Das Knistern der Papiertüte schwillt zu ohrenbetäubendem Lärm. Ich schrecke zusammen, entschlossen, den Krach in den Griff zu bekommen. Erneut bleibt mir die Luft weg. Auf unerklärliche Weise tragen mich meine Beine bis vor das Pult. Los - jetzt Tüten-Tarneinsatz!
Tattoo Lady Betty Page hebt die knisternde Tüte, dann erstarrt sie. Schleichend wechselt meine Farbe - bin transparent. Kalter Angstschweiß bricht aus all meinen Poren. Einem ›Hau den Lucas‹ gleich schießt diese Dame mit Nickelbrille hinter dem Pult hervor.
Die Zwillingsschwester von Harry Potter – hallt es durch meinen Kopf. Transparenz schwindet. Das Blut pocht in meinen Ohren und meinen Knien. Ich winsele mit letzter Kraft: »Überweisungsträger.« Irgendetwas drückt mir die Gurgel zu. »Überweisungsträger, ich benötige Überweisungsträger.« Die Augen meines unverhofften Gegenübers blitzen angriffslustig. Die Mundwinkel hängen teilnahmslos - wie bei der Merkel – Chuckys Braut. »Bitte!«, presse ich heiser mit ungelogen allerletzter Kraft aus mir heraus.
Das gereizte Funkeln ist besänftigt. Genauso blitzartig, wie sie erschien, knallt sie mir einen Stapel Formulare vor die Nase.
»Schönen Tag noch«, lispelt sie. Ihr Wispern kriecht in meine Eingeweide, die sich träge ordnen. Schwups, ist sie hinter dem klobigen Möbel verschwunden. Ich greife nach den Vordrucken, stopfe sie in die Papiertüte. Blutleer drehe ich mich um meine eigene Achse, schwebe aus der Bank. Erleichtert, unterkühlt durch den Schweiß und von Panik geschüttelt finde ich mich vor dem Geldhaus wieder. Meine Papiertüte in der Hand baumelt am schlaffen Arm. Die Meute - aufgelöst. Weder Bullen noch Mädchen, auch der Alte ist verduftet. Sogar die Sonne will versinken bei meinem erbärmlichen Anblick. Unfassbar, das war meine große Chance, und ich vermassele den Scheiß. Eine todsichere Chance. Schlimmer, als `nen Elfmeter zu vergeben. Ich trete ins Nichts. Den hätte ich machen müssen! Ich spüre dumpfe Leere – fuck.
Schwitzen, schmoren im eigenen Sud. Gedemütigt kratze ich mich hinter dem Ohr, berühre das ekelhaft klebende Haar, nutze das Zeitfenster für Überlegungen. Wie ist Plan B?
Schwitzen, schmoren im eigenen Sud. Gedemütigt kratze ich mich hinter dem Ohr, berühre das ekelhaft klebende Haar, nutze das Zeitfenster für Überlegungen. Wie ist Plan B?
»Du?«, werde ich aus den Gedanken gerissen. »Du da sind Löcher in der Tüte!«
Ich beuge mich nach unten, von wo die Worte träge zu mir aufsteigen. »Ein Gesicht.« Der Knirps lächelt. Die dicklichen Arme und Hände wenden sich erneut der Knisternden zu. Sie fingern an den Löchern, aus denen Teile der Überweisungsträger neugierig hervorlugen.
»Ist eine afrikanische Gesichtstüte, sehr, sehr wertvoll!«, entgegne ich mit versteinertem Ausdruck. Seine Augen mustern die Geheimnisvolle abermals, jetzt mit einem bewundernden Kennerblick, der es nicht zulässt, sie nochmals zu berühren.
»Gregor, sprich nicht mit Fremden, komm´ sofort hierher!« Dem Ruf der Mutter folgend, verlässt er mich. Was `ne Nummer, ist ja erbärmlich. Verkackt!
Mit hängendem Kopf und schmerzenden Gliedern schleppe ich meinen Zementsack-schweren Körper, die afrikanische Gesichtstüte baumelt, Richtung Auto.
Nicole & Roselinde
Mein klappriger Mazda ›Der Weiße‹ erwartet mich. Ich reiße die Fahrertüre auf. Der abgestandene scharfbeißende Schwall wabert mir entgegen. Rücklings falle ich auf die Sitze, die Beine hängen leblos aus dem Wagen. Schleppend und hörbar ziehe ich die Fersen über den Bürgersteig. Angewinkelt bleiben die Beine draußen. Kurze Pause.
Betty räkelt sich auf dem Polster, so, als kuschelte sie in flauschiger Zuckerwatte. Im Fußraum windet sich das beschuppte Drachen-Monster, bereit, gleich Vollgas zu geben.
Nach einer gefühlten Ewigkeit rapple ich mich auf. Die wertvolle Tüte verbanne ich auf den Rücksitz. Die Sonne brutzelt. Tempo 30 ist angesagt.
»Geh Göre!«, schreie ich. Dieses Blag quert diagonal die Straße, ohne einen Blick an den Verkehr zu verschwenden. Der verschwitzte Arm, zu dem die perfekten Tattoos gehören, durchwedelt stickige Luft. Schweißtropfen hüpfen, gehen rund um mich nieder. Na, wenn das Mal keinen Regenbogen gibt.
Meine Zähne knirschen. Fast schmerzhaft kräuselt sich meine Stirn und meine Augen bilden Schlitze, münden in braungebrannten Krähenfüßen. Wie fühlt sich das an, wenn ich vorwärts, rückwärts, vorwärts, rückwärts über diese Göre ... die sich einfach nicht vorschriftsmäßig verhalten will? »Kopfkino für Genießer!«
»Stichwort - N i c o l e – komm auf andere Gedanken! Alles, was dir jetzt durch den Kopf schießt, wird deine Stimmung beeinflussen«, säuselt der Koi. Er grinst ein rotes Grinsen.
Wahrlich ein perfektes Stichwort. Nicole - sie schwört auf trashigen Kitsch und saftige Erotik, schwärmt von diesen entzückenden Filmchen. Roselinde Pichler heißt doch die, deren Bücher als Vorlage herhielten? Man, was da an Kohle floss, als der Mist verfilmt wurde? Nicole – nicht hübsch, nicht hässlich. Durchschnitt, aber auf Dauer unerträglich.
»Hab ich die Haare schön? Eine neue Farbe war bei `ner anderen Friseuse. Meine Tasche - niedlich, ne? Mir bleibt doch nix anderes, als jeden Tag putzen. Die Welt ist so schmutzig! Manchmal verzweifele ich. Und jeden Tag in die Stadt gehen und einkaufen befriedigt nur kurzfristig. War das ein lustiger Abend, als wir ordentlich einen pichelten. Pling, mein Schatz!« Unentwegt plappert dieses Mündchen – Lippenstift ist zu dick und viel zu rot aufgetragen. Säuseln in meinen Ohren, ich befürchte, ohnmächtig zusammen zusacken. Nein, die Dame ist alles andere als blond! Ich schüttle mich angewidert.
Nee, stelle mir vor, ich hätte täglich solche Weiber um mich. Die wünschen nur eins, bespaßt zu werden. Okay, sie sehen echt annehmbar aus, nette Püppitäschchen unter den Achseln, wechseln mindestens zweimal am Tag die Klamotten, zusehen - Fehlanzeige. Das Essen zahl immer nur ich. Politik - Sie wissen, wie man es schreibt - toll! Bücher oder Dokumentationen mit Wahrheitsgehalt ertragen sie nicht, agieren hysterisch, und mit Anfassen ist auch nix. Wieso in Gottes Namen lernte ich diese Frau kennen? Und warum verbrachte ich Zeit mit ihr? Ob man so was sagen darf? Politisch korrekt war ich nie, meine Freunde verstehen das. »Ich hoffte auf positive Gedanken« , schmollt der Koi.
Ich ignoriere ihn, richte meine volle Aufmerksamkeit auf die Straße. Vielleicht läuft mir irgendwas Lebendiges über den Weg. Ich grunze, lache und entblöße meine weißen Zähne. Mhhh, kalter Milchkaffee von heute Morgen. Ja, Milchkaffee. Tattoos bedeuten nicht zwangsläufig Bier!
Das lauwarme, braune Nass erfrischt meinen klebrigen Gaumen. Tropfen sprudeln aus meinem rechten Mundwinkel, folgen dem Kinn. Und wieder blitzen meine weißen Zähne im stechend quälenden Sonnenlicht. Ich blinzle hinüber, in das Auto auf der rechten Spur, mein Lächeln wird erwidert.
Schweiß braucht Ablenkung! Ich denke an Geld, die nächste Fälligkeit der Krankenversicherung - Geld - und Fußball. Deutschland ist erwartungsgemäß natürlich nur Dritter der WM geworden. Mit 51 Punkten beim Tippen war ich gar nicht schlecht, hatte die Holländer als Weltmeister auf dem Schirm. War nix.
Schweiß braucht Nahrung – Flüssignahrung. Nochmals greife ich auf den Beifahrersitz und fingere am kaffeegefüllten Chutneyglas. Es klemmt, das verdammte Ding, ich habe immer eins dabei. Ich muss anerkennen, von Minute zu Minute geht es mir besser! Trotzdem die Hitze im Mazda konstant steigt und die Tattoos perfekter denn je glänzen. Die Klimaanlage ist defekt, die Scheibenheber leider auch. Bankraub, das war `ne Kack-Idee!
Loser & Ninja-Kämpferin
Ich glaub´s nicht. Das ist sie doch! Überrascht verschlucke ich den Kaugummi. Das Girlie sieht besser aus, als ich bei dem Fight mit den Bullen ahnte. Die Ninja-Kämpfer-Haare wirbeln besänftigend um das ovale Gesicht und die Schultern. Eine riesige geblümte Tasche ruht schwer auf angespannter Schulter. Der schlanke Hals wird lang und länger. Modigliani.
Читать дальше