Pepe lehnte sich zurück. „Wie kommen sie gerade auf mich?“, fragte er. „Sie haben sich mittels eines schnellen, gut recherchierten Ermittlungserfolges einen Namen gemacht. Gleiches erwarte ich jetzt von ihnen.“, antwortete die Direktorin. Palmayer erinnerte sich. Es war zehn Jahre her, als er sich mit vollem Einsatz in die Arbeit vertiefte. Die Lösung des damaligen Falles schien ihm wichtig. Er war kurz zuvor von seiner Jugendliebe Sabrina geschieden worden und hatte das Bedürfnis, sich zu beweisen. Damit er von sich glauben konnte, in irgendetwas gut zu sein, wenn er es im Führen einer Ehe nicht war. Und er war gut. Der Erfolg hatte ihm die Beförderung vom Gruppeninspektor zum Bezirksinspektor eingebracht. War er noch gut? Bissig und motiviert? Die Direktorin schien es zu glauben. Und wenn die Vermutungen der Vorgesetzten stimmten, waren sie einer großen Sache auf der Spur. Zu groß für ihn?
Palmayer war einen Moment zu lange in Gedanken versunken. Er bemerkte, dass ihn die Direktorin und sein Kollege erwartungsvoll anstarrten. Er riss sich zusammen und setzte sich aufrecht hin, was der Ledercouch ein quietschendes Geräusch entlockte. „Gut. Wir stellen Ermittlungen in diese Richtung an“, sagte er, um irgendetwas zu sagen. „Wenn es ein politisch motiviertes Verbrechen war, brauchen wir mehr Hintergrundinformationen.“, ergänzte Pepe. Dannemann-Wagner nickte. „Ermitteln sie im beruflichen Umfeld. Erkundigen sie sich im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach ihrer Arbeit. Wenn sie Unterstützung brauchen, können sie sich an mich wenden.“ Palmayer bedankte sich und sah seinen Kollegen an. Zeit zum Aufbruch. Die beiden Polizisten erhoben sich. Die Direktorin tat es ihnen gleich. „Ich erwarte vollen Einsatz. Das muss ich nicht extra sagen“, meinte Dannemann-Wagner, „Ein schneller Erfolg ist absolut wichtig und ich wünsche eine umfassende und umgehende Berichterstattung über die Fortschritte. Ich leite in dem Fall die Ermittlungen.“ Mit diesen Worten war die Unterredung beendet und Palmayer verließ mit Wimmer das Büro der Direktorin, nachdem sie sich freundlich verabschiedet hatten. Im Vorzimmer wünschten sie der jungen Dame einen schönen Tag und begaben sie sich zum Aufzug.
In der mit silbernen Platten ausgekleideten Kabine des Fahrstuhls standen die Kriminalbeamten nebeneinander. Außer ihnen war niemand im Lift, als Wimmer zu sprechen begann. „Dass sich die Landespolizeidirektorin in laufende Ermittlungen einmischt. Das ist nicht die normale Vorgehensweise.“ Pepe nickte. „Stimmt. Sie befürchten scheinbar eine große Sache dahinter. Hohe Persönlichkeiten. Ich vermute, direkt vom Innenministerium“, antwortete Palmayer seinem Kollegen. „Das Bundesamt und die Fremdenpolizei sind dem Ministerium unterstellt. Wollen sie was vertuschen?“, fragte Wimmer. Die Aufzugstüre öffnete sich und Pepe legte Franz die Hand auf die Schulter. Er drückte leicht das Schulterpolster des Ledersakkos. „Daran will ich nicht denken. Wir wären die Verlierer. Wir müssten ermitteln, damit gegenüber der Öffentlichkeit glaubhaft dokumentiert werden kann, dass in allen Richtungen Nachforschungen angestellt wurden. Wir dürften nicht das Geringste herausfinden. Am Schluss müsste es ein einfacher Einbruch gewesen sein.“
Sie verließen die Landespolizeidirektion und gingen Richtung Auto, als in Palmayers Anzugssakko das Handy klingelte. Er blieb vor der an der Granitfassade angebrachten Gedenktafel stehen, die an das achtzehnhunderteinundachtzig abgebrannte Ringtheater und das daraufhin an der Stelle erbaute Sühnehaus erinnerte. Das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Erst neunzehnhundertneunundsechzig wurde die jetzige Landespolizeidirektion auf dem Grundstück errichtet. Jetzt kramte Pepe auf diesem geschichtsträchtigen Platz in den Innentaschen hektisch nach dem Mobiltelefon. Er hatte lange gebraucht, um das Telefon herauszuholen. Das hinderte ihn nicht, sich die Zeit für einen Blick auf das Display zu nehmen. Dr. Mayr stand darauf. „Der Staatsanwalt“, berichtete Peter seinem Kollegen und drückte auf die grüne Annahmetaste. „Palmayer“, meldete er sich. Eine ganze Zeit lang lauschte Pepe dem Anrufer. Während Pepe telefonierte, nahm sich Wimmer die Zeit die Gedenktafel zu lesen. Er zog sich das Ledersakko über der Brust zu. Normalerweise war er nicht kälteempfindlich. An einem trüben Tag wie heute wäre eine Jacke oder ein Mantel angemessen gewesen. Das Lauschen Pepes am Telefon wurde öfter durch ein „Aha.“ von Palmayer unterbrochen. Ein „In Ordnung.“ beendete das Gespräch. Pepe wandte sich an Wimmer. „Wir müssen zum Staatsanwalt. Er hat uns Wichtiges mitzuteilen“, sagte er dem Kollegen. Der seufzte. „Wenn wir noch bei anderen vorsprechen, kommen wir nicht zum Ermitteln“, meinte Franz. Pepe lacht laut auf. Es stimmte, der Fall schien seine Kreise zu ziehen. „Und nicht zum Essen“, ergänzte Pepe. Sie stiegen in ihren dunkelroten Dienstwagen und machten sich auf den Weg zum Staatsanwalt.
*
Der Weg führte die beiden Kriminalbeamten von der Ringstraße in die Landesgerichtsstraße im achten Wiener Gemeindebezirk, genannt Josefstadt. Dort hatte die Staatsanwaltschaft ihren Sitz. Dr. Josef Mayr war ihr zuständiger Anwalt, der normalerweise die Führung der Ermittlungsverfahren übernahm und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse die Anklage erhob. Bevor er einer der über dreihundert Staatsanwälte in Österreich wurde, war er mehrere Jahre als Richter tätig, was ein Ernennungserfordernis für seinen derzeitigen Beruf darstellte. Er hatte schnell vom Gericht in die Staatsanwaltschaft gewechselt, sodass er mit siebenunddreißig ein junger Vertreter des Standes war.
Sie parkten vor dem der Landesgerichtsstraße namensgebenden Gebäude. Neben der Staatsanwaltschaft beherbergte der Bau aus dem neunzehnten Jahrhundert das Landesgericht und die Justizanstalt Josefstadt, von den Wienern liebevoll Landl genannt. Wenn Palmayer hierher kam, fiel ihm eine kleine Anekdote ein. Gerüchten zufolge sollen die ersten Häftlinge, die in der Justizvollzugsanstalt einsaßen, der Bauführer und der Dachdecker des Landls gewesen sein, die falsche Abrechnungen vorgelegt hatten, um Geld zu ergaunern. Sie haben in ihrem eigenen Bauwerk eingesessen. Probegesessen, könnte man sagen. Heute hielten sich in der Justizanstalt, unter anderen, Personen auf, die Pepe und Wimmer dorthin gebracht hatten. Das im historischen Stil erbaute Graue Haus, wie es die Wiener Bevölkerung nannte, war ein großer, fünfstöckiger Bau. Mit seinen geraden Linien und den kantigen Türmen, die an den Ecken des Gebäudes den sechsten Stock bildeten, erinnerte es trotz der Verzierungen an der hellen Fassade an eine Burg. Der Dienstwagen stand nahe dem grünen Metalleingangstor, durch das die beiden Polizisten eintraten. Hier mussten sie Sicherheitsüberprüfungen über sich ergehen lassen, bevor sie in die oberen Stockwerke durften, wo sie Dr. Mayr erwartete.
Palmayer und Wimmer betraten hintereinander das kleine Büro, das gegenüber dem Eingang ein Fenster hatte. Links davon sah man einen Schiebetürschrank, rechts einen Rollcontainer, auf dem sich ein Drucker befand. Der Schreibtisch war quer im Raum aufgestellt, sodass man vom Sitzplatz aus die Eingangstür im Blick hatte. Der Staatsanwalt saß nicht, sondern stand hinter seinem Tisch und begrüßte sie mit einem kurzen „Hallo.“ Er sortierte Papiere, die auf der Schreibtischplatte verteilt waren. „Nehmt Platz“, sagte Mayr und deutete auf den kleinen Besprechungstisch, der vor dem Schreibtisch, direkt neben der Eingangstür, stand. Mit einem hohen, schlanken Garderobenschrank links unweit der Tür war das Inventar komplett. Alle Holzmöbel waren Kirschholz furniert und machten gegenüber der Einrichtung der Landespolizeidirektorin einen bodenständigen Eindruck. Die weißen Wände des hohen Raumes waren mit modernen Kunstdrucken behangen, die das Büro aufwerten und die den Kunstsinn des Staatsanwaltes verdeutlichen sollten.
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