Palmayer klopfte und trat ein. Vor ihm eröffnete sich ein karges Büro mit alten, grauen Schränken, vollgestopft mit Akten. Mitten im Raum standen zwei Schreibtische, von denen einer unbesetzt war. Am zweiten Pult saß eine junge Dame, Anfang zwanzig, die ihre rot gefärbten Haare kurz geschnitten hatte und die beiden Eindringlinge mit grünen Augen musterte. Sie war schlank und trug Jeans und eine Bluse, die farblich zur Augenfarbe passte. Ohne ihre große Nase wäre sie von Pepe als hübsch befunden worden. „Guten Tag“, grüßte der Kriminalbeamte, „Ich bin Bezirksinspektor Palmayer und das ist mein Kollege Gruppeninspektor Wimmer. Wir sollen zur Landespolizeidirektorin kommen.“ „Einen Moment bitte“, antwortete die junge Dame. Sie stand auf, öffnete die Tür in den Nebenraum, verschwand kurz und kam gleich darauf zurück. Sie blieb neben der geöffneten Tür stehen. „Die Frau Direktorin erwartet sie. Treten sie ein“, sagte sie und deutete den Kriminalbeamten hineinzugehen. Die bedankten sich und spazierten in das Büro der Direktorin. Hinter ihnen schloss die Frau die Tür.
Das Zimmer war nicht karg eingerichtet, wie das, aus dem sie kamen. Die Mauern waren pastellgelb gestrichen und kurz vor dem Übergang zur Zimmerdecke war ein dünner, goldfarbener Streifen angebracht, der das Gelb der Wände vom Weiß der Decke trennte. Das Büro erstreckte sich über drei Fensterlängen. Links neben der Tür war eine hellbeige, lederne Sitzgarnitur samt einem Couchtisch aus dunklem Holz. Auf einem Beistelltisch in der Ecke stand ein kleiner Flachbildfernseher. Rechts nahm ein riesiger Besprechungstisch die gesamte Länge des Raumes ein. Dieser hatte, wie der Couchtisch, eine dunkelbraune Tischplatte. In der linken, hinteren Ecke waren ein paar Kästen, die aus beige gefärbten Türen und einem dunklen Korpus bestanden. Davor der Schreibtisch, an dem die Landespolizeidirektorin saß. Der Tisch fügte sich mit seiner braunen Platte und dem beigefarbenen Sichtschutz vor den Beinen der Direktorin perfekt in die Einrichtung ein. Das Büro wirkte neu, sauber und aufgeräumt.
„Einen Moment. Nehmen sie auf der Couch Platz. Ich bin gleich bei ihnen“, sagte die Frau hinter dem Schreibtisch, die auf der Tastatur des Computers herumhämmerte und nicht vom flachen Monitor aufsah. Sie unterbrach ihr Tippen und strich sich mit den Französisch manikürten Fingernägeln durch den blondgefärbten Pagenschnitt. Soweit Pepe wusste, war sie erst vor drei Jahren zur Direktorin bestellt worden. Er hatte ihren Lebenslauf in der internen Polizeizeitung der Landespolizeidirektion gelesen. Sie hatte eine übliche Polizeiausbildung im Bildungszentrum der Sicherheitsexekutive genossen und während der anschließenden Praxisjahre nebenbei Rechtswissenschaften studiert. Im Anschluss hatte sie die Ausbildung zur leitenden Beamtin, die Offiziersschule, gemacht. Pepe erinnerte sich, dass sie nach dem Abschluss einen dieser neumodischen Titel bekommen hat. Nicht Magistra oder Doktorin. Es war Bachelor of Arts in Police Leadership. Eine fleißige Frau, hatte Palmayer gedacht. Und jetzt kam ihm der Gedanke erneut. Er setzte sich auf die beige Couch, ohne den Dufflecoat abzulegen. Die Umhängetasche platzierte er neben sich, ohne den Gurt von den Schultern zu streifen. Wimmer nahm benachbart Platz und zückte gewohnheitsmäßig seinen Notizblock. Ihnen gegenüber standen zwei Ledersessel. Auf einen bewegte sich die Landespolizeidirektorin zu, nachdem sie ihre Arbeit am Computer beendet hatte.
Die Mittvierzigerin trug Uniform. Eine strenge, dunkelblaue Jacke mit Goldknöpfen und Stehkragen, die tailliert geschnitten war und eine beachtliche Oberweite erahnen ließ. Die Patten der beiden Brusttaschen betonten dies noch mehr. Pepe versuchte, sich davon nicht ablenken zu lassen und musterte sie weiter. Am Oberarm prangte das Polizeiabzeichen und am Kragen zierten goldene Rangabzeichen mit einem silbernen Akanthusblatt und einem stilisierten, ebenfalls silbernen Bundesadler die Jacke. Diese Distinktionen wiesen sie als Landespolizeidirektorin aus. Goldfasan fiel Palmayer ein. Manche Polizisten benannten leitende Beamte wegen ihrer goldenen Rangabzeichen nach dem Vogel. Unter der Jacke trug sie ein schwarzes Hemd mit Krawatte. Aufgrund des hohen Stehkragens sah man den perfekt gebundenen Knopf, der Rest war verdeckt.
Die Direktorin streckte den beiden Beamten die Hand hin, worauf sich Palmayer und Wimmer erhoben, ihr die Hand schüttelten und sich offiziell vorstellten. „Ich begrüße sie. Mein Name ist Dannemann-Wagner. Schön, dass sie es einrichten konnten“, sagte sie, nachdem die Kriminalbeamten ihre Nachnamen genannt hatten. Sie war dezent geschminkt. Nude-Look nannte man das, glaubte Pepe sich zu erinnern. Sie wirkte streng. Nicht unfreundlich, was in erster Linie den braunen Augen zu verdanken war, die Wärme ausstrahlten.
„Das Gespräch brauchen sie nicht mitzuschreiben“, sagte Dannemann-Wagner und zeigte auf den Notizblock Wimmers, der ihn sofort im Sakko verstaute. Die drei Gesprächspartner setzten sich und die Direktorin zog den zur Uniform gehörenden knielangen Rock, der im selben Dunkelblau gehalten war wie die Jacke, in eine Position, die nicht aufreizend sein sollte. Schwarze Strumpfhosen und Schuhe derselben Farbe mit niedrigem Absatz bildeten das untere Ende des Ensembles.
„Wie ich zu meinem Bedauern erfahren habe, wurde Silke Lechner heute ermordet“, begann sie. Die Direktorin kam gleich zur Sache. Palmayer bestätigte das. „Was fanden sie bisher heraus?“, fragte Dannemann-Wagner weiter.
„Wir kommen gerade vom Tatort. Es ist noch zu früh, um über Ergebnisse zu informieren. Die Spurensicherung und der Gerichtsmediziner müssen noch ihre Berichte abliefern. Der erste Eindruck ist, dass es sich um einen Einbruch handelt, bei dem der Einbrecher überrascht wurde.“
Die Direktorin nickte. „Das ist eine Möglichkeit“, sagte sie, „Lassen sie uns, rein hypothetisch, darüber hinaus denken. Der Mord könnte als Einbruch getarnt worden sein.“ Palmayer und Wimmer zogen gleichzeitig die Braunen in die Höhe. „Es klingt weit hergeholt. Silke Lechner könnte mächtige Feinde gehabt haben. Gerade jetzt kommt es einigen Subjekten gelegen, dass die Leitung des Bundesamts neu besetzt werden muss.“ Pepe ließ sich an die Lehne der Couch zurückfallen. „Und die schrecken nicht vor einem Mord zurück?“, fragte er. „Das ist zu befürchten“, meinte die Direktorin. „Es steht eine Diskussion über die Abwicklung von Asylverfahren an und Frau Lechner vertrat bei der Frage zu den Koordinierungsmaßnahmen bei der unfreiwilligen Rückkehr und der Kompetenzaufteilung zwischen Bundesamt und Fremdenpolizei einen Standpunkt, der nicht populär war. Er war am besten Weg, umgesetzt zu werden.“ Palmayer stülpte die Unterlippe vor und begann sich an den Brusthaaren zu kratzen. „Wollen sie andeuten, dass unter Umständen die Behörde darin verwickelt ist?“ Dannemann-Wagner schlug ihre schlanken Beine übereinander. „Ich will damit auf nichts anspielen. Die Ermittlungen sind ihre Angelegenheit. Ich weise sie auf die momentanen Gegebenheiten hin.“ Wimmer mischte sich in das Gespräch ein: „Wenn die Fremdenpolizei ihre Finger im Spiel hat, ist das eine große Sache und man sollte die Interne einschalten.“ Die Direktorin winkte mit einer Handbewegung ab. „Es ist noch viel zu früh. Das ist weniger als eine Vermutung. Das ist eine Option. Ich will nicht, dass diese Angelegenheit aufgebauscht wird. Ermitteln sie und machen sie sich ein Bild. Lassen sie keine Möglichkeit aus! Die Sache ist von höchster Bedeutsamkeit!“ Palmayer beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf seine Knie. Hier war was faul, das spürte er. Er sah die Direktorin fragend an: „Für wen ist sie von großer Wichtigkeit?“ Dannemann-Wagner lächelte. „Ihnen kann man nichts vormachen. Gut. Man sagte mir, dass sie eine gute Spürnase haben. Sie merken, dass hier mehr auf dem Spiel steht und mein Auftrag, sie zu unterweisen, von höchster Stelle an mich herangetragen wurde. Den hohen Persönlichkeiten kommt der Mord ungelegen, da sie dieselbe Linie vertreten, die Frau Lechner vertrat. Jetzt steht die Reform auf wackeligen Beinen. Ich wurde angehalten, einen meiner besten Mitarbeiter mit diesem Fall zu betrauen. Und das sind sie, wurde mir berichtet.“
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