1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Nach einigen Höflichkeiten fragte er: “Frau Nordan, gab es denn einen besonderen Grund für Ruth, den Maler Emil Beckmann aufzusuchen? Ist er bekannt? Ich habe seinen Namen nie gehört.”
“Zumindest in Berlin ja. Er scheint dort gehandelt zu werden. Ruth hat ihn eher beiläufig erwähnt und erwogen, etwas über ihn zu schreiben und seine Bilder zu fotografieren. Ich habe deshalb im Archiv nachgeschaut, was wir über ihn haben. Einige Ausstellungen in Berlin, auch einmal in Frankreich. Nicht viel. Auch einen kleinen Lebenslauf, den jemand anlässlich einer Ausstellung geschrieben hat. Und einen Zeitungsartikel über eine Vernissage in Berlin mit einem Photo.”
“Und?”
“Ja, das war komisch. Auf dem Photo war der Maler in seinem Atelier mit mehreren Besuchern zu sehen. Als Ruth es kurz anschaute, jappte sie kurz nach Luft und wurde bleich. Und was noch komischer war: Sie hauchte leise Ihren Namen.”
“Meinen Namen?”, wiederholte Frank verblüfft.
“Ja, Frank Nickel.”
Frank schwieg.
“Sind Sie noch da?”, fragt Nordan besorgt.
“Ja, natürlich. Es ist beklemmend. Kann ich vorbeikommen und den Artikel sehen?”
“Leider nicht. Ruth hat ihn mitgenommen. Die Polizei hat auch gefragt, warum Ruth Beckmann aufsuchen wollte. Ich sagte, weil das ihr Job ist. Den Zeitungsartikel habe ich nicht erwähnt. Wenn ich ehrlich bin, sogar vergessen. Ich konnte denen nur von Ruths Anruf nach ihrem Besuch bei Beckmann berichten. Sie wollte zu Minister Edelmann in Hannover. Hätte noch keinen Termin, würde sich wieder melden.”
“Was!”, rief Frank in den Hörer, “sie wollte nach Hannover zu einem Minister Edelmann? Da ist sie ermordet worden.”
Unterdrücktes Schluchzen war zu hören. “Ja, ich weiß. Deswegen habe ich es gesagt. Das musste ich doch?”
Nordans eingefleischte Befangenheit mit Berufsgeheimnissen war anrührend.
“Ja, natürlich. Das mussten Sie, Ruths wegen.”
Zum Abschied versprach Frank, ihr Bescheid zu geben, wenn sich etwas Neues ergäbe.
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Frank erkannte fast nichts auf der kurzen Taxifahrt vom Flughafen. Nur das Charlottenburger Schloss im Vorbeifahren, den Kudamm mit Bäumen, jedoch kein einziges Gebäude; dann Bahnhof Zoo. Ein halbes Jahrhundert und ein Dauerbombardement hatten alles ausradiert, was in seinem Gedächtnis Nachwehen erzeugt hätte. “Zum ersten Mal hier?”, fragte der Fahrer, “Sie drehen sich noch den Kopf ab.”
“Nein, es ist meine Heimat“, hörte sich Frank sagen. Den Fahrer schien die Antwort zu missfallen, sein Blick verschwand aus dem Rückspiegel. Merkwürdige Heimat, sinnierte Frank über seine eigene Antwort. Obwohl schon sieben Jahre wieder im Land hatte er immer eine Begründung gefunden, gerade jetzt seine Geburtsstadt nicht zu besuchen. Dieses Mal hatte er nicht gezögert: Er musste Emil Beckmann sprechen.
Nach dem Einchecken im Hotel verbrachte er den Nachmittag bei einem ausgedehnten Streifzug durch seine alte Wohn- und Schulgegend und mit der Suche nach kaum noch auffindbarer Plätze erster Verabredungen mit Carola. Die meisten lagen allerdings nun im unerreichbaren Osten.
Ernüchtert von der Unwiederbringlichkeit vergangener Empfindungen machte er sich nach kurzer Pause im Hotel auf den Weg zu Beckmanns Atelier in der Lützowstraße, nahe der Potsdamerstrasse. Die Gegend wirkte trist und heruntergekommen in der Dämmerung, geschmückt nur durch einige kurzrockige, hochhackige Schönheiten, die ihm verlockend zulächelten oder auffällig langsamen Autos nachschauten.
Fast wollte Frank nach etlichen Irrungen die Suche aufgeben, als vor einem scheinbar brachliegenden Fabrikgelände sein Blick auf ein Metallschild an einem Zaunpfosten fiel. `Emil Beckmann, Maler und Bildhauer´. Ein Pfeil deutete auf eine verlassenen Fabrikhalle. `Wie hat Carola das nur gefunden´, dachte er bewundernd.
Zwei Hallen und ein verlassenes Backsteingebäude bildeten einen kleinen Innenhof. Im Parterre der einen Halle brannte Licht. Er hatte sich nicht anmelden können, denn im Telefonbuch war Beckmann nicht verzeichnet.
Frank hatte sich bereits darauf eingestellt, beim ersten Versuch erfolglos zu bleiben. Nachdem er mehrere Male an die eiserne Tür geklopft hatte und resigniert aufgeben wollte, hörte er Schritte. Es öffnete ein weißhaariger Riese. Beckmann war sicherlich einsneunzig groß, breitschultrig, mit einem von langen weißen Haaren umrahmten Gesicht. Eine kleine rahmenlose Brille auf der riesigen Nase verlieh seinem breiten, durchfurchten Gesicht einen komödiantischen Ausdruck.
Frank hatte sich inzwischen bei Galeristen über Beckmann informiert . Er galt als ein Berliner Geheimtipp, dessen riesigen, grellen Kompositionen, vollgepflastert mit fragmentarisch angedeuteten und entfremdeten politischen und sportlichen Szenen aus Tageszeitung und Magazinen, den Geschmack einer begeisterten kleinen, meist jungen Gemeinde trafen. Sein Marktwert war seit einem Jahr rasant gestiegen.
“Polizei, Presse, Galerist oder sogar Käufer?”, war Beckmanns wohl standardisierter Eröffnungssatz.
“Weder noch. Betroffener.”
Beckmann stutzte und schaute ihn an. “Betroffener? Von meiner Kunst oder vom scheiß Leben?.”
“Vom Scheißleben,“ antworte Frank schlicht.
“Dann kommen Sie rein“, sagte er mit warmer, tiefer Stimme und schien zu schrumpfen.
Wortlos führte er Frank ins Atelier. Die ehemalige Fabrikhalle war gewaltig. Eisenträger hoben sich schwarz ab gegen die im Mondlicht mattleuchtende Schmutzschicht des Glasdachs. Der halbe Saal lag im Dämmerlicht. Die andere Hälfte war beleuchtet durch Wandstrahler und spärlich möbliert mit Regalen und einem Biergartentisch gepfercht mit Malutensilien. Dominierend jedoch waren die riesigen grellfarbigen Gemälde in verschiedenen Stadien der Fertigstellung an den Wänden.
“Ich habe nie von Ihnen gehört“, gestand Frank und ließ den Blick bewundernd über die Bilder streifen. “Ich frage mich nur, warum nicht. Sie sind eindrucksvoll.”
“Es geht Ihnen wie den Menschen. Alle sagen das Gleiche.” Er lachte und hustete. “Heute würde man sagen, ich habe ein scheiß Marketing. Aber bitte, noch bin ich preiswert. Legen Sie ein paar Hunderttausend hin, und Sie können auswählen.”
“Hätte ich sie, täte ich es“, antwortete Frank.
Beckmann lachte laut und hustete. “Schon wieder jemand, der mich mit Geld überhäufen möchte“, scherzte er. “Leider scheint im Augenblick gerade keiner flüssig zu sein.”
Er wechselt den Tonfall: “Aber Sie fallen aus dem Raster. Betroffener.”
“Ja, leider. Mein Name ist Horst Rothmann. Ich bin Ruths Mann.”
“Oh, das tut mir leid. Du bist wirklich Betroffener. Setz dich“, bat er mit einer höflichen Handbewegung in Richtung einiger alter Sessel in einer Ecke. “Ich war bei Tee. Ist Rotwein OK?”
Frank nickte und setzte sich während Beckmann kurz in einen Nebenraum verschwand.
“Also gut, wie kann ich dir helfen? Du willst sicherlich wissen, worüber Ruth und ich geredet haben. Genau wie die Polizei.” sagte er nachdem er Rotwein eingeschenkt und sich Frank gegenüber in einen alten Ohrensessel neidergelassen hatte. “Viel kann ich dir nicht sagen. Es war ein sehr angenehmes Geplauder, - Quatsch -“, unterbrach er sich verärgert, “ein sehr lebhaftes, interessantes Gespräch. Sie war eine wunderbare Frau.” Nach einer nachdenklichen Pause fuhr er fort: “Die Polizei war zwei Mal hier, um meine Eignung als Mörder zu prüfen. Fehlanzeige. Die scheiß Presse war drei Mal da in der Hoffnung, ich könnte doch dahinter stecken. Um ehrlich zu sein, hat der Rummel zumindest meinen lokalen Marktwert gesteigert. Glaubst du, ich hätte sie ermordet? Oder was willst du von mir?”
“Ich habe mich erkundigt. Dein Stern ist seit einiger Zeit in Berlin gestiegen. Aber trotzdem habe ich mich gewundert: Warum wollte Ruth gerade jetzt einen Artikel über dich schreiben? Oder anders gefragt: Warum hat sie dich aufgesucht?”
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