Sie hält den Daumen hoch, wartet nur auf mich. Klar nehme ich sie mit. Ich halte an und steige aus. Fenster runterkurbeln - ausgeschlossen! Ich lehne lässig am Weißen.
»Wo willste denn hin? Kann dir `ne Fahrt in japanischer Luxusklasse anbieten.« Meine Zähne überstrahlen alles - und ich weiß das!
»Dich habe ich doch bei der Kasse gesehen.« Sie streckt mir kampflustig das Kinn entgegen und murmelt: »Ich will weg. Egal, erst mal weg!« Galant gehe ich ums Auto und öffne ihr die Türe. Was sonst – von innen funktioniert es nicht.
Sie schmeißt ihre Tasche auf den Rücksitz. Die Miene haftet kurz an meiner Tüte. Frech blinzelt sie und kuschelt sich in den Sitz. »Überweisungsträger, so, so!«
Ist echt mies! Sie fixiert mich. Diese Mandelaugen scheinen alles zu wissen über meinen misslungenen Plan, die gescheiterte Aktion. Sie kennt kein Erbarmen. Wahrscheinlich verrät meine Körperhaltung beim Umkreisen des Weißen, wie peinlich mir das ist.
»Cat.« Sie streckt mir ihre Hand entgegen. »Catherine, lieber kurz, Cat!« Jetzt strahlt sie und ich erkenne, wie blutjung sie ist. Nix für mich – schade! Sie scheint nicht zu erwarten, dass ich ihr meinen Namen nenne und ich tue es doch!
»Wie biste den Bullen entkommen? Die hatten dich voll in der Mangel.« Geschmeidig liegt, der ›Weiße‹ auf der Straße. Ich imponiere - verdammt waghalsiger Retter. »Ich hab´ dich schon im Knast gesehen, ehrlich.« »Pah, bisher ist es mir immer gelungen, zu entwischen.« »Immer? Wie viele Dinger drehst du so? In deinem Alter?« Achtung – Trotzphase!
»20!«, beantwortet sie zickig den zweiten Teil meiner Frage. »Überfälle? Aufgehört zu zählen.« Sie fummelt an ihren Zehen, die vollen Lippen fest aufeinander gepresst.
Sie will vom Thema ablenken. Ich hab es nicht mit Füßen. Wende meinen Blick lieber der Straße zu.
»Das Fenster klemmt.« Sie versucht vergeblich, die abgerissenen Fußnägel zu entsorgen. »Ist schon geraume Zeit kaputt.« Einladend öffne ich den Aschenbecher, abermals blitzen meine weißen Zähne. Unwiderstehlich, scheint bei Cat aber keinen Eindruck zu hinterlassen. Rabenschwarzer Tag! Na ja, Pott wie Hund. Oder Pott wie Deckel?
»Das war verdammt schwer, den beiden zu entkommen.« Ihre Wangen glühen und die Mandelaugen sprühen Funken, zufrieden über den geglückten Coup. Sie befeuchtet ihre prallen Lippen. »Es gibt zum Glück nur zwei Bullen im Dorf. Habe sie ausgetrickst, die Reifen aufgeschlitzt, dem Typen mit dem Messer ein paar Hiebe verpasst und seine Waffe einkassiert.« »Zeig mal her das Ding!« Die Schönheit blufft – das ist klar.
Sie turnt auf die Rückbank, wurschtelt in ihrer geblümten Tasche. Kurz visiert sie meine Nase an, gleitet zurück auf den Beifahrersitz, die Wumme, den kostbaren Schatz, in der Hand. Bitte bedrohen Sie den Fahrer nicht während der Fahrt!
»Und dann lässt du dir Zeit, per Anhalter abzuhauen?« »Ja, genau, denn da kommt doch keiner drauf! Coole Typen, die einen mitnehmen finden sich immer.« Da geht vielleicht doch was, ist mein nächster Gedanke. Betty Page streckt mir die elend lange Zunge heraus. Falsches Luder! Konzentriere dich, Nils! Der Berufsverkehr setzt ein.
»Du wolltest es tun, `ne?«, wirft das Mädchen schnippisch in die schweigsame Stille. »Es war dein Plan, die Sparkasse zu überfallen.« Meine Brauen ziehen die Stirn in Falten, bilden Zelte, die meine Augen schützen wollen. Soll ich´s zugeben und sie anblaffen, weil sie alles vermasselt hat? Sie besitzt `ne Waffe. Mein ›Losen‹ eingestehen? Dem bösartigen Luder Anlass zur Freude geben? »Ist halt Pech, dass wir beide am gleichen Tag dieselbe Idee verfolgen«, seufzt sie, wirft den Kopf in den Nacken. »Nee, ist schon klar, weil du das ja soooo oft machst!« Mein Ton ist gehässig, einen Tick belustigt. »In den letzten drei Jahren fünf Banküberfälle ...« Sie nimmt ihre Hände zu Hilfe und zählt all´ ihre Vergehen auf. »Sieben Tankstellen, vier Kioske, drei Nagelstudios und sechs Plattenläden. Da hab ich mich mit Musik begnügt. Viel Kohle ist in so `nem Laden Fehlanzeige.« Sie lächelt. Also, sie zählt doch noch. Plattenläden - gemeines Stück! »Und im Nagelstudio, haste dir die Nägel feilen lassen?« Ich schmunzle über meine Stichelei. Freue mich, beinahe der Alte zu sein. Angestachelt, setze ich einen drauf. »Alles zu Fuß. Yep!« »Du Arsch! Du glaubst mir nicht?« Sie fuchtelt mit der Waffe vor meiner Nase, die sie flugs aus dem Fußraum gekramt hat. Bitte bedrohen Sie den Fahrer nicht während der Fahrt!
Was ein öder Sound! Ich hasse mutierte Klingeltöne. Aber dieser rettet mir das Leben! Grinse in mich hinein. In der einen Hand die Knarre, befreit sie umständlich mit der anderen das Handy aus der knackigen, superengen Hosentasche. Der öde Sound wird lauter. Zusammengekniffene Mandelaugen stieren auf das Display.
Der öde Sound bleibt. Erstaunlich! Ein altes Handy, ähnlich oll wie meins. Was ist mit Facebook und Co.?
»Ja, Zita?« Geschickt führt sie es vorbei an den Ninja-Kämpfer-Haaren zum Ohr. Ihr Mund bleibt geöffnet. Gebannt lauscht sie. Auf der anderen Seite der Leitung ist Furchtbares geschehen. Sogar ich vernehme das Schluchzen und Jammern, wenn ich auch nichts verstehe.
»Okay, hör´ auf zu heulen! Wir kriegen das schon hin. Na, wenn´s um Leben und Tod geht!« Fragend checkt sie mich ab, die Stirn wirft winzige pralle Falten.
Dass das geht. Ich weiß zwar nicht, warum, aber ich nicke. Bin für jeden Scheiß zu haben. Viel schlimmer kann´s nicht kommen.
»In circa `ner halben Stunde schlag ich bei dir auf. Hab ein Auto, abgemacht? Bis denn!« Hastig beendet sie das Gespräch. »Schrecklich! Fahren wir zu ihr. Ich bete, dass Sue recht behält und das Orten des Handys unmöglich ist.« Entrüstet umklammert, hypnotisiert sie das klobige Ding. Es klingt gemein, die Handytheorie und ihre Erscheinung amüsieren mich.
»Die Nächste rechts, nachher der Straße folgen«, murmelt sie. »Keine Idee, was da passiert ist. Zita ist aufgelöst, es muss sehr, sehr tragisch sein.« Mit erhobenem Finger ermahnt sie sich: »Cat! Lass' es aus!«
»Deines ist fast so alt wie meins. Ich bin technikresistent, mir reicht es. Und Du? Nicht vernetzt? Social Network und so?« »Oh Mann! Twittere ich gleich: Überfall, Abkassieren unmöglich, Polypen verletzt, fahre zu Zita? Besser noch, ich poste bei Facebook den nächsten Bruch mit Angabe der Koordinaten, damit die Bullen mir `nen liebevollen Empfang vorbereiten? Hältst du mich für naiv? Ich lebe ein selbstbestimmtes Leben! Ich habe mit Sue getauscht – Smartphone gegen das unscheinbare und vor allem unknackbare Profi-Super-Notfall-Handy!« Okay, okay, bin überzeugt, wenn es denn unknackbar und nicht zu orten ist! Den Rest der Fahrt verbringen wir still, bis auf ihre Fahranweisungen.
Ich nutze die Zeit für Gesichts- und Gedankenübungen. Training der Mimik – wichtig. Trainiere ich häufig, meist ohne Gesellschaft, immer aber im Auto.
Cat hängt eigenen Hirngespinsten nach, kratzt mit der Waffe den Kopf, bemerkt mich nicht. Angenehme Begleitung! Bezaubernde schweigende Frauen, hab ich mir ja gewünscht.
Ich untersuche mehrfach den Rückspiegel. Ups, der Schluck Kaffee ging daneben, macht mich nicht schöner. Ob ich ihr einen anbiete? Apropos, braun. Angst und Schrecken lauern überall. ›Die braune Gefahr‹ habe ich ordentlich unterschätzt. Dachte, sie stirbt aus. Doch hirntote Glatzen agieren präsenter denn je. Eine zusätzliche Bedrohung für die Gesellschaft stellen die ›Udos‹ dieser Welt dar! Ich könnte ihr davon berichten. Nein. So bleibt mir Zeit für subjektive Betrachtung. Na, Hauptsache man betrachtet irgendetwas.
Genau, die ›Udos‹ dieser Welt! Die sind meist unauffällig, getarnt, Models, zielstrebig, erfolgreich, und das nur monetär. Sie verfügen über soziale Intelligenz, die bei Minus 10, wenn nicht sogar bei Minus 50 liegt. Die rangieren weit oben auf meiner innerlichen Wutskala. Ich weiß, wovon ich spreche. Die kennen Schlupflöcher, um Steuern zu sparen, immer reicher und reicher zu werden. Schrecken nicht davor zurück, nach China zu gehen, wenn in Deutschland der Arsch ab ist, um Zaster zu scheffeln. Natürlich pfeifen sie auf Menschenrechte. Recht erhält nur der Starke. Klischee? Wenn das leider genau so ist? Ach ja, soziale Intelligenz und Kompetenz von Minus 10 bis Minus 50 spiegelt sich in den Reihen unserer Politiker. Ich schließe keine Partei aus! Macht um jeden Preis! Das Wort ›sozial‹ gebrauchen sie vollkommen sinnentleert. Diäten erhöhen, gesellschaftliche Errungenschaften zerstören, so ist das heute. Diese ›Agenda 2010‹-Scheiße, na, wir sehen, was uns blüht. Die Leutchen arbeiten für minimale Kohle, müssen aufstocken, um zu existieren. Panik und Politik - passt hervorragend zusammen.
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