Nach der Anstrengung der Treppe wollten wir uns kurz an die frische Luft setzen und verschnaufen. Es hatte besser geklappt, als wir dachten und wir lagen gut in der Zeit. Es war gerade erst 18 Uhr. Nach einem guten Kaffee würden wir noch die Möbel abdecken. Wir waren viel zu neugierig, als dass wir einfach hätten aufhören können.
„Wer immer das gebaut hat, er hatte eine Menge Geld, oder? Allein diese Gemälde müssen ein Vermögen wert sein. Wenn ich sie nicht selbst gefühlt hätte, würde ich sie für Drucke von Fotografien halten. Wer sie wohl gezeichnet hat? Was machen wir nur damit? Vielleicht sollten wir deinen Eltern doch endlich den Gefallen tun und endlich eine Zweier-WG gründen. Genug Platz hätten wir jetzt auf jeden Fall“, träumte sie laut vor sich hin.
„Wir kümmern uns noch um die Schränke. Vielleicht enthalten sie Unterlagen mit Hinweisen darauf, wer das alles erbaut hat und zu welchem Zweck. Andernfalls machen wir uns wirklich daran, im Internet zu schauen. Eine Alternative wäre noch das Stadtarchiv. Dort werden Karten und Schriftstücke aus sehr alten Zeiten aufbewahrt.“ Ich nahm einen weiteren Schluck aus der Tasse mit meinem Lieblingsheißgetränk. „Und deine größte Sorge war gestern beim Frühstück noch der Dachboden! Ich wusste ja, dass hier irgendetwas merkwürdig ist, in deinem Hexenhäuschen“, versuchte ich sie wieder einmal aufzuziehen. Doch Cassandra war zu sehr in ihren Gedanken vertieft, als dass sie mich hätte bemerken können. Wie sie so dasaß und sich auf die Nasenspitze tippte, war sie wieder ganz sie selbst.
„Ben, lass uns morgen die Möbel untersuchen. Wie wäre es, wenn wir den Grill von deinem Balkon holen, ein paar Steaks und frisches Brot besorgen und den Abend im Garten verbringen? Hinter dem Pavillon habe ich einen Feuerkorb gefunden. Was hältst du davon? Nach dem Aufbau der Treppe haben wir uns das doch redlich verdient! Außerdem hast du Urlaub und ich bekomme ja schon fast ein schlechtes Gewissen, weil du hier die ganze Zeit mit mir schuftest.“ Sie strahlte mich an, mit einem Lachen, von dem sie ganz genau wusste, dass ich nicht nein sagen können würde.
„Ja, das könnte mir gefallen“, erwiderte ich zögerlich, als könnte ich mich nicht so recht entscheiden. Ich liebte es sie zu ärgern. „Aber nur wenn wir dein leckeres, selbstgemachtes Knoblauchöl holen.“ Sie rollte mit den Augen, als wäre das selbstverständlich. Damit war die Sache beschlossen und wir machten uns schnell auf dem Weg um noch etwas Gutes bei unserer Lieblingsschlachterei ergattern zu können.
Der Abend war sehr schön und das Essen hervorragend. Wir konnten bis spät in die Nacht draußen sitzen, weil die Luft mild und die Temperatur angenehm waren. Der Himmel war bewölkt, so dass man nicht viel von den Sternen sehen konnte. Der Feuerkorb brachte Licht und zusätzliche Wärme. Um uns herum, in der Dunkelheit der Büsche, bahnte sich etwas seinen Weg durch den Schatten der Pflanzen. Wahrscheinlich eine Wühlmaus oder ein Igel.
Zum ersten Mal beichtete Cassandra etwas bedrückt, dass ihr die Chaoten in der Wohngemeinschaft fehlen würden. Sie wohnten schließlich seit zwei Jahren zusammen und ohne dieses Haus wäre sie so schnell auch nicht ausgezogen. Es sollte unbedingt eine Einweihungsfeier geben und Christian, Niklas und Dominik sollten dabei sein.
Als Cassandra an meiner Schulter eingeschlafen war, während sie noch irgendwelche Pläne murmelte, wurde es Zeit, zu mir zu fahren und sie in ein Bett zu bringen.
Es war alles sehr aufregend für uns gewesen und daher einfach nur normal, dass es nicht unbemerkt blieb. Auch ich spürte die Müdigkeit und Erschöpfung. Sicherlich waren wir mit den Entdeckungen noch nicht fertig, schließlich waren noch eine Menge Schränke zu untersuchen. Da kam bestimmt noch viel Arbeit auf uns zu.
Auf der Heimfahrt überlegt ich mir, was es mit dieser Heimlichkeit auf sich haben könnte. Noch immer hatte ich dieses unbehagliche Gefühl, wenn ich ans Haus dachte. Irgendwie befürchtete ich, dass da etwas auf uns zu kam, was wir noch nicht erfassen konnten. Was würde das nur sein?
„Hier in diesem Regal sind einige Bücher, von denen ich nicht mal eines kenne. Vielleicht finden wir ein Antiquariat, das sich der Bücher annehmen möchte. Du kannst nicht zufällig Latein, oder?“, stellte Cassandra die eher rhetorische Frage. Sie wusste, dass ich niemals Latein belegt, sondern immer Spanisch gewählt hatte.
„Es sind tatsächlich viele Bücher hier unten. Aber für eine Bibliothek sind es noch zu wenig. Scheinbar habe ich hier Schriftstücke gefunden. Sehr alt, wie es scheint. Sie sind sehr schwer zu lesen. Aber schau mal, hier auf dem Briefkopf! Kommt dir das bekannt vor?“ Ich hielt den gefundenen Briefbogen in der Hand und zeigte ihn ihr. Sie bekam große Augen.
„Das ist ja die gleiche Windrose, wie hier auf dem Boden! Was hat das wohl zu bedeuten? Kannst du entziffern, was in dem Brief geschrieben steht?“, fragte sie nun ganz aufgeregt und strich sich die Locken, die sich wie so oft aus ihrem Zopf gelöst hatten, aus dem Gesicht. „Vielleicht ist es ja der erste richtige Hinweis, was es mit diesem Raum auf sich hat.“
„Leider ist kaum etwas zu erkennen. Die Schrift ist ziemlich stark verblasst. Hier steht etwas von einem Problem, dem sich irgendein Zirkel annehmen soll. Es sei dringend, da es schon zu Todesfällen kam.“ Ich kniff die Augen zusammen um noch etwas erkennen zu können. Aber es funktionierte nicht.
„Was für ein Problem meinen die wohl. Und was für ein Zirkel? Ich meine, wenn es Todesfälle gab, wird es sich ja wohl kaum um eine Studentenverbindung handeln, oder?“, überlegte Cassandra laut und tippte sich wieder mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze. Wenn ich darauf doch bloß nur ansatzweise eine Antwort gehabt hätte.
Mich ließ das mulmige Gefühl nicht los, dass wir es vielleicht gar nicht so genau wissen sollten. Warum sollte man sich sonst solche Mühe machen, dies hier alles zu verstecken?
Plötzlich kam mir noch ein anderer Gedanke. Ein eigenartiger Gedanke.
„Du hast doch erzählt, dass du als Alleinerbin im Testament deiner Tante Meredith genannt wurdest, stimmt´s?“
„Ja, das habe ich dir doch erzählt. Worauf willst du hinaus?“
„Nun ja, was ist, wenn Meredith über all dies Bescheid wusste und sie bewusst dich gewählt hat, um über ein Geheimnis zu wachen?“
„Hätte sie mir nicht Informationen über ein Geheimnis hinterlassen sollen, wenn sie wollte, dass ich es hüte?“
„Vielleicht hatte sie es vor, wurde aber von ihrem Tod überrascht und hatte keine Gelegenheit mehr um dich ein zu weihen.“ Ich überlegte weiter. „Hast du nicht auch erzählt, dass die Möbel aus dem Haus verkauft worden sind, aber alles was sich in ihnen befand auf den Dachboden geschafft wurde? Dein Onkel Fred wusste nicht wohin damit, war dem nicht so?“
„Ja, du hast recht“, stimmte sie zu. „Meinst du etwa, wir finden dort oben eine Erklärung?“
„Einen Versuch wäre es wert. Denn das was wir hier finden, ist nicht mehr richtig zu lesen und wirft mehr Fragen auf, als wir beantwortet bekommen.“
„Dann heißt es nur noch warten, dass die Handwerker in der nächsten Woche schnell die Treppe zum Boden einbauen, damit wir uns ans stöbern machen können. Ich frage mich allmählich, was das alles soll. Und was Meredith mit der ganzen Sache zu tun hatte.“
„Richtig und so lange versuchen wir hier unten unsere Neugierde weiter zu stillen. Lass uns alles, auf dem eine Windrose abgebildet ist, in einen Karton schaffen und mit nach oben nehmen. Dort können wir weiter suchen.“ Sie nickte.
„Das wird das Beste sein. Wollen wir heute noch mal bei deinen Eltern vorbei schauen? Nicht, dass sie sich noch beschweren, das sie dich nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil ich dich hier so einspanne.“
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