1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Eine Stunde später kam dann der Schwule. Der Mann versuchte während der Fahrt ständig seine Hand auf den ihm näheren Schenkel von Rudolf zu legen, fragte unverblümt, ob er sich nicht von ihm 'liebkosen' lassen wolle, es sollte auch nicht zu seinem finanziellen Schaden sein.
Rudolf schlug ihm spielerisch auf die Finger, als er in einer lang gezogenen Kurve seinem Hosenschlitz verdächtig nahe kam. Aber er regte sich nicht sonderlich auf darüber. Dies gehörte zu den fast 'normalen' Vorkommnissen, wenn man in der Nacht Taxi fuhr. Er lächelte ihn sogar an, als die Fahrt zu Ende war, bekam dafür auch zwanzig Euro Trinkgeld.
Er gähnte gelangweilt, als er sich wieder in Richtung Innenstadt bewegte, um sich eine neue Fuhre zu suchen. Was um diese Uhrzeit - es war mittlerweile ein Uhr vorbei - keine Schwierigkeit war. Viele Lokale machten Sperrstunde und man brauchte die wartenden Gäste einfach nur abzuholen, einzusammeln und möglichst schnell an das gewünschte Ziel bringen, um dann eiligst die nächsten Fahrgäste einzuladen. Sie liefen einem förmlich zu, um diese Uhrzeit, keilten sich manchmal sogar darum, wer als erster Anspruch hatte einzusteigen. Es war zum Kichern, hier und da gab es richtige Raufereien, zum Beispiel wenn die Wetterverhältnisse so, wie eben gerade in dieser Nacht waren. Was den Vorteil hatte, dass die Zeit wenigstens schneller verging, man ausreichend beschäftigt war. Das ging dann noch so ungefähr bis Halbdrei, dann wurde es wieder kurzzeitig ruhig, bis um vier, wenn dann die Diskotheken schlossen und das große Aufräumen begann, "Lumpen sammeln" wie es so liebevoll im Metier hieß. Wobei um diese frühe Stunde natürlich auch die Gefahr irgendwelcher Unannehmlichkeiten proportional mitwuchs, wie zum Beispiel, dass einem irgendeine Alkoholleiche auch noch den Wagen vollkotzte. Jeder Taxifahrer, in allen Städten der Welt, hatte dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nur einmal erlebt. Das gehörte eben zum sogenannten Berufsrisiko. Wenn man nicht bereit war, sich mit solchen Ereignissen abzufinden, war man auf jeden Fall fehl am Platze. Auch Rudolf waren solche Geschehnisse nicht erspart geblieben, aber es gab Schlimmeres.
Wie zum Beispiel das, was nun auf den Fuß folgen sollte und was nicht einfach nur mit Wasser zu bereinigen war.
Die beiden Männer überquerten ruhigen gemessenen Schrittes, fast schon würdig, langsam die Straße, kamen direkt auf ihn zu, stiegen wortlos in den Fond seines Wagens.
Rudolf bot ihnen an, den kleinen Koffer im Kofferraum unterzubringen, sodass sie bequemer sitzen könnten, was sie mit gnädigem Nicken annahmen.
Sie unterhielten sich angeregt auf Italienisch, sprachen von irgendwelchen Problemen geschäftlicher Natur, soweit er das mitbekam. Der Eine, hager und groß mit kurzem wohlgestutztem Bart, offensichtlich der Untergebene, schien den Älteren etwas zu bedrängen, insistierte mit scharfer Stimme, während dieser in tiefem ruhigem Tonfall den Jüngeren eher zu beruhigen trachtete. Da war nichts Außergewöhnliches zu bemerken, ganz normale, angenehme Fahrgäste, sie ließen ihn wenigstens in Ruhe seine Arbeit verrichten. Man wies ihn unterwegs an, vor einem Lokal anzuhalten, der jüngere Mann stieg aus, ging hinein, kam aber schon nach wenigen Minuten wieder zurück, man fuhr weiter. Noch zweimal musste er anhalten, jedes Mal vor Lokalen, in die der Jüngere immer nur kurz hineinging und schon bald wieder herauskam. Der andere Mann war nicht unfreundlich, ganz im Gegenteil, machte inzwischen zaghafte Versuche von "Small Talk", fragte nach Details von Rudolfs Job. Aber Rudolf war gerade überhaupt nicht zum Plaudern zumute, seine Antworten fielen dementsprechend kurz und lakonisch aus, was dann auch bald alle Kommunikationsversuche des Mannes hinter ihm, im Sande versickern ließ.
Als letztes Fahrtziel, wie man ihm ankündigte, sollte er weit hinunter in den Süden der Stadt fahren, ins Nobelviertel, hin zu einem Restaurant namens "Il Cacciatore", wo sie dann auch aussteigen wollten. Rudolf konnte das nur recht sein, es war eine lange Fuhre geworden, die Schaltuhr auf seinem Armaturenbrett zeigte bereits über dreißig Euro an, und bis man am angegebenen Zielpunkt angekommen wäre, stünden da bestimmt bis fast an die Fünfzig auf dem Zähler. Das kam ihm gerade recht. Nach dieser Fahrt wollte er Schluss machen, für heute, es war genug, für diese Nacht reichte es.
Er fuhr den Wagen in eine Einfahrt neben dem Lokal, stellte den Motor ab, wollte schon seine Geldtasche zücken, als der Ältere ihm bedeutete, noch einige Minuten zu warten. Möglicherweise fuhr man doch wieder mit ihm zurück in die Innenstadt. Auch das konnte Rudolf nur recht sein, da musste er auf seinem Heimweg ohnedies vorbei. Ein Kellner kam aus dem Lokal, kam zum Wagen, fragte den Mann im Fond etwas auf Italienisch. Rudolf verstand nur Bahnhof. Der Kellner ging wieder ins Lokal. Der Mann hinter im Fond seines Wagens trommelte nervös mit seinen Fingerspitzen auf den Handgriff an der Tür.
Dann ging es ganz plötzlich Schlag auf Schlag, im wahrsten Sinne des Wortes.
Der jüngere Mann kam etwas taumelnd aus dem Haus, hatte eine Pistole in der Hand und schoss zweimal in die offen stehende Eingangstür des Lokals.
Dann traf ihn ein von innen abgegebener Schuss, er stürzte zu Boden, kroch in Deckung eines anderen, vor dem Lokal geparkten Wagens.
Rudolf saß da, mit nach unten gesunkener Kinnlade, weit vorgebeugt, die Augen weit aufgerissen. Es ging alles sehr, sehr schnell und hatte doch auch gleichzeitig eine Komponente von Zeitlupe.
Zwei Männer, ebenfalls mit Waffen in der Hand, kamen herausgelaufen, duckten sich hinter einem anderen Auto, feuerten weiter auf den bereits verletzten Mann, bis dieser endlich zusammensackte und sich nicht mehr regte.
Der zweite Fahrgast war inzwischen leise aus dem Wagen geglitten, schoss nun von der anderen Straßenseite auf die beiden noch immer geduckt verharrenden Männer, die sofort zurückfeuerten und sich wieder in Deckung brachten. Rudolf konnte die vorbeisirrenden Kugeln selbst bei geschlossenen Fenstern hören. Er sollte zusehen hier wegzukommen, nur momentan war an keinerlei Bewegung auch nur zu denken.
Plötzlich schrie einer der Männer hinter den Autos auf, taumelte ins Licht, wurde noch einmal getroffen, brach zusammen. Aber auch der zweite seiner beiden Fahrgäste hatte wohl etwas abbekommen, er lag blutend auf dem Boden, hielt aber noch immer seine Waffe fest in der Hand, schoss hinüber auf die andere Straßenseite. Der Mann in der Mitte der Straße rührte sich nicht mehr, lag eigenartig verdreht da. Der würde wohl auch nie mehr "Piccata Milanese" essen können. Wie auch immer, er musste weg hier und das auch schnellstens, sonst käme er am Ende auch noch dran. Zu seinem Glück dachte man offensichtlich noch nicht an ihn, beziehungsweise hatte ihn noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Er benützte einen Schusswechsel, um geduckt den Wagen zu starten und so schnell er konnte im Rückwärtsgang hinter das Haus zu kommen. Das Glück blieb ihm hold, da gab noch eine Ausfahrt zu einer Seitenstraße. Rudolf trat in das Gaspedal, der Wagen schoss davon, gegen die Einbahn. Einige Hundert Meter weiter, er war schon fast um die nächste Ecke gebogen, sah er im Rückspiegel einen weiteren Wagen aus der Ausfahrt preschen. Keine Frage, dass es sich um Verfolger handeln musste. Rudolf hatte das Gefühl das Gaspedal bereits durch das Blech in den Motorraum zu drücken, trieb seine Gänge bis in brüllende Drehzahlen, bog schnell in eine nächste enge Seitenstraße, bog gleich noch einmal ab und dann nochmals, schlug Haken, um in der Kreisfahrt wieder auf die breite Hauptstraße zu gelangen. Er sah gerade noch, wie der Wagen, der hinter ihm her war - ein dunkelroter Sportwagen - um die Ecke kam, dann presste sein Fuß wieder das Pedal durch. Er hatte keine Chance, gegen das spritzige kleine Ding. Und was konnte er tun - so einfach wie den dunkelblauen BMW, konnte er diese Leute nicht irreführen. Schon war der Sportwagen ebenfalls wieder auf die Hauptstraße herausgeschossen gekommen, beschleunigte, um zu ihm aufzuschließen.
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