Trogberts Worten ist wiederholt zu entnehmen, dass er mit einem Fortgang des Surfkurses rechnet. In der Zwischenzeit macht er seine Trockenübungen am Beckenrand und lässt sich von Justin ein Surfbrett zum Hotel transportieren, mit dem er im Pool herumschippert.
Kerstin ist ausgesprochen enttäuscht. Sie hat vor, das Geld für den Kurs vom Reiseveranstalter zurückzufordern. Dann will sie mit ihrem Freund auf die Philippinen reisen, um dort surfen zu lernen. Stallmeister kann ihr beides ausreden und ihr einreden, dass sie ja trotzdem einen Urlaub hätten, den sie nur genießen müsse. Sie schlürft an ihrem Cocktail und ist beruhigt. Vorerst.
Am vierten Urlaubstag macht sie ihm vor allen Badegästen lautstarke Vorhaltungen, warum er nicht wenigstens an seinem Buch arbeite, wenn er sonst schon zu nichts komme. Er sagt, apropos Buch, er müsse ihr im Zimmer etwas zeigen. Er führt sie ins Zimmer und nimmt sie hart von der Seite. Danach sagt sie nichts mehr. Vorerst.
Am fünften Tag sagt Kerstin, sie könne nicht weiter hier herumliegen, sie wolle etwas von der Insel sehen. Die Haiku-Stairs , berühmte Bergtreppen auf der Westseite der Insel, böten sich als Ziel an, sagt sie nach dem Studium ihres Reiseführers. Darüber hinaus gebe es auch noch andere Strände zu erkunden. Sie zeigt ihm eine Karte. Vielleicht könne man sich auch irgendwo ein Surfbrett leihen und auf eigene Faust Wellenreiten. Stallmeister ist von der Idee nicht sonderlich begeistert. Er hat sich mit dem Poolleben angefreundet. Trägheit ist in all seine Glieder gesickert und beschwert ihn wie Blei auf seiner Liege. Seine Freundin ist unglücklich mit dieser Situation, versucht ihn umzustimmen. Schließlich jedoch lässt sie sich alleine mit dem Taxi zu dem Startpunkt einer Bustour fahren.
Noch am selben Tag macht er eine aufwühlende Entdeckung. Er ist nach einigen Flaschen Gerstensaft schon recht angesäuselt und trottet vom Pool zur Rezeption, um sich über die Qualität des Bieres zu beschweren. Zumindest südostasiatisches Bier hätte man doch nach Hawaii importieren können. Und wenn es solches entgegen seiner Vermutung auf Hawaii gibt, dann hätte die Hotelführung es wenigstens bestellen und auf die Karte setzen können. Hinter der Rezeptionstheke sitzt ein junger Mann. Stallmeister lehnt sich darüber und sieht den Mann mit wässrigem Blick an. Er wolle den Manager sprechen, Andros.
Es gebe keinen Andros, hier, sagt der Rezeptionist. Und schon gar keinen Manager mit diesem Namen. Das macht Stallmeister stutzig. Er sagt, er wolle trotzdem den Manager treffen.
Nach einer Viertelstunde taucht ein hagerer Mann von fast zwei Metern Größe auf. Der Rezeptionist stellt diesen als Bill, den Chef des Hotels vor. Stallmeister geht es jetzt nicht mehr ums Bier. Er sagt dem Manager, die Sache sei erledigt. Dafür raunzt er den unschuldigen Rezeptionisten an, er solle ihm gefälligst sagen, wer Andros sei.
Es arbeite kein Andros hier, sagt der junge Mann.
Dann müsse es ein Gast sein.
Das sei im Bereich des Möglichen.
Dann solle er gefälligst den Gast ausfindig machen.
Der junge Mann sieht im Computer nach und erklärt, dass es keinen Gast mit diesem Nachnamen gebe.
Andros sei ein Vorname, belehrt ihn Stallmeister.
Ja, doch, sagt sein Gegenüber nach Durchsicht des Gästeregisters, ein Gast mit diesem Vornamen sei am Morgen abgereist.
An diesem Vormittag? Stallmeister will wissen, ob er sich an den Mann erinnere.
Ja. Tatsächlich erinnere er sich. Der Gast habe graues Haar und dunklen Teint gehabt. Er sei außergewöhnlich klein gewesen.
Aha, sagt Stallmeister.
Er bittet den jungen Rezeptionisten mit dem augenfälligen Schuppenbefall, ein Taxi kommen zu lassen. Er müsse dringend in die Stadt fahren. Er fordert ihn auf, genau denjenigen Taxifahrer kommen zu lassen, der Andros gefahren habe.
Es kommt ein Taxi, aber bei der Gegenüberstellung des Fahrers mit dem Rezeptionisten verkündet letzterer, dass dies nicht der Taxifahrer gewesen sei, der Andros gefahren habe. Der Fahrer bestätigt dies. Dafür stellt sich heraus, dass er derjenige war, der Kerstin gefahren hat. Aber nicht zu einem Sammelbus, sondern zu einem Hotel. Er nennt den Namen dieses Hotels.
Stallmeister ist verwirrt, will aber dennoch zunächst die Spur von Andros verfolgen. Er möchte, sagt er mit großer Bestimmtheit, dass der Taxifahrer komme, der Andros gefahren habe. Der Rezeptionist meint, dass dies schwierig werden könne. Stallmeister verkündet daraufhin, dass er unter keinen Umständen bei einem anderen Fahrer einsteigen könne als demjenigen, der Andros mitgenommen habe.
Nach einer Weile kommt ein zweites Taxi und der Rezeptionist erklärt, dass dies der richtige Taxifahrer sei. Dieser habe Andros zum Hotel gefahren. Der Taxifahrer sagt, dass er Stallmeister, wenn dieser wolle, zu besagtem Hotel bringen könne. Er nennt den Namen dieses Hotels.
Stallmeister ist sprachlos. Noch vor Ort lässt er sich ein Bier bringen und nutzt den Schalter als Bartresen. Aufgewühlt bläst er dem bemitleidenswerten Rezeptionisten Rauch ins Gesicht, während dieser per Telefon Buchungen entgegennimmt. Er verzichtet darauf, sich zum Hotel fahren zu lassen; noch will er der Wahrheit nicht in die Augen schauen. Stattdessen nimmt er sich vor, Kerstin am Abend zur Rede zu stellen. Dann zwingt er sich, zum Pool zurückzugehen.
Es kann sich nicht um Zufall handeln. Aber es muss sich um Zufall handeln! Warum ist Kerstin dort? Was will sie von diesem alten Zwerg? Fahren die Sammelbusse vor diesem Hotel ab? Nimmt Andros vielleicht an der Bergtour teil? Und was hat Jim damit zu tun? Bei all diesen Gedanken und Grübeleien vergisst er, dass er das Bier gar nicht mag, dass er sich von der Bedienung in Eiseimern bringen lässt und literweise in sich hineinschüttet. Vor Aufregung qualmt er die anderen Badegäste zu.
Er bleibt nicht lange am Pool, weil ihn die Sache zu unruhig gemacht hat. Mehrfach ist er kurz davor, doch ein Taxi zu nehmen und nachzuforschen. Doch dann geht er hinauf in sein Zimmer, um nach Hinweisen auf Kerstins verheimlichten Ausflug zu suchen. Er sucht im Kleiderschrank, in ihren Taschen, im Nachttisch. Selbst unter dem Teppich vermutet er Zettel oder Briefe. Als er die Suche nach einiger Zeit abbricht und sich aufs Bett legt, sieht er es. Es ist ein Buch. Es befindet sich dort, wo man es am wenigsten erwartet, auf dem Nachttisch genau neben dem Bett. Es handelt sich um ein Taschenbuch. Der Titel lautet: Fremdgehen leichtgemacht. 14 Wege zum verbotenen Orgasmus.
Stallmeister merkt sich, wo genau das Buch lag, so dass dessen Position nach dem Zurücklegen keinen Verdacht erweckt. Dann nimmt er das Buch in die Hand und schlägt es auf. Er blättert zum Inhaltsverzeichnis. Kapitel 1: Sex im Auftrag – Der befohlene Fehltritt. Kapitel 2: Sex im Surferparadies – Seitenspringen beim Reisen . In der Kapitelmitte ist ein Lesezeichen eingefügt. Kapitel 3: Sex nach dem Schwammprinzip - Wie Sie überall Affären aufsaugen . Kapitel 4: Sex nach der Flucht – Durchbrennen und Durchvögeln . Kapitel 5: Sex als Verschwörung – Wie Sie Ihren Ehepartner eifersüchtig und pleite machen . Kapitel 6: Sex für Millionäre: Wie Sie sich jeden Partner kaufen . Kapitel 7: Briefsex – Heimliche Erotik in Emails und SMS . Stallmeister ist bei der Hälfte angelangt und möchte nicht weiterlesen. Zu groß ist seine Ohnmacht und Erschütterung. Während er das Buch ordentlich an seinen Platz zurücklegt, beschleicht ihn ein übler Zorn. Sein Verdacht hat sich erhärtet. Er hätte niemals gedacht, dass Kerstin ihre Beziehung in derartiger Weise mit den Füßen tritt, dass sie sich durch ihre Untreue in Gefahr begibt, eine jahrelange harmonische Beziehung achtlos zu zerbrechen.
Nun kann er sich nicht mehr zusammennehmen. Eilig springt er die Treppe hinunter und reißt den Mann am Empfang aus einem Gespräch. Ganz, ganz schnell brauche er jetzt ein Taxi. Nach circa fünf Minuten trifft das Fahrzeug vor dem Hotel ein. Als er auf die Beifahrertüre zuschreitet, schwingt diese auf. Heraus kommt Kerstin. Sie sieht ihn glücklich an und streckt ihm die Arme entgegen. „Na so was! Was für ein Empfang! Du wartest ja sogar hier auf mich!“
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