreiten.“
Dann murmelte er einige folgende Sätze unverständlich, bevor er fortfuhr, „…das gelingt nicht, wenn er an den Schöpfungen seiner Vorstellung haftet, denn diese unterliegt der auflösenden integrierenden Aktion des Einschmelzungsprozesses, der Fähigkeit eine Welt zu schaffen und wieder aufzulösen. Es zeigt mehr als alle mechanische Analyse des Verstandes, die wahre Natur allen Haftens und Begehrens.“
Na wunderbar, er hatte wieder einmal ins Schwarze getroffen. Diese Worte, nach ihren erhebenden Stunden engsten Beisammenseins, verwandelten ihre Liebeslust in einen ausgewrungenen Waschlappen, der zum Trocknen über einer verchromten Leiste hängt. Wenn das sein Gedanke war, nach solchen Küssen, dann hatte sie ein Problem. Sinnlosigkeit allen Begehrens! Wollte er etwa zu Stein erstarren?
Fausto war ins Badezimmer gehuscht und Edda nahm das Buch zur Hand. Sie fand den Absatz, „das Ziel vergegenwärtigen“ und las ihn weiter. Dabei fiel ihr auf, dass Fausto nicht alles vorgelesen hatte, sondern die Sätze vereinfacht, für sie mundgerecht interpretiert, oder besser, auf ihren beschränkten Verstand ausgerichtet vorgelesen hatte. Eine individuelle Simultanübersetzung für das schöne Dummerchen? So sah er sie also! Er hatte keinen Schimmer durch welchen Blödsinn, aus seinen überquellenden Bücherregalen, sie sich schon geduldig durchgefressen hatte. Denn auch das tat sie meistens nur in seiner Abwesenheit, als wollte sie heimlich „schlau“ werden. Eine Frechheit, ihre Auffassungsfähigkeit zu bestimmen, das würde sich ändern, er würde schon sehen. Außerdem fühlte sie sich manchmal wie das Ziel einer Gehirnwäsche seiner Ideen. So reagierte Edda immer noch auf Druck. Und das sagte sie ihm.
„Es tut mir wirklich leid, dass du dich von mir bevormundet, bedrängt fühlst“, antwortete Fausto ein bisschen traurig. „Du weißt, es sind nicht meine Ideen, es sind Jahrtausend alte Weisheiten, die Wahrheit pur. Das hat mit mir gar nichts zu tun, ich wollte gerne versuchen dir Einiges davon näher zu bringen, damit du es über mich vielleicht besser verinnerlichen kannst, um deinem Streben nach dem Morgen, gehetzt von der Flucht vor dem Gestern, ein Ende zu setzen.“
Sie wollte keinen Psychokram, nicht jetzt und schon gar nicht an Einiges aus dem Gestern erinnert werden. Woher wusste er, dass sie von dort noch etwas Gewaltiges mit sich schleppte, sie hatte ihm nicht ihren gesamten Müll offenbart. Ihre Liebe zu Fausto besaß noch ein wenig die Überlegenheit des Anfangs, ihr schöner Traum, in dem sie keinen Gedanken des Irrtums ausbrüten wollte. Diese Überlegenheit behütete sorgsam ihre ersten gemeinsamen Monate, gegen jede Wahrheit.
Edda vergegenwärtigte sich später oft dieser sonnigen Tage. In ihrer Erinnerung hatten sie seltene Kraft, sie verstanden es, drohendes Grau schon bei zartester Landung blitzschnell an die Seite zu schieben. Sie sehnte sich nach bedingungsloser Hingabe zu ihm, doch das gestattete Fausto ihr nicht. Das Wesen der Hingabe, dem man sich unbedingt nähern sollte auf dem Weg des Yoga, sei zwar das Annehmen und nicht beurteilen, hatte Fausto ihr versucht auseinanderzusetzen, aber doch nicht im Zusammenhang mit einem Menschen, sondern mit einer Seins-Form.
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