Vier Seiten geschrieben an diesem Tag, Rudolf war mit sich und der Welt ausnahmsweise zufrieden. Aber das Gefühl dauerte nur kurze Zeit an. Draußen war es nun auch schon finster geworden und das hieß, dass er sich sputen musste.
Die Karre wartete schon in diesem Hinterhof auf ihn, wartete, dass er wieder auf den Bock stieg, um sich neuerlich auf diesem Wege, eine Nacht um die Ohren zu schlagen. Wenigstens der Druck der Mietzahlung war nun gewichen, grinsend erinnerte er sich an die Vorfälle der vergangenen Nacht.
Ja, morgen Nacht wollte er sie von ihrer Arbeit abholen, von der "Mademoiselle-Bar". Hoffentlich war nicht wieder der Kerl im dunkelblauen BMW da und verfolgte sie. Er wusste nicht, ob er ihn noch einmal so billig abschütteln konnte.
Auf jeden Fall war da wenigstens eine Perspektive. Genüsslich rieb er sich zwischen seinen Beinen, stöhnte in wohliger Vorfreude. Er würde sein Bestes geben; und das mit dem größten Vergnügen. Da ließ sich gleich auch diese noch vor ihm liegende Nacht leichter ertragen. Wenngleich auch sein Rücken von der Schreibarbeit am Nachmittag, mehr als gewöhnlich schmerzte. Aber ein echter Indianer kannte keinen Schmerz und durchhalten war die Mutter jeglichen Erfolges. Da musste er einfach durch. Arschbacken zusammen und ab durch die Mitte, war einer der Standardsätze seines Vaters gewesen. Und ausnahmsweise hatte er damit recht gehabt, sein Vater. Nur keine Schwächen aufkommen lassen, den Letzten beißen die Hunde.
Aber diese Nacht sollte noch eine grundlegende Änderung seiner Sicht der Dinge gebären.
Dabei hatte alles so schön harmlos begonnen. Eine eher durchschnittliche Schicht. Anfangs recht zügig im Geschäft, schon um Mitternacht hatte er die sich selbst gesetzte Mindestumsatzgrenze erreicht, mehr konnte man von einem gewöhnlichen Montag nicht erwarten.
Einige kleine Episoden würzten die zwischenzeitliche Langeweile. Nämlich, als eine etwas überkandidelte Frau einstieg, eine Diplomatin, wie sie gleich zu erkennen geben wollte. Amerikanische Botschaft, leitende Position - wahrscheinlich war sie Sekretärin, oder Telefonistin. Sie gebärdete sich, als ob nicht nur Rudolf, sein Taxi, sondern auch das Land, alle Politik und die ganze Welt von ihrem Gutdünken abhinge.
"Fahren sie gefälligst schneller, ich habe keine Zeit, das ist eine offizielle diplomatische Mission, also keine dummen Spielchen, okay ?"
Das konnte ja heiter werden, wenn das "Verhältnis" zum Fahrgast gleich mal so begann, das konnte nur in einem Fiasko enden.
"Was meinen Sie mit dummen Spielchen ?"
Rudolf überlegte, ob er die Person ernst nehmen sollte, oder besser nur seinen Sarkasmus auspackte. Zynismus, Sarkasmus, Ironie, die besten Waffen gegen übergriffige Fahrgäste, die glaubten, einen Leibeigenen vor sich zu haben.
"Ich meine, fahren Sie keine Umwege, ich bin keine Melkkuh !"
"Naja, sicher, der erste Teil, das mit dem Melken ist schon etwas übertrieben. Ich mag außerdem gar keine Milch, nicht einmal im Kaffee !"
"Was wollen sie mir damit sagen… Passen Sie auf was sie sagen, sonst…"
"Sonst was… schicken sie mir die CIA ? Oder irgendwelche anderen Verbrecher, die sie so im amerikanischen Militär, im Geheimdienst haben. Wir alle kennen die Geschichten aus Irak und Afghanistan. Wollen sie mir mit Guantanamo drohen ?"
Die Frau zog ihre Oberlippe hoch, wenn sie sprach. Es sah aus, als wolle sie gleichzeitig die Zähne fletschen. Dass sie auch noch affektiert mit ihren Augendeckeln klimperte, machte das Bild vollständig. Eine zu Fleisch gewordene Gurke, obwohl das eigentlich eine Beleidigung für Gurken darstellte.
"Wenn sie frech werden wollen, sind sie morgen ihren Job los, also halten sie ihren Mund und tun sie, was ich ihnen befehle."
"Oooch, wissen sie, ich hab' da gar keine Angst, meinen Job kann ich nur selbst kündigen, ich bin mein eigener Boss. Und ihr Boss ist kein Boss mehr, der alte Gauner, jetzt weht ein anderer Wind !"
"Was meinen sie mit dem Wort 'Gauner', sind sie vollkommen verrückt ?"
"Man kann auch 'Betrüger' sagen, auch 'Lügner' wäre angebracht, aber das Wort "Gauner" fasst das alles so schön zusammen... am liebsten würde ich manche eurer Leute vor dem Internationalen Gerichtshof sehen !"
"Das ist eine Beleidigung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, und wenn sie… "
"Und wenn sie nicht gleich die Klappe halten, dann gehen sie jetzt zu Fuß weiter…"
"Unverschämtheit, ich werde mich beschweren…"
"Ja, können sie gern machen, rufen sie mich morgen an, da ist mein Anrufbeantworter dran, dem können sie alles erzählen !"
"Ich werde sie anzeigen… bei der Polizei, wegen Beleidigung !"
"Das kommt mir entgegen, dann können wir auch, ganz öffentlich ein paar Fragen klären… nämlich in wie viele Schweinereien die Amerikaner verwickelt sind, für ausreichend anwesende Presse wird gesorgt."
"Was meinen sie damit – wenn wir nicht Weltpolizei spielen, wer dann… und wo gehobelt wird, fallen eben Späne."
"Ihr seid aber nicht Weltpolizei, ihr wollt nur neue Spielfelder, für euren wunderbaren Turbo-Kapitalismus, der alles zerstört… zum Glück, auch euch selbst!"
"Aber, aber… das ist… Wir haben ehrliche Absichten… wir sind Helden !"
"Märchen und Lügen – es gibt eine lange Liste all der Schweinereien, in die Amerika, nach dem Zweiten Weltkrieg, verwickelt war, die Liste trieft vor Blut, mit Zahlen, die für sich sprechen und ihr wollt andere Mores lehren, das ist ja geradezu aberwitzig, absurd… Amerika, das Land der verlorenen Träume ?"
"Aaah, sie sind Kommunist, das habe ich mir gedacht !"
Die Frau rutschte auf ihrem Sitz hin und her, sah ihn fast panisch von der Seite her an. An der nächsten roten Ampel öffnete sie ihre Tür, stellte schon mal einen Fuß hinaus.
"Sie wollen aussteigen aus meinem Kommunisten-Mercedes… warten sie, gerne, aber erst wenn sie bezahlt haben… das macht 14 Euro dreißig…"
Rudolf lächelt die Frau breit an, zwinkerte ihr zu. Die würde noch lange von dieser Fahrt erzählen. Sie gab ihm zwanzig Euro, sprang ohne ein weiteres Wort aus dem Wagen, sah sich an der Ampel stehend nochmals nach ihm um. Rudolf fletschte die Zähne, tippte sich an die Stirn, fuhr los.
Er hatte aber keine Zeit noch länger über die Frau nachzudenken. Ein bulliger Mann stieg ein. Er trug einen Parka und einen Dreitage-Bart, von der ungepflegten, unmodischen Art, lümmelte sich in den Sitz. Rudolf vermeinte, den Ärger schon riechen zu können. Aber es war eine weite Fahrt und Rudolf war scharf auf das zu erwartende Geld... so der Typ überhaupt zahlen konnte, oder wollte.
Als sie das Ortsschild des Dorfes, etwa dreißig Kilometer außerhalb der Stadt passierten, fing der Mann auf einmal lauthals zu schluchzen an.
Er sei Soldat, Söldner eigentlich, bei der 'Legion'... Seit vierzehn Jahren das erste Mal zu Hause, seine Mutter... sein Dorf, die Leute, und er habe Angst, jetzt auf einmal, sonst habe er nie Angst, vor nichts.
Alles sei ganz anders geworden... ob Rudolf wisse, wie es sei... ob er schon einmal einen Menschen umgebracht habe... Er selbst habe schon so viele getötet, dass er es schon aufgegeben habe zu zählen... Und nein, er träume nicht von ihnen, nie... nur jetzt, jetzt könne er nicht mehr... Er habe nicht gewusst, dass das nach Hause kommen, so schwer sei.
Er bezahlte anstandslos, lies Rudolf ein stattliches Trinkgeld, stieg heulend aus, ging auf ein kleines Haus zu. Verrückte gab es in rauhen Mengen. Auch wie treffend die Bezeichnung "verrückt" war, deplatziert, geistig ausgehoben.
Rudolf fuhr sehr nachdenklich zurück in die Stadt. Was wusste man denn schon von den Leuten, die da neben einem saßen.
Читать дальше