Zwei Frauen halten eine dritte schwebend,
dieweil der Yogi, mittlings an ihr klebend,
die Stirn im Kopfstand auf den Grund erniedrigt,
die Karyatiden mit der Hand befriedigt.
Selbst spürte ich an solchen Tempelgiebeln,
wo sie so offen miteinander liebeln,
im eignen Schritt ein unheiliges Kribbeln.
SITA. Ich wollte mich in den lasziven Nischen
schon selbst unter die nackten Steine mischen.
Vor allem Schivas Bild ist hocherregend,
das in Konarak, ganz getreu der Fabel
vier starke Glieder aus den Schultern reckend –
das fünfte senkrecht stehend bis zum Nabel.
Fehlte nicht viel, und ich ergab dem Gotte
mich selber gleich in seiner dunklen Grotte.
SCHRIDAMAN. Ich würde, kann ich mich an dir berauschen,
mein Liebesglück mit keinem Gotte tauschen!
So eine Frau müsste man haben!
Je größer aber seine Lust an den bloßen Kopien, desto größer ist seine Sehnsucht nach dem weiblichen Original. Was kann ein Erdensohn mehr verlangen von einem Weibe? Ist ein solches nicht ein wandelndes Paradies? Er aber muss sich, wie die Weiber im Koran, mit dem bloßen Anblick des Paradieses begnügen. So bleibt als bitterer Bodensatz seiner Lust die Verlustangst und Sehnsucht zurück: Ist schon die Befriedigung durch die Truggebilde der Phantasie so tief, – wie vollkommen wäre sie erst in den Armen eines lebendigen Weibes aus Fleisch und Blut! Bringt ihn bereits das Phantom eines Liebesobjekts in solche Verzückung, – welche Ekstasen hielte dann erst die reale Liebe für ihn bereit? Müsste es ihm da nicht in schier markverzehrender Ekstase das Elixir der Lust aus den Eingeweiden saugen?
Kann der fleischliche weibliche Schoß in der Phantasie doch gar nicht wirksam werden! Die Welt der Bilder ist ja bloß eine Phantasmagorie, eine Fatamorgana, nur das Ding als Erscheinung anstelle des Dings-an-sich, wobei man mit dem Weib in gar keine faktische Berührung kommt. Ist aber schon die Lust in effigie so tief und erschöpfend, laugt ihn schon die bloße Einbildung so aus, – wie unermesslich dann erst die reale Lust im Fleische!
Wie soll er ahnen, dass es in Wahrheit vielleicht gerade umgekehrt ist und er die Lust, die er aus bloßer Vorstellung kennt, im wirklichen Akt der Geschlechter womöglich nicht wiederfindet?
Je intensiver er sich den ipsistischen Orgien ergibt, desto größer ist seine Sehnsucht nach dem Eigentlichen: nach einer wirklichen Frau. Ich war immer der Meinung, dass man in der Liebe besitzen müsste , bekennt er; gemeint ist: körperlich besitzen. Indem diese Sehnsucht unerfüllt bleibt, wächst das Gefühl des Verlustes der Sinnenlust, die, wie er glaubt, ihm dadurch entgeht. Verfehlte Liebe, verfehltes Leben: Da der Sex mit zur Liebe gehört, verfehlt er mit der verfehlten Liebe den Sex, und mit dem verfehlten Sex das Leben. Und wie groß muss dieses Gefühl existenziellen Defizites bei einem wie dem jungen Heine sein, der ganz aus seiner überbordenden Sinnlichkeit heraus lebt! Wann wird er jemals diese Verlustangst los? So begleitet ihn Agostino Carraccis freizügiger Zyklus neben den anderen erotischen Motiven aus der Arche Noä, von denen er sich nicht trennen kann, viele Jahre. Wir vertagen aber die Beschreibung der Nummern elf bis zwanzig auf später.
Einmal betrifft ihn Ohm Simon bei der Betrachtung der Stiche. Ob ihm die schmuddeligen Sachen gefallen? will er wissen. Simon de Geldern, der Bruder der Mutter, ist ein Sonderling von unscheinbarem, gar närrischem Äußern. Nach weltlichen Begriffen ist sein Leben ein verfehltes. Von rastlosem Fleiße, frönt er all seinen gelehrten Liebhabereien und Schnurrpfeifereien, seiner Bibliomanie und besonders seiner Wut des Schriftstellerns, die er besonders in politischen Tagesblättern und obskuren Zeitschriften auslässt. Nebenbei gesagt, kostet ihn nicht bloß das Schreiben, sondern auch das Denken die größte Anstrengung. Simon schreibt einen alten steifen Kanzleistil, wie er in den Jesuitenschulen, wo Latein die Hauptsache, gelehrt wird, und kann sich nicht leicht befreunden mit der Ausdrucksweise des Neffen, die ihm zu leicht, zu spielend, zu irreverenziös vorkommt. Aber sein Eifer, womit er ihm die Hilfsmittel des geistigen Fortschritts zuweist, ist für jenen von größtem Nutzen. Er beschenkt den Knaben mit den schönsten, kostbarsten Werken; er stellt ihm seine eigene Bibliothek zur Verfügung, so reich an klassischen Büchern und wichtigen Tagesbroschüren, und er erlaubt ihm sogar, auf dem Söller der Arche Noä in den Kisten herumzukramen, worin sich die alten Bücher und Skripturen des seligen Großvaters befinden. – Harry verwahrt sich gegen das Wort ,schmuddelig'.
Seine Replik fällt ihm um so leichter, als er sich schon oft Gedanken darüber gemacht und sie sich sprachlich zurechtgelegt hat: Es gibt in der Kunst nichts ,Schmuddeliges'. Schon als Verkleinerungsform von ,schmutzig' – so dass das mit dem ,Schmutz' nicht recht ernst gemeint ist – beweise das niederländische Wort, dass es in der Kunst nichts ,Schmutziges' gibt. Er könne sich noch viel explizitere Darstellungen von Sex vorstellen, die man dennoch nicht als ,Schmutz' verunglimpfen dürfte. Alles Natürliche ist wertfrei. Es gibt nur gute und schlechte Kunst.
Soviel er sehe, sei unter den scheinbar anstößigen Bildern nicht eines, das man nicht auch einem Kind zeigen dürfe; sie seien ganz harmlos; wie er auch das Satirikon des Petron und Goethes römische Elegien den Schülern zeigen würde, wenn er diese Meisterwerke geschrieben hätte. Wie letztere, seien die angefochtenen Motive aber kein Futter für die rohe Menge. Nur vornehme Geister, denen die künstlerische Behandlung eines frevelhaften und allzu natürlichen Stoffes ein geistreiches Vergnügen gewährt, können an diesen Stichen Gefallen finden. Ein eigentliches Urteil könnten nur wenige Deutsche darüber aussprechen, da ihnen der Stoff selbst, die abnormen Amouren in einem Welttollhaus unbekannt sind. Nicht die Moralbedürfnisse irgend eines verheirateten Bürgers in einem Winkel Deutschlands, sondern die Autonomie der Kunst komme hier in Frage. Sein Wahlspruch bleibe: Kunst ist der Zweck der Kunst, wie Liebe der Zweck der Liebe sei, und gar das Leben selbst der einzige Zweck des Lebens; denn, wie Sie wissen, ich bin für die Autonomie der Kunst; weder der Religion noch der Politik soll sie als Magd dienen, sie ist sich selber letzter Zweck, wie die Welt selbst .
Apropos die eigentliche satirische Intention des Petronius: die sei bis heute von Rätseln umgeben. Von manchen wird das Satyricon für ein „vollkommen amoralisches Sittenbild“ gehalten. Andere könnten die für eine Satire typische Ermahnung nicht erkennen. Auch wurde das Satyricon aufgrund der teils recht eindeutigen Szenen und seiner sexualisierten Symbolik oft als Pornografie oder Päderastie missverstanden. Übergreifendes Thema sei aber tatsächlich das wiederkehrende sexuelle Scheitern der Hauptfigur Encolpius. Die Sexualität im Satyricon sei aber nur ein Bild für das generelle Scheitern der Protagonisten überhaupt. Was ist in der Kunst das Höchste? Das, was auch in allen andern Manifestationen des Lebens das Höchste ist: die selbstbewusste Freiheit des Geistes.
Vor soviel Beredsamkeit verstummt selbst das verwandtschaftliche Gewissen Simons, der in seinem dunklen Sinn übrigens so ähnlich denkt, und muss vor der wortgewandten Beschlagenheit des frühreifen Neffen kapitulieren.
Besucht Simon, um in seinem Junggesellenstand seiner männlichen Potenz versichert zu bleiben, doch ab und zu selbst die so genannten Freudenhäuser, an denen es in der Stadt nicht mangelt. Einmal, als er alt genug ist, darf Harry ihn dabei begleiten. Er folgt ihm mit einem Gefühl ruchlosen Abenteuers eine Weile durch die nächtliche Innenstadt, bevor sie vor einem scheinlosen ebenerdigen Haus anhalten. Im Vestibül paradieren auf fettigen Sofas ein paar dickliche Dirnen mit prallen Schenkeln und Waden, die von einer bejahrteren Puffmutter mit geschäftstüchtiger Miene beaufsichtigt und herumkommandiert werden. Sie mustern den jungen appetitlichen Harry, in dem sie einen neuen Kunden wittern, mit angelegentlicher Miene.
Читать дальше