Schließlich das Glück des Wissenschaftlers: Die Arbeit hat ein Ergebnis erbracht, 80 Seiten lang, das darin besteht, annehmbare Gedanken produziert zu haben. Am Ende sollte ein Ausblick stehen, Schlussfolgerungen und Anregungen für weiterführende Untersuchungen. Auch ein Therapievorschlag ist als praktische Anwendung dabei herausgesprungen. Aber: Wer auf die Zahl von 300 französischen Käsesorten explizit hinweist, der denkt sich doch was dabei. Ist die Arbeit von außen gesponsert, etwa, verborgen unter der Hand, von der französischen Käseexportindustrie? Die Expertise ist trotz allem total nutzlos, wenn sich herausstellt, dass Käse impotent macht. Wenn es Harzer Roller mit dieser Wirkung wäre, ja, Harzer Roller wär gut, aber französischer …. Der Auftraggeber hatte sich im Vorgespräch naiv gedacht, die Stubenfliege ist frustriert, weil sie an den herrlichen Käse aus Frankreich nicht herankommt und kompensatorisch französische Leichtfertigkeiten begeht. An diesem Punkt ergeben sich komplexe Aspekte. Psychologie vom Feinsten muss her, um abzuwägen. Fressen die Auftraggeber den Käse, wenn ihre Erwartungen, für die sie bezahlen wollten, enttäuscht werden. Wir behaupten doch, auf slim-line zurückgeschraubte Sexbrummen sind hier das Ziel. Sie sind begeisterte Abnehmer von französischem Käse, da immer ausgehungert, aber im Gleichgewicht eines Systems genannt Jo-Jo. Dann die Fragen: Können wir auf die nächste Spende verzichten von Seiten der französischen Käseindustrie, was sagt der Haushaltsentwurf dazu. – Oder müssen wir andeuten, diskret, dass wir darauf verzichten könnten, unter gewissen Umständen, den Artikel in dieser unvorteilhaften Form international zu publizieren mit einem Hinweis auf erwiesene Impotenz-Conséquences. Auch zum Leben eines Akademikers kann es gehören, umsichtig seine Interessen und die der anderen zu wahren. Es ist nicht alles Käse, und der Mensch lebt nicht vom Käse allein. Und schließlich ist es Geld, das nicht stinkt: moneta non olet . Fromage si, aber jeder mag ihn.
Ein typischer Fehler ist unterlaufen, den man auf keinen Fall begehen darf. Eingangs spricht man von einem Weinkenner und Wein. Da Käse naheliegt, fällt nicht weiter auf, dass man das Thema abgebogen hat, da es von Wein nicht handelt. Entweder man formuliert das Thema um oder integriert das Fehlende in sinnvoller Weise. Es gibt kaum Arbeiten, bei denen nicht geflickt werden muss.
3.1.7 Ernst des Studiums – wo bleibt die Heiterkeit
Die Ernsthaftigkeit der gesamten Veranstaltung, genannt akademisches Studium, ist die Antwort auf die Zweckrationalität, die an der Universität den höchsten Stellenwert haben soll. Aber jede Ernsthaftigkeit muss es sich gefallen lassen, dass man versucht, sie mit Witz und Ironie auf die Schippe zu nehmen. Was sie mit der Attitüde des Besserwissens und der Bedeutsamkeit behauptet, wird phantasievoll zurückgenommen in eine ursprüngliche Freiheit des Denkens, wenn die nicht zu kurz kommen will. Davon profitiert auch ein akademischer Stil, der sich vom verstaubten Image fernhält und den es ja mal durchaus gegeben hat.
"Rational" ist eine Kategorie, die eingeht in eine Vielzahl von Bezügen, die kein Kuddelmuddel vertragen. Sie ist das genaue Gegenteil von saftig, nämlich bar jeder Emotion. Da liegt ein Aspekt, der unangenehm ist, die Gnadenlosigkeit einer Exekution macht sich da bemerkbar. Und trotzdem wird sie stets eingefordert. Wenn es um Effizienz geht, sagt man ihr nach, unübertroffen zu sein. Was nicht stimmt. Rational ist es, in Null Komma Nichts das Studium zu absolvieren. Effizient muss das nicht sein, frei, ohne jede Berechnung erlebte Zeit kann Impulse geben, die das Leben tatsächlich nachhaltiger beeinflussen als eine 1,3 in Statistik und die verinnerlichten Geheimnisse der Normalverteilung.
Ein Muskel schmerzt und verliert an Kraft, der ständig angespannt ist. Daher gab es tatsächlich das, was in uralter Zeit ein akademischer "Iocus" genannt wurde, nämlich Formen, um sich von der eigenen Wichtigtuerei zu entlasten. Offensichtlich heute ein Desiderat, noch greifbar auf dem netten Niveau der "Feuerzangenbowle" mit Heinz Rühmann. Als Rarität sei der Humorist Vico von Bülow genannt, der die harmlose Steinlaus erfand. Es ist ihm gelungen, sie in den Pschyrembel einzuschleusen, in das medizinische Fachlexikon, mit sympathischer Zeichnung. Er fand Gönner, die von seiner Steinlaus angetan waren. Niemand schien aufzufallen, dass Läuse keine Steine anknabbern können. Über sie freuten sich die wenigen eingeweihten Spitzbuben im grauen Haar, und darüber, dass der Scherz gelang. Der akademische Scherz kann, wenn er eingefädelt ist, schon mit einer gewissen Raffinesse überzeugen. Aber die Harmlosigkeit und mangelnde Zielgenauigkeit lassen ihn als Abkömmling einer längst vergangenen Zeit erscheinen, in dem mit Karzer-Aufenthalt der Übermut bezahlt wurde.
3.2 Kosmische Suppe und die Kultursuppe
3.2.1 Beispiel: Cross-over als Analogie-Technik
Wer es schafft, mit seiner Vorstellungskraft eine Beziehung zwischen zwei Wissensinhalten, sagen wir beispielshaft "Entropie" und "Aufklärung", kognitiv, das heißt im Bewusstsein, herzustellen, erreicht zweierlei. Er speichert sie unter Umständen dauerhaft und er macht aus seinem Wissen sinnvoll erweitertes Wissen. Das könnte schon Bildung pur sein, wenn der Inhalt stimmt.
"Entropie" besagt, dass sich aus Ungleichverteilung der elementaren Bestandteile wie zum Beispiel bei einem Organismus oder bei einem Gasgemisch in einem Behälter Gleichverteilung der Moleküle entwickelt, also auch die Auflösung seiner Ausgangs-Struktur in einer Art Kompostierung. Verwirbelte Gas-Atome in einem Zylinder, die sich gleich verteilen und zur Ruhe und damit auch zu einer endgültigen niedrigeren Durchschnittstemperatur kommen. Weil dieses Bild der Gleichverteilung mit dem Begriff "Abnahme von Organisiertheit" (Ernst Peter Fischer) bei organischen Stoffen nicht übereinzustimmen scheint, muss man seine Vorstellungsgabe bemühen.
"Aufklärung", im modernen Sinne als dialektischer Prozess gesehen wie von der Frankfurter Schule, endet beim homo oeconomicus , der Omi und Opi gerade noch den erwähnten Pappsarg aus dem Erbe herausrechnet. Mehr ist für sie nicht übrig und auch nicht nötig. Das ist das Grab der mythischen Grundverfassung des Menschen. Im Kalkül wird er auf Soll und Haben bilanziert und ausgeglichen und kommt zur Ruhe.
Der kosmische Wärmetod der Entropie ist ein Topos (das heißt, ein allgemein anerkannter Gesichtspunkt – "Liebe macht blind" ist ein solcher Topos) geworden wie der von der Aufklärung, die sich selbst, vergleichbar der politischen Revolution, eines Tages auffrisst und das Ende bedeutet. Es ist die Frage, ob sich unwiderstehliche Untergangsszenarien aufdrängen aus einem „natürlichen“ Pessimismus. Auf jeden Fall, wem es gelingt, auf solche Weise eines Cross-over seine Argumente aus dem stofflichen wie aus dem geistigen Bereich zu verstärken, erreicht eine gewisse Überzeugungskraft. Kosmologisch ist unser Ende bestimmt und soziologisch ebenfalls. Eine physikalische Suppe trifft mit einer Kultursuppe zusammen. Wenn das so ist, hat der Komponist Otto Reutter (gest. 1931) recht, wenn er singt "In 50 Jahren ist alles vorbei". Nur über die Nullen der Jahreszahlen muss man sich noch verständigen.
Dann aber noch das Lernen mit Hilfe der Lücke. Man kann sie daran erkennen, dass einem etwas fehlt, das einen interessieren könnte. Unter Umständen genügt es, wenige Daten zu wissen,1789, da war die Revolution und 1815 Sankt Helena, wo Napoleon seine letzten Jahre verbrachte. Was dazwischen passierte, weiß man ungefähr und ist abrufbar als ein ungefährer Sinnzusammenhang. Wir interpolieren sehr häufig und schätzen auch gekonnt ab. Logisch hochrechnend oder mit Phantasie das fehlende Glied sehend. Gerade diese Verfügung über das Wissen ist souverän, weil wir nicht erwarten müssen, dass es präzise stimmt. (1813 war die Völkerschlacht bei Leipzig, etwa 1815 ging Napoleon nach Sankt Helena und starb 6 Jahre später.) Während das Lernen nach einem Kanon eine Anzahl weiterer Daten vorschlägt. Sie decken dann gerne zu, was wir als Inhalt und Sinn bezeichnet haben. Zum Beispiel, was passierte alles zwischen der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 und dem Wiener Kongress 1815? Was ist da alles wichtig für mich?
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