Er ist kein schlechter Schwimmer und mit der richtigen Atemtechnik umgeht er die Pausen, die ihm die Wellen auferlegen würden. In Kürze ist er draußen bei Antje. Nun hört er sie schreien. Sie hustet, prustet, taucht auf, taucht ab. Er bekommt sie zu greifen und zieht das Surfbrett zu sich hin, das an ihrem Neoprenanzug festgemacht ist. Er legt ihren Oberkörper über das Brett und zieht dieses mit einer Hand hinter sich her, während er mit einer Hand in Richtung Strand paddelt.
Zurück in der Surfschule raucht er erst einmal die Zigarette, die auf einem Tisch lag. Er ist ziemlich außer Atem und so schlägt das Nikotin besonders an. Alle außer ihm und Antje sitzen sie mit vollkommen trockenen Surfanzügen herum. Die Surflehrerin sagt nichts. Immer wieder hat sie einen Hustenanfall. Ihre halbnassen kurzen Haare stehen struppig in alle Richtungen ab. Kerstin sieht ihn bewunderungsvoll an, aber ihm ist nicht nach Heldenverehrung. Er möchte einfach nur ins Hotel zurück und ein Bier trinken. Und viele Zigaretten rauchen.
Die Stimmung ist am Tiefpunkt. Die Japaner diskutieren heftig. Die Schweden murmeln bedrückt etwas vor sich hin. Der immerfrohe Architekt sitzt zusammengesunken in einer Ecke.
Antje zieht sich den Ganzkörperanzug, den sie nach dem Vorfall bis zur Leiste heruntergezogen hatte, vollkommen aus, so dass ihre Oberschenkel zum Vorschein kommen. Auf den ansonsten perfekten, glatten Hautrundungen erkennt Stallmeister zwei große hässliche Verfärbungen. Zweifelsfrei handelt es sich um Tätowierungen. Er kommt unauffällig näher und betrachtet die Bilder immer dann, wenn Antje gerade mit dem Japaner redet oder voller Verlegenheit eine Surfbroschüre durchsieht. Die eine Tätowierung zeigt ein Steigeisen, die auf dem anderen Schenkel einen Kletterpickel. Kurz darauf zieht sie sich eine Shorts an und seine Studien sind beendet.
Als Kerstin einmal auf der Toilette ist, nimmt er Antje beiseite. Sie sei ihm nach der Lebensrettung einen Gefallen schuldig, erklärt er ihr mit Nachdruck. Er wolle wissen, warum sie sich ein Steigeisen und einen Kletterpickel auf die Oberschenkel habe tätowieren lassen.
Sie sieht ihn an, als sei er von allen guten Geistern verlassen.
„Und?“
Ob er nicht genau hingesehen habe, erwidert sie.
„Warum?“
Weil es kein Steigeisen sei, sondern ein Steigbügel.
„Bitte?“
Und auch kein Kletterpickel, sondern eine Reitgerte.
Was sie nicht sage.
Sie habe diese Tätowierungen, weil sie gerne reite. Und sie seien damit auch gewissermaßen eine Hommage an ihr wahres Metier: Das Reiten auf Wellen.
Er glaube ihr kein Wort.
In Wimea-City gebe es eine Koppel, dort könne sie ihm ihre Reitkunst gerne zeigen. Er lehnt dankend ab.
Man verabschiedet sich. Die beiden Schweden gesehen gesenkten Haupts davon. Die Japaner sprechen leise und geben sich nachdenklich. Antje ruft im Hotel an, damit Justin die Deutschen abholt. Sie bedankt sich nochmal bei Stallmeister und meint, morgen könne man dann zu den nächsten Übungen fortschreiten.
Vor der Rückfahrt stellt sich Stallmeister neben die Fahrerkabine des Golfmobils und drückt den alten Mann auf den Beifahrersitz. Der will mit ihm kämpfen, sieht aber ein, dass das keinen Sinn macht. Trogbert quetscht sich neben Kerstin. Sie freut sich. Stallmeister lässt den Motor an und findet einen kleinen Weg, der zwischen der Surfschule und einem Restaurant hindurch führt. Auf diesem fährt er hinunter zum Strand. Das Golfmobil passt gerade so hindurch, ohne Schrammen abzubekommen. Dort, wo der Sand beginnt, gibt er Gas. Noch bevor die Räder durchdrehen, schaffen sie es durch den Schwung in den Bereich, in dem der Sand durch die Wellen glatt- und festgespült ist. Stallmeister drückt das Gaspedal durch und weicht geschickt dem Wasser aus, das in Intervallen über den Sand spült. Er holt alles aus dem Minitaturmotor heraus und Justin ist begeistert. Nur Kerstin hat Angst und klammert sich an Trogberts massige Arme, weswegen Stallmeister am Ende des Strandes beinahe vor Wut eine Palme hochfährt. Aber nur beinahe, denn das Golfmobil steckt fest. Trogbert und er befreien es und schieben es nach oben zum Hotel. Kerstin hilft dem Tattergreis hinauf. Man sehe sich später an der Bar, droht der Architekt.
Gerade als sie den ersten Fuß auf die Treppe zu ihrem Zimmer gesetzt haben, spricht sie jemand von hinten an. Es ist der Hotelmanager, Andros. Er spricht mit bedrückter Stimme. Es habe sich etwas ereignet, was die Abendplanung verändert habe. Man könne nicht wie sonst um sieben Uhr das Abendessen servieren. Ein weiblicher Hotelgast habe heute morgen seinen Hund vermisst gemeldet. Seitdem seien mehrere seiner Angestellten auf der Suche nach dem armen Tier gewesen, doch ohne Ergebnis. Zwei Stunden nachdem man die Suche aufgegeben habe, habe ein älteres Ehepaar jedoch beim Baden eine schreckliche Entdeckung gemacht. Unweit des Pavillons sei eine Hundeleiche angetrieben worden. Als man die vermeintliche Angehörige des Haustiers hinzurief, habe diese unter Tränen die Identität ihres geliebten Halbmenschen bestätigt. Es habe sich laut dem hinzugezogenen Rechtsveterinär aus Honolulu um einen Badeunfall mit Todesfolge gehandelt, bei dem der Hund wohl mit der Achillesferse des Hundes, dem Stirnbein, gegen einen Stein geprallt war. Es habe viel Trauer, Heulen und Zähneknirschen unter den Hotelgästen und Angestellten gegeben. Auch er selbst sei untröstlich. Wegen des Schreckens und der Tragik dieses Ereignisses habe man den Tag im Hotel zum Trauertag erklärt. Alkoholische Getränke erhalte man heute zum halben Preis. Bei Einbruch der Dunkelheit gebe es eine Feuerseebestattung, bei der man ein Boot mit der Leiche des Hundes zu Wasser lasse und es anzünde, um den brennenden Schwimmsarg auf den Ozean hinaustreiben zu lassen. Dabei handele es sich um eine hawaiianische Begräbniszeremonie. Im Anschluss gebe es im Pavillon ein Barbecue.
Stallmeister und Kerstin gönnen sich ein Bier und einen Caipirinha, und er muss seine Freundin beruhigen - wegen der Geschichte mit dem Hund. Er versichert ihr, dass kein Hundemörder hier sein Unwesen treibe. Als sie wissen will, warum ein Hund mitten in der Nacht baden gegangen sein soll, meint er, das täten Hunde bei Neumond öfter; sie seien dann besonders verwirrt. Später geht er hinaus auf die Terrasse, um zu rauchen, drinnen ist wie im ganzen Land Rauchverbot. Er vermisst die Rauchboxen.
Danach gehen sie auf ihr Zimmer, ziehen sich aus und sehen nackt fern. Als auch das Kerstin nicht von der Hundegeschichte ablenken kann, haben sie Sex.
Pünktlich um halb sieben geht die Sonne unter. Sie beschließen, der Begräbniszeremonie aus einiger Entfernung zuzusehen. Von der Terrasse aus betrachten sie das Schauspiel. Der Bereich um den Pavillon herum ist hell erleuchtet. Zusätzlich zu den Fackeln hat der Manager Scheinwerfer aufgetrieben. Stallmeister kann Nicola erkennen, die in einem weißen Kleid mit schwarzem Schleier in der Mitte der Leute steht. Außerdem sieht er den Hotelmanager, Jim und Trogbert, der als einziger nicht steht, sondern sich mit einem Drink auf einen Stuhl gesetzt hat. Ein Hawaiianer polynesischer Herkunft im Lendenschurz leitet die Zeremonie. Er scheint ein paar Beschwörungen und Himmelsanrufungen zu sprechen. Dann tanzt er und Stallmeister meint ihn singen zu hören. Die Menge teilt sich und gibt den Blick frei auf das Boot, das auf dem Strand liegt. Der Hund ist nicht zu erkennen. Drei weitere Hawaiianer in traditionellem Kostüm schieben das Boot hinaus, einer führt es. Dann lässt sich der Priester von einem Hotelangestellten eine Fackel geben. Er macht mehrere Verbeugungen und zündet dabei beinahe eine betagte Frau an, die von ihrem Mann vor den Flammen gerettet wird. Als sich die Aufregung darum gelegt hat, wirft er die Fackel ins Boot. Die Holzscheite flammen auf. Sein Gehilfe schiebt das schwimmende Feuer in die pechschwarze See hinaus. Es geht ein Raunen durch die Menge. Stallmeister sieht, wie Nicola zusammenbricht. Erst fällt sie auf die Knie, dann mit dem Oberkörper vornüber in den Sand. Jim und der Manager helfen ihr hoch. Jeder der Anwesenden scheint ihr anschließend sein Beileid auszusprechen.
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