“Er hat tatsächlich nichts gesagt?”, fragte Frank ungläubig.
“Fast nichts. Nur ganz leise, als ich ihm ein Glas Wein brachte, zischte er: `Vorsicht. Mach keinen Fehler.´”
“Zwei Ganoven unter sich“, höhnte Frank.. “Und als Ruth sagte, sie wolle Edelmann aufsuchen, hast du sie viele Grüße übermitteln lassen.”
“Hör auf mit dem Unsinn. Natürlich habe ich sie gebeten, es nicht zu tun. Ich weiß nicht, wer oder was dieser Frank Nickel war, bevor er zu mir kam, aber bestimmt hatte er einen triftigen Grund, den Namen zu ändern. Genau wie ich als ich nach England kam. Es sind aber inzwischen längst verjährte, langweilige Geschichten, für die sich kein Mensch interessiert. Wem ist damit gedient, in der abgestandenen trüben Brühe herumzurühren. Leider habe ich sie nicht überzeugen können.”
“Leider?”
“Natürlich leider. Die Polizei sagte, sie sei zum verabredeten Interview nie erschienen. Tragischer Zufall, nicht wahr?”, fügte er mehrdeutig hinzu.
“Woher wusste Edelmann, dass Ruth ihn besuchen wollte? Hast du ihn vorgewarnt?”
“Warum sollte ich? Hätte ich sagen sollen, es kommt eine, die weiß, dass Sie Frank Nickel waren? Ich bin doch nicht sein Schutzengel. Die Polizei hat erwähnt, dass sie sich bei seiner Sekretärin ganz offiziell angemeldet hat. So einfach ist manches.”
Beckmann brachte Frank zu Tür. “Horst, ich bin sicher, dass Ruths Tod nichts mit dieser alten Geschichte zu tun hat. Ein Verrückter, ein Zufall, ein Frauenhasser. Lass die Polizei ihre Arbeit machen. Edelmann ist jetzt Edelmann und ich bin jetzt Beckmann. Keiner will über Schweinereien von damals etwas wissen. Viele wollten damals ihre Vergangenheit abschütteln.. Der Albtraum war vorbei, für die Guten wie für die Bösen. Alle wollten nur einem Neuanfang, ein neues Leben nach der Katastrophe. Ein neuer Name ist wie eine neue Haut. Und ein Mensch in einer neuen Haut ist ein neuer Mensch. Es ist bestimmt tausendfach vorgekommen und hat mit heute nichts mehr zu tun.
Ich weiß nicht, was du damals gemacht hast, während des Krieges. Aber ich habe den Eindruck, dass Ruth dir von ihrem Leben mit ihrem ersten Mann Frank Nickel nicht viel erzählt hat. Irgend etwas muss da gewesen sein. Irgend ein Geheimnis. Aber sie ist tot und ich glaube, du wirst es nicht mehr lüpfen können. Vergiss es. Die Polizei wird Ruths Mörder bestimmt bald finden. Die alten Geschichten würden dich nur schmerzen. Lass sie ruhen.”
Frank verließ das Fabrikgelände ohne das Gemälde, welches Beckmann ihm ermäßigt angeboten hatte.
Am Sonntag Morgen rief Jan an und schlug bei dem schönen Wetter ein Treffen im Biergarten am Bootshaus vor. Es war Gabis Idee, denn sie wollte bei dem Sonnenschein mit dem kleinen David ein Ruderboot mieten. “Während dessen sollen wir beiden Männer spazieren gehen. Ihr habt bestimmt genug zu bereden,“ zitierte er sie.” Mürrisch stimmte Frank zu. Gabi mochte er, aber zum kleinen David fand er keinen Zugang.
Von seiner Wohnung in der Amalienstraße bis zum Kleinhesseloher See war es nicht weit. Seit seiner Scheidung hatte er sich einen täglichen schnellen Konditionsgang um den See verordnet den er mit einer gewissen Regelmäßigkeit absolvierte. Als er Marc während eines New York Aufenthalts von seiner auferlegten Kasteiung erzählte, brach der in höhnisches Gelächter aus. “Frank, wenn du glaubst, du musst mit 64 gegen das Alter ankämpfen, dann bist du es. Oder du bist schon zu lange in Deutschland. Da gab es diesen Turnvater Jahn, nicht wahr? Ich fürchte, sein Geist hat dich kontaminiert. Du brauchst dringend einen Teufelsaustreiber“. Frank verkniff sich bei solchen Verarschungen spitze Sticheleien; Mark war zu dick und wusste es.
Obwohl leicht kurzsichtig, erkannte Frank Gabi schon von weitem. Was nicht schwer war, denn sie stach wie immer aus einer Gruppe hervor. Es war nicht nur ihr manchmal hochgestecktes, manchmal bis zur Schulter fließendes schwarzes Haar, ihre schlanke, aufrechte Figur, ihre schmales Gesicht mit den unsymmetrisch schrägen grünen Augen, es war vielmehr die selbstsichere Distanz, die sie umhüllte wie ein Kokon die sie von der Menge abhob. Immer wieder erstaunte ihn, dass es seinem Sohn gelungen war, diese Schutzhülle zu durchbrechen. Bewundernd und nicht ohne Neid musste er feststellen, dass Jan stark war. Schlau und flink in den Strassen von Manhattan als Junge, ehrgeizig und intelligent in den Schulen, geschickt und fähig als Berater erst im Pentagon und nun hier in Deutschland. Und schließlich Ehemann dieser selbstbewussten Frau. Seit Carolas Tod fragte sich Frank , ob dieser geradlinige Sohn überhaupt im Stande wäre, die Naivität und Lügen seines Vaters zu verstehen.
Mit dem quengelnden kleinen David an der Hand suchten sie im Biergarten einen Tisch, der nicht allzu nahe am Wasser stand. “Ich kann David sonst kaum bändigen“, entschuldigte sich Gabi. Lange hält er es hier sowieso nicht aus.”
Es war heiß und der Biergarten fast bis auf den letzten Platz voll. Gabi erkannte, dass sie mit David die Stellung nicht lange halten könnte und verzichtete auf eine Bestellung.
Mit der Bemerkung, “du warst kürzlich in Paris“, leitete Gabi das Gespräch weg vom Geplauder über die Hitze und die verfressenen Schwäne, die von gelangweilten Kindern mit Brotresten verfettet wurden: “Ich nehme an, sie lachen sich ins Fäustchen über die ruhmlose Flucht der Amis aus Vietnam. Ich kann nur hoffen, dass der Sieg das ewige Ho, Ho, Ho Chi Minh und Mao, Mao Geschrei nicht noch anheizt. Ich kann es nicht mehr hören. Zwei Diktatoren werden wie Heilige in den Himmel gelobt nur weil sie gegen die Amis sind. Warum geht denn keiner dieser Schreihälse auf die Straße und brüllt: Ho, Ho, Honecker? Ganz klar, weil der keinen Sex Appeal hat. Sind die Franzosen auch so blöd?”
Frank mochte Gabis Vorliebe für Provokationen. “ Das kann ich dir leider nicht beantworten. Die Generation, mit der ich dort verhandle, betrachtet sicherlich General Giap und Ho Chi Minh etwas nüchterner, nachdem die Fremdenlegion aus dem Land geworfen wurde. Allerdings sind sie sicherlich nicht frei von Schadenfreude, dass sich nun auch die Amis eine blutige Nase geholt haben. Jetzt ist die Grande Nation wieder auf gleicher Augenhöhe mit den mächtigen, aber so dummen Amis.”
Gabi lachte leise. “Das kann ich mir gut vorstellen. Die bedrücken Mienen der arrivierten Herren über den verlorenen Krieg und die amerikanischen Verluste und die Aufrechung im Hinterkopf gegen die Eigenen. Oder sollte ich lieber sagen, der eigenen Fremden, denn es waren primär Fremdenlegionäre. Die Amerikaner haben dafür ihre Schwarzen.”
Jans Bemühungen, unbeteiligt zu lächeln, misslang vollkommen. Alle Drei kannten das familiäre `Vietnam-`Mensch ärgere dich nicht´ Spiel´, das sie so oft durchstritten hatten. Gabi und Frank verachteten die Verherrlichung der “Volksbefreier” und waren zugleich äußerst argwöhnisch gegenüber den edlen Absichten der Amerikaner. Jan dagegen bejahte fast alles, das sich der Ausbreitung der kommunistischen Diktatur entgegenstemmte und unterstützte alle amerikanischen Aktionen, die das vorgaben.
Jans Argumente verliefen gewöhnlich so: “Ihr liberalen Schöngeister seid zwar immer zutriefst betroffen, doch zugleich so abgehoben und abgeklärt, dass ihr alles bis zur Trivialität relativiert. Die Sadisten sind zwar böse, doch sie können nach ihrer Kindheit nichts dafür, die Kommunisten sind zwar aggressiv und diktatorisch, doch letztlich aus guten Motiven. Wirklich Böse gibt’s wenige: nur eine Handvoll Diktatoren in Südamerika, die sich von US Konzernen und der CIA aushalten lassen. Die sogenannten Guten sind nicht besser: Ausrottung der Indianer, Sklavenhandel, Kolonialherrschaft, Rassismus und Kriege führen. Wer gegen Amerika ist, ist also der Gute. Dumm nur, das wir froh sind, ihre Panzer bei uns zu haben als Schutz vor Amerikas ärgsten Gegnern. Nur wenn Länder weit weg von Kommunisten überrannt werden finden wir das toll und schimpfen auf die Amis, die es verhindern wollen. Heuchlerische Gutmenschen sind das Schlimmste. Gott sei Dank gibt es in Amerika jedoch noch Menschen, die nicht nur das Gute wollen, sondern sogar bereit sind, große Opfer dafür zu bringen.”
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