Nachdem sie noch eine Weile vergebens versucht hatte sich leise ihrer Handschelle zu entledigen und mehr von ihrer Umgebung zu erkennen, sank sie wieder zurück in den Sand und wartete ab. Sie konnte nichts tun. Und die anderen um sie herum schienen allesamt tief und fest zu schlafen.
Schlaf … das war wahrscheinlich das Einzige, was ihren Kopf vor lauter Grübeleien jetzt vom Zerplatzen abhalten konnte!
Als sie das nächste Mal erwachte war es taghell und sie konnte endlich ihre Umgebung wahrnehmen. Zwar machten ihr immer noch die Schmerzen in ihrem Kopf zu schaffen, aber sie sah deutlich die nächtlichen Schatten jetzt bei Tage. Es waren tatsächlich andere Menschen gewesen, die allesamt, genau wie sie, angekettet auf dem Boden eines Zeltes saßen oder lagen. Freya erschrak, als sie in die Gesichter der Menschen blickte. Es waren ausnahmslos fremdländische Menschen mit dunkler Haut und schwarzen Haaren. Ihre Augen konnte Freya nicht erkennen, niemand wagte auch nur einmal den Kopf zu heben oder sich verstohlen umzusehen. Obwohl die anderen Leute im Zelt alle wach waren, was Freya unschwer erkennen konnte, blieben doch alle still sitzen, als warteten sie resigniert auf etwas Bestimmtes.
Freya hatte mittlerweile längst alles Gefühl für die Zeit verloren, sie hätte nicht sagen können, ob es kurz nach Sonnenaufgang oder kurz vor Sonnenuntergang war, aber nach einer ganzen, langen, ewig dauernden Weile kam jemand in einem langen, dunklen Gewand mit einem verschlungenem Tuch um seinen Kopf, das einen Großteil seines Gesicht verbarg, in ihr Zelt, sah sich gründlich die einzelnen Menschen an und machte sich daran, vereinzelte Leute von der langen Eisenkette, an der alle mit ihren eigenen Ketten verbunden waren, abzumachen, um sie grob hinter sich her aus dem Zelt zu zerren.
Von draußen erklangen verschiedene Stimmen, alle in der fremden Sprache, die Freya tags zuvor auf dem Marktplatz gehört hatte und nicht verstand. Dann hörte sie, wie sich die Stimmen immer weiter fort bewegten.
Nach kurzer Zeit kam der vermummte Mann wieder ins Zelt herein. Diesmal blickte er als erstes direkt zu Freya hinüber. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als seine eiskalten Augen ihren Blick trafen. Grenzenlose Furcht stieg in ihr hoch. So erbärmlich hilflos, wie gerade eben jetzt, hatte sie sich noch nie gefühlt. Was wollte er von ihr?
Sein Blick wanderte zu einem anderen Mädchen hinüber, dann besah er noch drei weitere Mädchen. Sie schienen alle in Freyas Alter zu sein, vielleicht auch etwas jünger. Keines von ihnen schien aber dermaßen beunruhigt zu sein, wie Freya es war. Sie wirkten auf sie eher … stumpf. Ganz so, als hätten sie sich aufgegeben. Freya schluckte.
Der Mann löste ihre Ketten und zog sie mit sich hinaus ins Freie. Nur widerstrebend wollten Freyas Füße ihren Dienst aufnehmen und mitlaufen. Umso grober wurde sie von dem Mann an ihrer Kette auf die Füße gezogen und wurde hinter den anderen Mädchen her gestoßen.
Draußen erwartete sie der bunte, fröhliche Marktplatz. Überall wuselten wieder fremdländische Menschen durch die Gegend, waren immer noch die Stände mit allerlei Waren aufgebaut, wurde hier gefeilscht und dort nachgefragt, und schließlich Waren verpackt und verstaut.
Freya wurde unsanft in eine Reihe gezwungen, zu der sich die anderen Mädchen aufgestellt hatten. Sie musste gegen die Sonne anblinzeln und senkte den Blick, um sich dem grellen Sonnenlicht zu entziehen.
Ein Mann trat auf sie zu, fasste sie hart unter das Kinn und zwang ihren Kopf nach hinten, um sie genauer anschauen zu können. Dann sagte er etwas. Als Freya nicht darauf reagierte, blickte er den anderen Mann an, der sie aus dem Zelt herausgeholt hatte. Er trat auf Freya zu und sprach sie direkt in einem schroffen Ton mit lauter Stimme an. Freyas Augen weiteten sich, als sie begriff, dass sie absolut nicht verstand, was man nun von ihr erwartete. Aber der Mann in seinem dunklen Gewand fackelte nicht lange und schlug sie hart ins Gesicht, wobei er seine Worte wiederholte.
Angst stieg Freya bitter die Kehle hinauf, Angst, gemischt mit einer ungesunden Wut.
Noch einmal trat der andere Mann an sie heran und blickte ihr voller Zorn ins Gesicht. Freya verstand immer noch nichts von dem, was er ihr entgegen stieß. Sie schaute kurz zu den anderen Mädchen hinüber, die aber alle den Kopf tief gesenkt hielten und so taten, als hätten sie nichts von alle dem mitbekommen. Wunderbar, schoss es ihr durch den Kopf. Sie konnte hier noch nicht mal jemandem vermitteln, dass das alles hier nur ein Missverständnis sein musste!
Ein fester Tritt gegen ihr Schienbein brachte sie aus ihren Überlegungen.
Langsam spürte Freya, wie ihr die Zornesröte ins Gesicht stieg. Kampfeslustig sah sie den Mann vor sich an.
„Ich habe mich schon öfter gegen Männer wehren müssen, die sogar größer waren, als du. Wenn du es darauf anlegst, kannst du dir gerne Prügel von mir abholen!“, stieß sie ihm verächtlich zwischen zusammengebissenen Zähnen entgegen.
Die Männer wechselten kurz einige zornige Worte, dann fasste der eine mit beiden Händen nach ihrer Bluse und riss sie mit einem Ruck auf.
Fast automatisch schlug Freya mit ihrer freien Faust zu und landete einen gezielten Treffer mitten auf seiner Nase. Der Mann riss augenblicklich seine Hände vor sein Gesicht und krümmte sich mit einem schmerzverzerrten Wehklagen. Der andere Mann schob sich sofort dazwischen, eine Faust deutlich zum Schlag erhoben, und hätte Freya um ein Haar wieder mitten ins Gesicht getroffen, aber Freya duckte sich blitzschnell unter der Faust weg. Oft genug hatten irgendwelche Strolche auf ihrer langen Reise geglaubt, man könne sich ungestraft an ein Mädchen wie sie heranmachen. Was glaubten die Männer eigentlich alle? Dass ein Mädchen, nur weil es einsam durch die Gegend streifte, automatisch wehrlos und damit leichte Beute war?
Freya duckte sich ein weiteres Mal unter seinem Schlag geschickt weg und schlug ihm ihrerseits so hart sie konnte in die Nieren. Ein Stöhnen verriet ihr ihren Erfolg.
Natürlich wurden noch andere Männer auf das Spektakel aufmerksam und kamen neugierig näher. Missbilligung stand in ihren Gesichtern deutlich zu lesen, Missbilligung und unverhohlener Hass. Von ihnen allen konnte sie wohl keine Hilfe erwarten.
Geistesgegenwärtig schnappte Freya mit der linken Hand nach der Kette, die noch immer an ihrer linken Handschelle befestigt war, und schleuderte das freie Ende der Kette mit Wucht über ihrem Kopf im Kreise herum. Die Männer um sie herum wichen alle sofort einige Schritte vor dem unheilig schwirrenden Metall zurück. Fieberhaft überlegte Freya, wohin sie fliehen konnte, währen sie einige Schritte unsicher im Kreis herumlief und die Menschenmenge immer wieder vor sich her trieb, aber einen Ausweg aus ihrer Misere sah sie noch nicht. Dort, wo einige Männer zurückgewichen waren, gewahr sie den Anblick eines Pferdes, dass dort gesattelt auf dem Marktplatz stand. Das wäre zumindest eine Chance von hier weg zu kommen. Wenn sie denn nur reiten könnte! Aber was für eine Wahl hatte sie denn? Jetzt wohl keine mehr!
Langsam tastete sie sich immer weiter in Richtung der Mitte des Marktplatzes vor. Dann stürmte sie plötzlich wie der Blitz durch die Männermenge hindurch auf das Pferd zu. Sie hatte noch nie auf so einem Tier gesessen, geschweige denn ein Pferd geritten, aber wenn andere das konnten, dann konnte sie das auch. Außerdem blieb ihr jetzt gar keine Zeit mehr sich über ihre Reitkünste Gedanken zu machen. Sie musste jetzt ihr Glück beim Reiten eines Pferdes versuchen. Gegen so viele Männer, die kein Geheimnis daraus machten, dass Frauen in ihrer Kultur anscheinend keine Rechte hatten, würde sie niemals ankommen. Sie musste fliehen! Und zwar jetzt!
Mit Erleichterung stellte sie fest, dass es gar nicht schwierig war in den Sattel des Pferdes zu kommen. Als sie allerdings anreiten wollte bäumte sich das Pferd erst einmal laut wiehernd auf und hätte sie fast wieder abgeworfen, bevor es dann durch die Menschenmenge davon preschte.
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