Genügt dir Wissen modular
Ist eng die Welt, der Geist ist rar
Nur wer weiter zieht die Kreise
Vernimmt Verkalkung spät und leise
Natürlich ist es immer eine ganze Welt, die man die eigene nennt. Aber nicht unbedingt eine weite, eine interessante, eine, die so offen ist, dass mühelos Neues in sie einströmt. Strukturen sind ergiebig für die Intelligenz, sie spannen einen Erwartungsbogen auf. Die Inhalte füllen ihn auf, mit Redundanz und Anschauung der Welt, mit visueller Kraft. Es gibt Definitionen, die abstrakt und das heißt unanschaulich sagen wollen, was Eifersucht oder Aufmerksamkeit oder Blasphemie sind. Die Angst, den geliebten Menschen an einen anderen zu verlieren etwa. Fokussierung der Wahrnehmung auf ein Ziel über eine Zeitspanne. Für das Gedächtnis sind die abstrakten Formulierungen weniger gut geeignet, um sich zu merken, was ich unter diesen Abstrakta verstehen möchte. Heißt es aber, jemand ist eifersüchtig, denn er benimmt sich so und so, kontrolliert die Taschen des Partners, leidet, wenn er eine andere Person freundlich anschaut. Vielleicht nicht immer perfekt, aber der Zutritt zur Abstraktionsebene ist leichter über passsende Bilder und beispielhafte Handlungen. Es geht auch ganz kurz. Was ist Humor. Wie soll ich ihn bestimmen? Wilhelm Busch bietet an: "Humor ist wenn man trotzdem lacht." Und das Bild eines Vogels auf dem Leim, der die letzten lebensbedrohten Augenblicke zum Singen nutzt.
3.1.4 Lernen stärkt die Individualität
Lerninhalte kann man nicht pauschal ins Gehirn einscannen, auch nicht trichtern nach der Nürnberger Methode, die vor ein paar Jahren als "Superlearning" sehr viel versprach. Bei ruhiger Musik sollten die Alpha-Ruhewellen im Gehirn erzeugt werden und ein in die Hunderte gehender Wortschatz in wenigen Stunden gelernt werden. Eine Physikvorlesung, begleitet von Beethovens Für Elise , müsste sich so locker reinziehen lassen. Man muss bewusst nach der eigenen Methode suchen, die einem effizientes Lernen gestattet, wozu das Arrangement der Situation gehört. Wiederholung ist immer angebracht, auch das Einteilen in Portionen, das Erfinden von Eselsbrücken. Man kann je nach Lerntyp, eidetisch (mit den Augen lernen), auditiv (über das Gehör) und sogar motorisch (über das Muskuläre) das Behalten steigern. Der Humanist Erasmus von Rotterdam hat vor fünfhundert Jahren die ersten Kniffe herausgefunden, wie man notiert und wiederholt, bis die Dinge sitzen. Beliebt unter Gedächtniskünstlern ist das assoziative Verknüpfen des Lernmaterials mit geläufigen Bildern oder Sinnbildern. Inzwischen denkt ein jeder bei "Zitrone" an ein "Montags"-Auto, bei dem die Schrauben und Muffen nicht so richtig sitzen. Man kann den ganzen Aspekt einer Sache beim Lernen in den Vordergrund stellen oder analytisch Schritt für Schritt vorgehen. Man kann als eidetischer Typ Merkzettel benutzen, möglichst viel auf wenige Blätter schreiben und das Studierzimmer mit ihnen tapezieren. Man kann, wie Erasmus, einen zeitlichen Rhythmus entwickeln, nach dem man Wiederholungen einplant. Wer einen seitenlangen Text auswendig lernen will, teilt ihn in überschaubare Passagen und Sinneinheiten und memoriert schrittweise und wiederholend.
Die moderne Gedächtnisforschung, Sache der Neurophysiologie, hat herausgefunden, dass bestimmte Proteine das Gedächtnis blockieren können. Wenn man sie beeinflussen könnte, und weltweit wird danach geforscht, liefe das geradezu darauf hinaus, den Menschen zu verjüngen. Aber es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass das Glück im Vergessen zu liegen scheint.
Lernen stellt sich so als individuelle Anstrengung dar, aus der individuell geformte Einzelwesen hervorgehen. Das war schon bei den Hominiden so. Wer da als erster die Kartoffeln wäscht, war wohl ein Sonderling, den jeder mochte und nachahmen wollte, weil jeder die Vorteile sah. Für das Arbeiten in der Gruppe braucht man besondere Einstellungen und Charaktereigenschaften, damals selbstverständlich, heute häufig ein Problem. Drum prüfe sich auch der, der sich nur für ein Semester an eine Arbeitsgruppe bindet.
Die Situationen sind nicht so selten, in denen man klar spürt, dass das Lernen aus den Büchern anders ist als das Hören eines Lehrers. Mal gibt die Vorlesung eine gute Orientierung, mal liefert das Buch Klarstellungen, die das Verständnis des gesamten Stoffes erleichtern, mal ist es die Kombination der beiden. Je nach Lerntyp gibt es Unterschiede, die man herausfinden muss.
3.1.5 Transfer rationaler Strukturen
Aufpassen muss man nur, damit nicht das für Gruppen typische Konvergenzverhalten falsche Ergebnisse als richtig vorspiegelt. Wenn politische Streitigkeiten geschlichtet werden, führt dieses Verhalten gerne zur Befriedung, weil Extrempositionen abgeschwächt und mittlere Positionen gestärkt werden. In der Gruppe, die man sich an der Universität zum Lernen sucht, kann sich Konvergenz unterhalb der Schwelle rationaler Urteilskraft einschleichen und nicht Zutreffendes als wahr gelten lassen. Wenn man kann, schätzt man die Lernbereitschaft der anderen vorher ab oder spricht offen darüber. Sind alle stärker als man selbst, oder sind alle sehr viel schwächer, sollte man sich darüber Gedanken machen. Wer in der Gruppe hängen bleibt bei einem bestimmten Problem, braucht sie nicht über Gebühr aufzuhalten und kann sich bei einem Kommilitonen oder bei einem Assistenten informieren. Wenn der schrecklich wenig Zeit hat, fragt man ihn, wann er Zeit hat oder ob man gleich seinen Chef sprechen könnte. Notfalls sucht man sich ein sogenanntes (süddeutsches) Käpsele, einen, der einfach immer alles weiß. Meistens hat der natürlich auch schrecklich wenig Zeit, dann winkt man mit positiven Sanktionen. Man kann ja mit Mon Chéri , Economy Size, anfangen und wenn das nicht so klappt, weiß man, warum die Italiener für jeden Käse die Tangente neu erfunden haben. Eine Pizza Margerita könnte man schon riskieren, wenn die Pizzeria gut ist und das zu lösende Problem schwierig. Außerdem muss man wissen, dass lange Literaturlisten nicht den Zweck verfolgen, abgearbeitet zu werden. Sie sollten vom Lehrstuhl kommentiert werden und lediglich Hinweise geben. Hängt man bei der Lektüre eines Fachbuchs fest, fragt man ebenfalls den Assistenten, ob er einen Text weiß, der einfacher ist und zu dem Niveau hinführt, auf dem man steckengeblieben ist. Schließlich sind Texte deswegen schwierig, nicht, weil man zu dumm ist, sondern weil man nicht auf sie vorbereitet ist. Dann stimmt eben der persönliche Lernanstieg, die Lernkurve nicht. Das gilt sogar für solche auf der ersten Seite mancher Tageszeitung, wo einem sachliche Überforderung schon einmal vorkommen kann. Und sogar fürs Kursbuch der deutschen Bundesbahn braucht man eine Einweisung. Wo es steil ist, baut man sich eben Treppen. Man muss lernen abzuschätzen, ob eine Passage, ein Kapitel, ein Buch wichtig ist. Wichtig für den roten Faden, für die Prüfung, für einen selbst. Die Zeitökonomie ist häufig ein strengeres Diktat als der Wunsch, alles über den Homo oeconomicus in der VWL oder bei Adorno zu erfahren oder über die Relativität der Zeit im Studium und im Universum. Es kann manchmal richtig weh tun, eine Frage nicht aus zeitlichen Gründen weiterverfolgen zu können.
"Rational" bedeutet immer nicht nur "kaltes" Rechnen, sondern auch "ernsthaft und objektiv". Hier gibt es nichts zu lachen, die emotionale Linie liegt bei null. Rationalität ist eine Kulturleistung, von der gemütvolle Menschen sagen, eine überflüssige. Da wir ihr aber verdanken, dass das Auto, das wir kaufen, erschwinglich ist und auch tatsächlich funktioniert, kommen wir nicht darum herum, zu begreifen, wie sie ein Teil unserer Kultur ist. Wer das weiss, ist einem großen Teil seiner Wissenschaft und ihrer Probleme gewachsen. Denn nicht nur die Produktion von Autos wird rational in allen Details, bis auf jede Schraube und die Plakatkosten an der Litfaßsäule kalkuliert, auch Forschung und Entwicklung, die Mittelvergabe für die Archäologen und die Konzeption von Curricula, nun ja, werden rational organisiert, so steht zu hoffen. Der Stahl ist kalt, wer ihn stößt, könnte erhitzt sein. "Rational" ist ein Wort aus der Kit-Box, über die immer noch verfügt werden muss. Diese Beobachtung zum obigen Begriff, der spätestens bei Horkheimer und Adorno zum Prügelknaben geworden ist, wird später noch einmal aufgenommen. Am Konstrukt der Rationalität kann man eine Analyse-Haltung trainieren, die sich im Transfer auf Fachwissenschaften überprüfen lässt. Im Konstrukt eines Computers wie Turing ihn konzipiert hat, können extreme Bedingungen eines Rechners durchgespielt werden.
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