Anschließend ging es zu Hettys absolutem Lieblingsgebäude weiter, dem Parlamentshaus. Die Architekten Burrows und Partner hatten hier etwas geschaffen, das in ihren Augen ein wahres Highlight war. Es lag gleich gegenüber der alten Town Hall und zog Hetty magnetisch an. Die aus einer weißen Metallkonstruktion bestehende Fassade vereinte orientalische Strukturen, mit einem Anklang an die Bauhaus-Ära. Obwohl die Anlage riesengroß war, wirkte das Bauwerk fast schwerelos.
Netterweise konnte man das Gebäude auch innen besichtigen, allerdings erst nachdem man eine Sicherheitsschleuse, ähnlich wie am Flughafen, passiert hatte. Doch dann hatte man freien Zutritt zu bestimmten Zonen für den Publikumsverkehr und die große Bücherei.
In der riesigen Eingangshalle war es wie im restlichen Gebäude schön kühl, denn die Fenster waren mit einem Sonnenschutz ausgestattet, der über achtzig Prozent des Lichtes reflektierte. Auch das Holz, das verwendet worden war, hatte man nach den Aspekten der Kühlung ausgesucht. In der Bücherei konnte man neben diesen Hinweisen auf Schautafeln, unter anderem auch eine große Menge an Entwurfskonzepten von Architekten finden, die noch weitere futuristische Ideen zur Bebauung der Stadt ausgearbeitet hatten.
Während Susi das restliche Gebäude besichtigte, blätterte Hetty sich, wie jedes Mal, wenn sie hier war, durch die Mappen mit Darstellungen, die in 3-D-Perspektiven die überbordende Kreativität der Designer und Städteplaner zeigten. Einige der Pläne waren inzwischen sogar schon realisiert worden, die meisten hatten allerdings dann doch keine entsprechenden Investoren gefunden.
Als Susi zu ihr trat, klappte Hetty seufzend die Mappe zu, in der sie geschmökert hatte. »Einfach faszinierend, was denen alles einfällt. Dagegen sind unsere Architekten trübe Tassen!«
Susi nickte. »Also ich muss zugeben, obwohl ich mich mit Architektur nicht so auskenne, das Gebäude hier ist wirklich toll.«
Gemeinsam besichtigten sie noch einige Ausstellungsstücke in den Vitrinen, die von dem Zyklon stammten. Da Susi noch mehr darüber wissen wollte, fuhren sie anschließend zum Nationalmuseum. Dort gab es eine Tracy-Ausstellung in der man sich über diesen Vorfall, der die ganze Nation geschockt hatte, eingehend informieren konnte. Hunderte Tote waren zu beklagen gewesen, was in einem so dünn besiedelten Land noch viel mehr zur Geltung kam.
Auf den ausgestellten Fotos der restlichen Gebäude und den Luftaufnahmen von vorher und nachher konnte man erkennen, dass die Stadt nach dieser Nacht praktisch nicht mehr existiert hatte. Filmaufnahmen zeigten die Fahrt des ersten Reporters, der sich durch die mit Trümmern übersäten Straßen kämpfte. Seine Stimme, die versuchte das Unglaubliche zu schildern, brach zeitweise immer wieder ab, da er sich erst wieder sammeln musste, um weiter berichten zu können.
Und für die ganz hartgesottenen Besucher gab es noch eine spezielle Kammer. Vor dieser hing ein großes Warnschild, auf dem darauf hingewiesen wurde, dass hier traumatische Erinnerungen geweckt werden könnten und nur Leute eintreten sollten die sich sicher waren das durchzustehen. Es stand auch dran, was da drin passieren würde. Nachdem man durch die selbstschließende Stahltüre eingetreten war, ging das Licht aus und man stand im Dunkeln. Nur eine kleine Funzel zeigte an, wo die Türe war. Dann ertönte ein metallisches Klacken und anschließend konnte man sich gute zehn Minuten lang eine Originalaufnahme des Sturms anhören. Ein Pfarrer hatte damals sein Tonbandgerät mitlaufen lassen und das Ganze auch noch kommentiert.
Susi hielt es genausowenig wie Hetty länger als ein paar Minuten aus. »Ich muss raus!«
Erleichtert standen sie wieder im Ausstellungsraum und wischten sich den Schweiß von der Stirn. Nicht nur, dass man meinte, ein Zug würde über einen hinweg fahren, das enervierende Geräusch von abreißenden Blechdächern, die dann mit lautem Krachen irgendwo gegen donnerten und die kippende Stimme des Pfarrers gaben einem eine gründliche Ahnung davon, was die Menschen damals mitgemacht hatten.
Hetty mit ihren klaustrophobischen Ängsten war sich sicher, sie hätte da vollkommen durchgedreht. Doch Australier waren aus härterem Holz geschnitzt. Von den damals vierzigtausend Bewohnern wurden fürs erste dreißigtausend innerhalb kürzester Zeit evakuiert. Jeder Flieger, der in Australien aufzutreiben war, landete in Darwin um die Leute abzuholen. In so einem Notfall hielt das ganze Land solidarisch zusammen und alle zogen an einem Strang.
Die in der Stadt verbleibenden Menschen druckten sich diesen Spruch aufs T-Shirt, spuckten in die Hände und räumten auf. Sie würden aus den Resten wieder eine Stadt entstehen lassen, da gab es gar keine Frage. Australiens Regierung war auch der Meinung, und beschloss, da müssten Gelder und Hilfe fließen. Und schwuppdiwupp – Darwin erstand neu, wie Phönix aus der Asche.
Die zerstörten historisch wertvollen Gebäude wurden täuschend echt nachgebaut und wer es nicht wusste, hatte keine Ahnung davon, dass sie nicht schon hunderte Jahre auf dem Buckel hatten. So konnte man also wieder ein Gouvermenthaus und noch ein paar der alten Teile besichtigen und die Vergangenheit war nicht ganz verloren.
Natürlich hatten sie in den letzten Jahren noch weitergebaut. An die eigentliche City grenzten inzwischen zahllose weitläufige Außenbezirke an, die alle durch den Stuart Highway verbunden wurden und man brauchte eine gute halbe Stunde Fahrt um unbebautes Gebiet zu erreichen.
Susi sah kopfschüttelnd aus dem Fenster des Campers, als sie in die Stadt fuhren. »Der blanke Wahnsinn. Ein Schild Tempobegrenzung auf hundert Stundenkilometer und dann alle paar Kilometer eine Ampel!«
Hetty konnte ihr nur recht geben. »Als ich das erste Mal hier reingefahren bin, habe ich mir fast in die Hosen gemacht, immer zwei bis drei Spuren, alle drängeln hinter dir her und vor dir eine Ampel nach der anderen, die jeden Moment auf Rot umschalten kann. Da brauchst du gute Bremsen!«
Sie lachte auf. »Und die Ampelschaltung muss man auch verstehen. Nicht meinen, wenn ein paar Minuten oder länger nichts passiert, die Anlage wäre kaputt und vorsichtig bei Rot rüber schleichen! Die haben hier so lange Schaltzeiten, dass man eigentlich den Motor abstellen müsste. Da man aber dann sofort losfahren muss, geht das nicht. Also wartet man angespannt und düst dann mit Karacho nach vorne, um dann kurz darauf wieder sinnlos in der Gegend zu stehen!«
Susi schüttelte den Kopf. »Ich bin echt froh, dass ich hier nicht selbst fahren muss.«
Am Nachmittag machten sie noch kurz einen Ausflug zu Jennys Orchideengarten, der etwas außerhalb der Stadt lag. Hetty hatte Susi, die den Flyer im Foyer des Campingplatzes entdeckt hatte, allerdings vorgewarnt. »Das ist vor allem eine Gärtnerei. Du siehst zwar blühende Orchideen, aber die meisten Pflanzen sind Zöglinge.«
Verwöhnt von den Gartenbaucentern in Deutschland mit ihren großen Orchideenabteilungen war sie, bei ihrem ersten Besuch, leicht enttäuscht und ziemlich irritiert durch die riesigen Gewächshäuser gestreift. Die waren zwar sehr beindruckend. So viele Pflanzen auf einmal. Da gab es nicht nur tausende, sondern hunderttausende Orchideen. Aber nur wenige blühten, und auch Jennys Garten, der an die Glasbauten angrenzte, wies nur ein paar Exemplare auf, die sich in voller Pracht präsentierten.
Wie unterschiedlich die Auffassungen waren, zeigte der Rundgang mit Susi. Hetty hatte vergessen, dass in Australien andere Ansichten herrschten. Hier gab es keine Gartencenter und in den kleinen Gärtnereien war normalerweise auch nicht gerade viel zu finden.
Also war für Susi diese Ansammlung von Grün absolut großartig und sie schlenderte entzückt von Pflanze zu Pflanze. »Ich muss mir unbedingt eine kaufen!«
Hetty schüttelte den Kopf. »Bis du wieder zuhause bist, hat sie den Geist aufgegeben. Im Camper ist zu wenig Licht und die Hitze unter Tags bringt sie garantiert um.«
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