Ich sammle die Kamera, Scheinwerfer, das Stativ und telefoniere mit Zita, der Riesin. Es ist zwar erst Nachmittag, trotzdem verschließe ich alle Türen hinter mir. Besser ist das!
Die Sonne blendet. Glücklicherweise bin ich fit genug zu fahren. Mein Blick wandert die Straße auf und ab. Wäre ich Bulle, dann dürftet ihr mich ›König der Knollen‹ nennen. Alleine in dieser Straße könnte ich täglich Tausende vergeben. Ist vielleicht ein bisschen übertrieben.
Auf dem Weg zu Zita nerven mich ›Eierpeller‹, die kilometerweit vor der Ampel ausrollen. ›Eierpeller - ein hübsches Schimpfwort. Hinter mir - Drängler, ich hasse Drängler, die mir auf der Stoßstange sitzen. Das gibt viele Punkte, Idioten!
»Es ist grün!« Meine Stimme überschlägt sich. »G r ü n«, brülle ich. Noch hassenswerter - die, die rechts überholen und dann schneckengleich vor mir auf der linken Spur herumeiern.
»He Oma, das ist Nötigung!« Vorwurfsvoll klatsche ich beide Hände aufs Lenkrad. Die Wut steigt mir zu Kopf, ich glühe. Ich kann nur staunen, verkrampft, verängstigt hocken die in ihren, oftmals nigelnagelneuen fetten Karren. Die Nase klebt an der Windschutzscheibe, die Brust hängt auf dem Steuer, die Arme pappen am Körper, in der Position ist Fahren unmöglich.
Fluchen, Schreien und Autofahren gehören in meinen Augen untrennbar zusammen, nach Tagesform, versteht sich. Ich behaupte sogar, dass mich das außerordentlich glücklich stimmt. Ich wippe vor Vergnügen, ohne Musik.
Klasse Schimpfwortkreationen, zum Beispiel ›Sickminister‹ oder ›Pimmelsfrisör‹ sind mir während der Fahrt gelungen. Aggression fördert Kreativität! Einen Wunsch möchte ich mir erfüllen. Austicken! Das Lenkrad herum reißen, die Zähne fletschen und volle Pulle in die Kiste auf der Nebenspur crashen. Mehrmals, bis der Andere ausgeknockt ist, die Straße uneingeschränkt mir gehört. Kampf dem schlechtfahrenden Gesocks!
Fotos ohne Spießer
Zita erwartet mich. Der Erbsenkopf, gerahmt von Rote-Beete-Saft gefärbtem Sauerkrauthaar, schaut suchend aus dem Fenster. Nichts erinnert mehr an den dramatischen Abend, angereichert mit zotteligem Filz.
»Was so `ne Packung ausmacht!«, bemerke ich anerkennend. Sie lächelt mir zu, winkt kindlich, wedelt unbeholfen, wird verschlungen vom Dunkel des Raums.
Als ich meine Sachen zusammen krame, öffnet sie freudig die Haustüre. »Komm rein, es ist alles belassen, wie es war!« Sie zieht an meinem Arm, drängt zum Eintreten. Der Drache bangt um seinen Schwanz. »Hübsch, das ist eine super Idee mit den Fotos! Du darfst die Fotoreihe nach mir benennen! Die Leute aus meiner Klasse werden staunen. Jetzt ist Ferienzeit, hopphopp klappt das eh nicht mit deiner Ausstellung, oder?« Ob das überhaupt was gibt? Keinen blassen Schimmer.
Also verweigere ich eine Antwort, schenke ihr ein gequältes Lächeln. In der Küche angelangt, baue ich die Gerätschaft auf, balanciere von einem Fuß auf den anderen. Immer auf dem Schirm - das wunderbare Stillleben. Fantastisch!
Zita versucht, zu helfen. Genervt drücke ich sie nieder auf den Stuhl, auf dem sie zeternd Platz nahm, als ich gestern ihre Bekanntschaft machte. Enttäuscht sitzt sie da im winzigen violetten Trägerkleid. Die langen Beine der riesigen Gestalt wibbeln ungeduldig. Violett passt prima zu den roten Haaren. Ich porträtiere sie wohl doch. Am liebsten wäre mir, sie verließe den Raum. Den Gefallen erweist sie mir leider nicht. Da sie schon mal da ist, mich mit Fragen bombardiert, entlocke ich ein bisschen was über Cat, die geheimnisvolle jugendliche Verbrecherin.
»Geht Cat in deine Klasse?«, forsche ich beiläufig, winde mich, um die beste Perspektive für die Fotos auszusuchen. »Hat sie nix erzählt? Wenn sie `nen tollen Typen kennenlernt, dann verschweigt sie einiges oder sie lügt, sie sei Bardame.« Zita verrenkt den Oberkörper, um meiner Arbeit zu folgen. Ich spitze die Ohren. Toller Typ – endlich jemand der das ausspricht!
»Verschweigt sie auch, dass sie nächste Woche sechzehn wird? Cat will nicht mehr feiern. Sie meint, sie sei zu alt. Quatsch!« Missbilligend schüttelt sie den winzigen Kopf. Cat ist erst fünfzehn, damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Ich bin von Kindern umgeben.
»Es wäre doch toll, wenn wir bei dir `ne Überraschungsparty ausrichten!« Zita klatscht vergnügt in die Hände. Ihre riesigen Augen strahlen begeistert. »Ich bastel was Nettes für sie ... `ne modische Tasche, oder so«, murmelt sie in sich gekehrt. »`Ne Dessousparty«, flüstere ich verächtlich – unhörbar. »Oh, das ist eine Mega-Idee. Cat liebt Dessouspartys! So was fällt sonst nur Cats Oma ein. Die Schaumparty letztes Jahr war der Knaller!«
Wieso konnte sie das bloß hören? Was für ´ne Vorstellung! Eine Horde von Kindern stolziert in Unterwäsche durch meine Bude und Zita stelzt. Nee, das geht gar nicht! Gänsehaut flitzt über meine Arme.
»Du würdest deinen Kindern das erlauben, habe ich Recht?«, fordert die schrill erhobene Stimme. Lang streckt sie den Finger aus, deutet in meine Richtung. Angst überkommt mich, dass es ihr gelingt, über diese Distanz meinen Arm zu berühren.
»Du bist kein verflixter Spießer, wie mein Vater! Der kümmert sich immer nur um Geschäfte, reist in der Welt herum, Spaß verbietet er.« Das kleine Gesicht formt eine beängstigende Grimasse. Fehlt nur, dass sie auf den Boden rotzt.
Ich weiche Zitas Blicken aus. Oh nee, damit will ich nix zu tun haben! Ich antworte nicht, bin zu beschäftigt. Keinen Bock, über eigene Kinder nachzugrübeln. Bin ich so alt? Kurz betrachte ich meine farbigen Freunde, die bejahend nickend. Na ja, für `ne 15-Jährige vielleicht schon. Wieso die kindlichen Dinger immer heiß aussehen müssen? Unschätzbar, ich meine altersmäßig. Wupps hast du `ne Klage am Hals, verdammt!
»Kann ich jetzt aufräumen, wenn alles im Kasten ist?« Ich nicke. »Ich freue mich wie Bolle auf die Ausstellung!« Sie seufzt, lächelt, wirbelt mit dem Besen, der gefährlichen Verlängerung ihres Armes, durch die Luft. Funkenmariechen? »Danke, ich bin dann jetzt weg. Man sieht sich.«
Als ich im Auto kauere, rauscht mir der Alkohol zurück in den Kopf. Schlapp drücke ich meinen Körper in den Sitz. Glasige Augen starren in den Rückspiegel. Na toll! Ich versuche ein Lächeln in den Spiegel. Zita steht am Fenster und winkt. Mit einem einzigen Armschwenk ist sie in der Lage, die komplette Fensterscheibe zu putzen. Der Weiße und ich kratzen die Kurve.
Frau Schuster & die geheimnisvolle Cousine
»Hallo! Sie beherbergen einen Gast?«, tönt es derb von irgendwo her. Ich schaue mich um, hieve den geschlauchten Körper umständlich aus dem Weißen. »Die junge Dame – Ihr Besuch?« Die Frau des Schusters eilt auf mich zu. Sie wohnt am Kopf des Platzes, ihr entgeht Nichts und niemand. Ich beherberge `ne Dame?
»Ja, ja!« Ich suche nach einer Erklärung. »Cousine ...« »Das ist ja nett!«, knattert sie. »Ihre Cousine, hübsche Frau! Freunde, die bei ihnen ein und ausgehen, sind mir ja bekannt, aber Familie? Bleibt sie denn länger?«, forscht die versoffene Stimme. Die weitaufgerissenen Augen durchbohren die meinen. Vielleicht klingt sie nur so versoffen? Ihre Haut erinnert an Pergament, faltiges Pergament. Es spannt sich über den knochigen Körper. Die Bräune empfiehlt ernsthafte Reflexionen zum Thema Hautkrebs! »Mal sehen ...«, grummle ich. Rückwärts, einen Fuß hinter den anderen schleiche ich Richtung Hauseingang. Sie folgt mir einer Tangotänzerin gleich. »Ich muss los, mein Mann wartet!« Breitgespanntes Lächeln, eiligen Schrittes, die Handtasche schwingend, flitzt sie an mir vorbei zum tiefschwarzen Mercedes - Cabrio. Ich nicke und schaue ihr nach. Der Alte winkt.
Dass der mich erkennt! Panzerglasbrille, fernglasgroße Augen. Er ähnelt seiner Schildkröte. Woher ich weiß, dass er eine Schildkröte hält? Na, das hat die ›Frau Schuster‹ erzählt, ihr Name ist mir unbekannt, und vorgeführt hat sie die Langsame gleich auf dem Hinterhof. Der Alte verdient ein Heidengeld, sieht man am Wagen. Er ist spezialisiert auf Reitstiefel, das läuft. Keine Ahnung, wie viele reiche Tussen in der Stadt reiten, wenige können es nicht sein.
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