1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 „Das würden sie niemals tun und das weißt du. Aber die Idee ist trotzdem gut. Ich rufe sie gleich an.“
Wie immer freuten sich Ma und Pa sehr uns zu sehen. Nachdem die Papiere mit einer Windrose drauf ins Haus geschafft und Cassandra und ich frisch geduscht waren, befanden wir uns endlich im Wohnzimmer meiner Eltern.
Das Essen war noch nicht fertig, daher war noch Zeit für eine Runde Monopoly. Im Grunde war es schon Tradition in unserer Familie, dass wenn genug Zeit war, wir Monopoly spielten. Da Cassandra, schon immer meine beste Freundin, viel Zeit bei uns verbrachte, war sie bestens mit dem Spiel und dessen Regeln vertraut. Wie immer durfte sie die Bank übernehmen.
Für alle gab es Wein, nur ich trank Limonade, da ich ja noch fahren musste. Aus der Küche zog schon ein köstlicher Duft zu uns hinüber ins Wohnzimmer. Heute gab es Ma´s Lasagne, eines von Cassandras Lieblingsessen.
„Richard, du bist auf meiner Straße gelandet! Wie gut, dass ich gerade noch ein Hotel darauf gebaut habe! Das macht 1.600,- Dollar mein Lieber!“, freute sich meine Mutter gerade, als in der Küche plötzlich eine Eieruhr laut schellte.
„Oh, das ging aber schnell. Los, alle Hände waschen und ab an den Tisch mit euch, das Essen ist fertig! Das Spiel können wir ja auch noch danach beenden“, scheuchte meine Mutter uns auf.
Als wir ins Esszimmer kamen, standen schon zwei dampfende Auflaufformen auf dem Tisch und wir konnten es kaum erwarten, endlich zu essen. Eine bessere Lasagne, als die meiner Mutter, gab es einfach nicht, wie das Schweigen beim Essen nur zu bestätigen schien.
Wie immer hatte Evelyn viel zu viel gekocht, natürlich in der Absicht uns wieder die Reste mit zu geben.
„Ma, was würden wir ohne dich nur machen“, sagte ich und gab ihr einen Kuss auf die rosige Wange. Das freute sie immer sehr. Wenn sie uns nur bekochen konnte, war sie schon glücklich. Gerade nachdem ich ausgezogen war und für mich selbst sorgte, nutzte sie jede Gelegenheit, mich fast zu mästen.
„Jetzt machen wir uns aber wieder ans Spiel, oder was meint ihr?“, rief Pa, der ganz klar hoffte, dass er gewann. Aber da hatte er die Rechnung ohne Cassandra gemacht. Sie gewann das Spiel haushoch und ich zog sie wie so oft damit auf, dass sie sich wohl kleine unbemerkte Kredite aus der Bank gönnte.
„Ben hör sofort auf damit, Cassandra zu ärgern! Oder es gibt keinen Nachtisch für dich!“, zwinkerte Ma uns zu. Wie auf Stichwort kam ein der Duft der kleinen Schokoladentörtchen aus der Küche. Die mit flüssiger Schokolade in der Mitte. Man konnte meine Mutter einfach nur lieben.
Der Nachtisch, serviert mit selbstgemachtem Vanilleeis, war ein Traum. Die Eismaschine, die Cassandra und ich meiner Mutter geschenkt hatten, zahlte sich immer wieder aus. Sie hat uns schon die tollsten Eiskreationen gemacht. Ich mochte am liebsten ihr Zitrone-Basilikum Eis.
Insgesamt war es einfach mal wieder ein schöner Nachmittag mit der Familie. Ich wusste, wie sehr meine Eltern solche Tage liebten und dass sie ihnen viel zu selten waren. Ganz besonders, wenn wir zu viert zusammen kamen.
Als wir 16 Jahre alt waren, hatten meine Eltern die Hoffnung gehegt, aus Cassandra und mir würde ein Paar werden. Aber es war schon immer nur eine geschwisterliche Liebe zwischen uns. Eine tiefe Freundschaft, die niemals zu einer Beziehung dieser Art werden würde.
Heute sahen sie Cassandra als Tochter an und haben sich damit abgefunden, dass es auch so bleiben würde. Dennoch fragte mein Vater mich oft, wenn wir mal unter uns waren, wie es mit mir und den Frauen stand. So auch heute wieder. Nachdem wir gemeinsam den Tisch abgeräumt hatten und die Frauen uns aus der Küche schoben, damit sie ihre Ruhe hatten, setzten wir uns in die gemütlichen Fernsehersessel und unterhielten uns.
„Na Ben, gibt es ein interessantes Mädchen in deinem Leben?“
„Pa, offen gestanden, nein. Ich habe mich mit einer Studentin getroffen, aber das ist nichts Ernstes. Sie ist in einen Anderen verliebt, was sie mir erst später erzählte.“
„Mach dir keine Gedanken mein Sohn. Das wird schon. Wenigstens stürzt du dich nicht in ein Unglück nach dem anderen.“
„Ja, es kann ja nicht jeder so ein Glück haben wie du und Ma“, erklärte ich meinem Vater. Er lachte sein bellendes Lachen und sein Bauch zuckte mächtig. In den letzten Jahren hatte Pa einen kleinen Bauch bekommen. So wie meine Mutter kochte auch kein Wunder.
„Evelyn hat uns wieder von allem reichlich eingepackt“, berichtete Cassandra, als sie sich mit einem weiteren Glas Wein zu uns gesellte. Die Küche war also aufgeräumt und nun kam der ruhige Teil des Abends mit Gesprächen und Diskussionen, die wie das Spielen üblich waren. Es ging um Sport, Politik, Musik und alles was uns noch so einfiel. Ein herrlich normaler Abend.
Erst spät verabschiedeten wir uns. Vater, leicht angeheitert und mit rosigen Wangen vom Wein, umarmte uns ein paarmal öfter als sonst, und Ma hatte neben den Resten vom Abendessen noch heimlich ein paar Dinge aus der Gefriertruhe mit in die Tasche geschmuggelt, wie wir bei mir zu Hause feststellten. Hatte sie es also doch noch geschafft.
Satt und müde setzten wir uns noch einen Augenblick ins Wohnzimmer auf die Couch, bevor wir dann den Weg ins Bett fanden.
Mit allem, was wir zum Reinigen des Fußbodens brauchten bewaffnet, machten wir uns am nächsten Tag daran, wenigsten den größten Staub endlich zu beseitigen.
Als erstes jedoch wollte ich noch ein wenig in den Büchern stöbern. Es gab so viele große Schränke, in denen wir noch nicht nachgeschaut hatten, was sie verbargen.
Da Cassandra von der Windrose fasziniert war, fing sie mitten im Raum mit dem Wischen an. Sie wollte die ganze Rose frei machen und bewundern. Gerade hatte ich das zweite Buch in der Hand, dessen Ledereinband nicht lesbar war, als ich von Cassandra ein Fluchen wahrnahm.
„Mist verdammter! Hab ich doch tatsächlich einen Splitter in der Hand! Blöder Holzstiel. Ben, hilfst du mir bitte mal? Vom Wischwasser sind meine Hände ganz aufgeweicht.“
Ich hastete zu ihr, um zu sehen, wie groß und tief der Splitter war. Tatsächlich war er gut zwei Zentimeter lang und steckte bis auf wenige Millimeter unter ihrer Haut. Das würde sicherlich wehtun, dachte ich mir. Schnell machte ich mich dran, das Stück Holz aus der Hand meiner Freundin zu ziehen. Das erwies sich als gar nicht so leicht und ich brauchte mehr als einen Anlauf.
„Aua!“, zischte Cassandra zwischen den Zähnen hervor. Ich wusste, dass sie sich bemühte tapfer zu sein, aber ich hatte keinen Zweifel, dass das hier wirklich schmerzhaft war. Endlich glückte es mir, mit zittrigen Fingern den Splitter zu ziehen.
Noch bevor wir untersuchen konnten, ob etwas in der Wunde zurückgeblieben war, quoll schon hellrotes Blut daraus hervor. Schnell zog ich mein T-Shirt aus und wir versuchten die Blutung gerade mit meinem T-Shirt zu stillen, als etwas von dem Blut auf den Boden tropfte. Der Aufprall der Blutstropfen schienen durch den ganzen Raum zu hallen. Aber etwas noch viel Verwirrenderes geschah.
Wir konnten unseren Augen nicht trauen, denn auf dem Boden ging etwas Merkwürdiges vor sich.
Der Staub, der sich in wer weiß wie vielen Jahrzehnten im ganzen Raum auf den Boden gelegt hatte, wehte wie von einem starken Wind angetrieben hinauf an die Decke der Halle, durch das Loch hinaus und hinterließ nichts als den blanken, auf Hochglanz polierten Boden. Es war, als hätte nie auch nur ein winziges Staubkorn den Boden jemals berührt.
Als wäre das nicht schon merkwürdig genug gewesen, nahmen wir plötzlich eine Bewegung auf dem Fußboden wahr. Die zwei goldenen Kreise in der Windrose, der Innere etwa doppelt so dick wie der Äußere, fingen langsam an sich in entgegengesetzte Richtungen zu drehen.
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