1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Die Hormongruppe in ihrem Hinterkopf gab sich einem leisen Seufzen hin. Dieser Mann hatte nur einige recht wesentliche Fehler: Er war zu jung, zu gutaussehend und zu reich. Hetty hatte schon einige Zeit nicht mehr an Kai gedacht.
Ihr Verstand räusperte sich vernehmlich. »Definiere mir bitte den soeben verwendeten Begriff „einige Zeit.«
Schuldbewusst gab Hetty zu. »Gestern.«
Ihr Verstand wollte es genauer wissen und stellte das Kurzzeitgedächtnis zur Rede.
»Na ja, das kann man nicht so genau sagen. Gestern ist ein relativer Begriff.«
Während ein genervter Teil ihres Gehirns versuchte, die Formulierung „relativ“ mit einem genau festgelegten vierundzwanzigstündigen Zeitabschnitt in Zusammenhang zu bringen, wurde Hetty glücklicherweise durch Susi aus ihren geistigen Selbstgesprächen gerissen. »Machen wir jetzt erst mal alle Schauwege, die hier eingetragen sind?«
Hetty nickte. »Anschließend können wir in der Hauptstation Mittagessen und später die zweite Flugshow ansehen.«
Susis fragender Blick wurde sofort beantwortet. »Da haben sie dann andere Vögel, also wieder ganz interessant.«
Genauso spannend war es allerdings auch, nach dem Begehen der äußerst schön und abwechslungsreich angelegten Wanderwege, in der Picknickzone außerhalb der Hauptstation das Mittagessen einzunehmen. Da konnte es nämlich leicht passieren, dass einem ein allzu neugieriges Wallaby auf die Zehen trat. Die Exemplare welche dieses eingezäunte Gebiet beherbergte, waren zwangsgedrungen an Menschen gewöhnt und eher neugierig, denn flüchtend veranlagt.
Als Susi lächelnd zusah, wie sich eines dieser kleinen Känguruhs verwegen durch eine Menschengruppe drängelte und dabei mit seinen starken Hinterpfoten einige mehr oder weniger starke Tritte verteilte, erklärte Hetty. »Die haben hier eine richtig nette Mischung aus Wildtieren und solchen, die an Menschen gewöhnt sind. Wenn wir nachher wieder durch das freie Gelände gehen, werden wir sicher ein wildes Wallaby aufschrecken, das dann mit großen Sprüngen möglichst schnell das Weite sucht.«
Sie deutete auf die Menschen, die lachend dem kleinen Känguruh Platz gemacht hatten. »Und hier kann man das Tier dann in aller Ruhe aus der Nähe betrachten.«
Auch bei der zweiten Flugshow des Tages mischten sich ein paar wilde Zaungäste zu den gezähmten Akteuren. Als der Falke an der Reihe war und seinen Köder, einen Fisch verfehlte, stakste kurz darauf ein Jaribu, der am Rande das Geschehen verfolgt hatte, in das Wasser und schnappte sich die Beute.
Die Ranger nutzten die Gelegenheit, um auch einige Informationen über diesen australischen Storch zu liefern. Die Besonderheit an dieser Gattung war der Unterschied, an dem man Männchen und Weibchen auseinander halten konnte – nämlich die Farbe der Umrandung der Augen.
Susi kicherte. »Schau mir in die Augen Kleine.«
Dann kam der große Auftritt des Keilschwanzadlers. Ein wunderschönes großes Exemplar, das die hochgeworfenen Fleischstückchen mit seinen kräftigen Klauen erstaunlich elegant und zielsicher fasste. Die Ranger hatten eine entsprechend lange Flugstrecke eingerichtet, damit man genügend Zeit hatte um die breiten Schwingen zu bewundern. Die größten Vögel sollten eine Spannweite von zwei Metern erreichen und die Zuschauer waren von dieser Information entsprechend beeindruckt.
Der nächste Kandidat war dann ein Schwarzbauchbussard, erkennbar vor allem durch weiße Federn an der Unterseite der Schwingen. Der Ranger legte ein Straußenei in die Wiese und erklärte, dass dieser Vogel äußerst schlau sei und eine Technik entwickelt hatte, die großen hartschaligen Eier zu knacken. Da sein Schnabel hierfür nicht geeignet war, benutzte er ein Werkzeug.
Behutsam setzte er den Vogel vor dem Ei auf den Boden. Der beäugte es kurz, fackelte nicht lange und hüpfte die zwei Meter zum Teich, dessen Rand aus großen Kieseln bestand. Dort packte er mit seinem Schnabel einen der Steine, hüpfte zurück zum Ei und begann mit dem Stein das Ei zu torpedieren. Kurz darauf hatte die Schale ihren Geist aufgegeben und der Vogel konnte problemlos an den Inhalt des Eies kommen. Nachdem der Applaus der Leute verhallt war, erzählte der Ranger sie hätten jetzt nur das Problem, dass der Vogel inzwischen so schlau sei, dass er jedes Ei aufbekomme und ihnen mittlerweile die Straußeneier zu teuer würden.
Er deutete auf die Schalenreste, die er sorgsam aus der Wiese geklaubt hatte. »Also haben wir uns ein künstliches Ei gebaut und mit Sollbruchstellen versehen. Das kleben wir nach jeder Vorstellung wieder zusammen. Innen ist dann etwas Beute versteckt, damit er die Lust nicht verliert.«
Beim anschließenden Fototermin vor den Volieren waren sie natürlich dann auch nochmal dabei. Die kleine Wuff-Wuff-Eule war wieder von allen umringt und Hetty stand da und betrachtete das bellende Tier voller Wonne.
»Du bist ja richtig verschossen in den Vogel!« Susi stupste sie an, als sie den Bereich des Flugdecks verließen. »Oder liegt es an dem gutaussehenden Ranger?«
Hetty lachte. »Sagen wir mal so, er ist das Tüpfelchen auf dem i, oder?«
Susi grinste. »Na ja, ich glaube, den würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen, wenn er sich dahin verirrte.«
Inzwischen war es schon reichlich spät geworden und ein Blick auf die Karte verriet, dass sie noch einige Teile des Parks überhaupt nicht besucht hatten.
Hetty blieb an der Shuttlehaltestelle stehen und informierte sich über die Fahrtzeiten. »In fünf Minuten müsste die Bahn vorbeikommen. Da springen wir dann auf, fahren zwei Drittel des Weges mit und gehen dann vom Dingogehege aus, über die Wasserbüffel zu den großen grauen Känguruhs und an den fetten Schweinen vorbei, wieder zurück zum Haupteingang.«
Als sie schließlich eine Stunde später reichlich müde am Camper ankamen, waren sie sich einig, dass sie für ihre zwanzig Dollar Eintrittsgebühr eine Menge Gegenleistung erhalten hatten und morgen wieder ein Ruhetag nötig war.
»Mmh! Dieser Koch ist einfach fantastisch!« Susi leckte mit Genuss die Gabel ab und lehnte sich zufrieden zurück.
Hetty konnte ihr nur beipflichten. Diese Meeresfrüchtelasagne war etwas, für das man sterben konnte. Das einzige Problem der Schlemmerei war, dass sie mittlerweile trotz ausgiebiger Schwimmrunden im Pool merkte, dass sie langsam aber sicher Gewicht ansetzte.
Nachdem sie seufzend ihre zunehmenden Rundungen betrachtet hatte, schloss sie die körperliche Bestandsaufnahme mit der Ankündigung ab: »Ab morgen wird das wieder runter trainiert.«
Das war allerdings leichter gesagt, als getan. Bei den durchschnittlichen siebenunddreißig Grad, die bereits am frühen Morgen herrschten und achtundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit bekam man alleine durch den Gedanken Sport zu treiben, schon Schweißausbrüche.
Susi fand schließlich eine Lösung. Sie stellten den Wecker auf Morgendämmerung und joggten dann im trüben Licht ein halbe Stunde durch den zweiten Teil des Campingplatzes, der sich leicht über einen halben Quadratkilometer erstreckte und um diese Jahreszeit nicht belegt war.
Zwei Tage später fragte eine schweißtriefende Hetty. »Was meinst du, haben wir uns eine Sonnenuntergangsfahrt verdient?«
Als sie mit einem Champagnerglas in der Hand in dem kleinem Katamaran saßen und die niedergehende Sonne betrachteten, mussten sie zugeben, dass das ein würdiger Abschluss ihres Aufenthalts in Darwin war.
Hetty war zwar nicht seefest, allerdings wurde ihr erst übel, wenn eine richtige Dünung auf das Boot traf.
Hier im relativ geschützten Bereich und bei angesagtem niedrigem Wellengang konnte auch sie eine Segeltour genießen und so äußerte sie zufrieden und glücklich. »Ich fahre wahnsinnig gerne in einem Hafen durch die Gegend. Zum Beispiel in Sydney – da kann ich den ganzen Tag auf der Fähre sitzen. Doch sobald ich richtige Wellen abkriege, brauche ich ganz schnell eine wirksame Tablette gegen Seekrankheit.«
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