Und wenn da nicht diese beschissene Miete zu zahlen wäre, könnte er zu Hause sitzen und weiterschreiben. Aber - nein, er saß hier auf dem Bock, mitten in der Nacht, mitten in der Flaute.
Selber schuld, verdammter Narr. Was warst Du auch so blöd gewesen, in dieser stumpfsinnigen Betätigung irgendeine Art von Reiz zu sehen. Autofahren konnte schließlich jeder Trottel und die Stadt auswendig lernen auch.
Diese vermeintliche Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, da war nicht viel herzumachen damit. Na gut man konnte arbeiten, wann man wollte, auch wie lange man wollte. Man konnte sich auch, wenn man wollte, die ganze Nacht in irgendeine Kneipe setzen. Aber dann blieb halt der Geldbeutel leer. Wunderbare Freiheit. Wer zahlte dann seine Miete? Also war er gezwungen, wie jeder andere auch, seine zehn bis zwölf Stunden im Wagen zu verbringen, ansonsten stimmte die Kasse nie. Was wieder zum Effekt hatte, dass man Kreuzschmerzen bekam und den folgenden Tag nur mehr im Tran zur Kenntnis nehmen konnte. Müdigkeit war einer seiner neuen Dauerzustände, lähmte ihn zumeist bis am Abend. Dann erst kam sein Motor wieder auf Touren. Sein Rhythmus hatte sich schon vollkommen umgekehrt. Die Nacht zum Tage zu machen, hieß die Losung, tagsüber fuhr er ein Taxi. Er hatte das versucht, aber das ständige "Stop and Go", das Stoßstange an Stoßstange, Schritttempo, quälender Stau, stinkende Luft, entnervte Fahrgäste, immer zu spät, zu lange, zu weit, zu langsam, zuviel zuviel. Tagsüber in der Kiste und ein Monat später in der Klapsmühle oder gegen die Wand gefahren.
Ja, er hasste sich dafür, so blöd gewesen zu sein und sich auf dieses beschissene Dasein als Taxifahrer eingelassen zu haben. Auf der anderen Seite war es natürlich nicht immer so schlimm. Es gab da durchaus auch Tage, an denen er sogar Spaß hatte, durch die Stadt zu gondeln. Manchmal ergab es sich einfach, dass der Abend schon gut begann, seine Stimmung deshalb auch gehobener Natur war, dieses pflanzte sich dann auch weiter fort, strahlte auf seine Gäste, welche dann natürlich auch zurückstrahlten, was übersetzt dann auch mehr Trinkgeld hieß.
Aber meistens war es eher umgekehrt; der Abend begann beschissen und diese Linie zog sich durch, bis er endlich den Motor wieder abdrehte und ausstieg.
Heute, wie schon angedeutet, wünschte er sich nur mehr den Schlüssel aus dem Fenster werfen zu können. Leider nur ein frommer Wunsch, der auch nicht nur in die Nähe von Erfüllbarkeit geriet. Hoffentlich blieben ihm wenigstens die ärgsten Unbilden erspart, was aber auch nur ein frommer Wunsch war.
Dann, überraschenderweise, er hatte die Person gar nicht kommen sehen, öffnete sich rechts hinten die Tür, eine Frau, soviel konnte er gerade erkennen, sprang förmlich in das Wageninnere. Ihre Stimme klang etwas nervös und gehetzt, man konnte die Angst darin mitschwingen hören, sie zitterte, war einer Panik nahe.
"Ich möchte Sie bitten sofort loszufahren, fahren Sie einfach los, ich muss weg hier, bitte...! Ich sage Ihnen dann schon Weiteres... bitte machen Sie."
Sie bemühte sich offensichtlich verzweifelt keine Panik aufkommen zu lassen, gefasst zu bleiben, schaffte dies aber nur sehr mühsam, kniff ihre Lippen zusammen. Rudolf drehte sich kurz um, sah in ihre flackernden Augen, während seine Hand schon den Zündschlüssel drehte, sein Fuß bereits den Gashebel durchtrat, der Wagen mit einem quietschenden Laut vorwärts schoss. Als er an der Ampel stehen bleiben musste, kam wieder die dunkle Stimme von hinten.
"Wenden Sie sich nicht um, sehen Sie nur in Ihren Rückspiegel. Ist da ein dunkelblauer BMW hinter Ihnen?"
Er tat, was sie sagte, konnte den beschriebenen Wagen aber nicht sehen. Dann jedoch, gerade als die Ampel wieder auf Grün schaltete, war da tatsächlich der BMW, kam schnell aus einer Seitenstraße herausgeprescht und war schon hinter ihm. Er stieß einen Überraschungslaut aus, konnte gerade noch "Los runter, da ist er!" sagen und gab auch schon Gas, fuhr davon, der dunkelblaue Wagen knapp hinter ihm. Zügig aber nicht zu schnell bog Rudolf nun ganz gezielt einige Male unvermittelt ab, der BMW blieb hartnäckig hinter ihm, die Frau lag mehr als sie saß auf seinem Rücksitz, duckte sich ganz nach unten. Es bedurfte eines besonderen Tricks, um diesen Verfolger loszuwerden. Von der Leistung her war das Fahrzeug hinter ihm eindeutig stärker, da konnte er mit seinem nicht gerade neuen Diesel nicht mithalten.
Die Idee kam ganz plötzlich. Er wollte, ganz normal, als wäre er frei, den nächsten Stand anfahren, sich ganz gemächlich in der Reihe anstellen. Der Typ hinter ihm fuhr auch ganz brav und folgsam hinter ihm her, musste also auch anhalten. Vielleicht konnte er ihn bluffen?
Er tat, was er sich ausgedacht hatte, sagte zu der Frau, dass sie Vertrauen haben solle, fuhr zum Taxistand, rollte langsam an das vor ihm stehende Auto heran, blieb ordnungsgemäß stehen. Sein Verfolger blieb ebenfalls, einige Meter hinter ihm stehen, stieg aus und kam mit wiegenden Schritten, wahrscheinlich trug der Mann Stiefel und hatte zu viele Western gesehen, zu ihm nach vor. Als er fast bei seiner Tür war, startete Rudolf unvermittelt, fuhr mit Vollgas aus der Parklücke. Der Mann hatte noch versuchen wollen eine der Türen zu öffnen, aber dank der Zentralverriegelung blieb es nur bei dem Versuch. Er machte sogar noch einige Schritte, als wolle er nun die Verfolgung zu Fuß aufnehmen, machte dann aber schnell kehrt, lief zu seinem Wagen zurück und stieg ebenfalls ein.
Soviel konnte Rudolf gerade noch im Rückspiegel sehen, dann war er schon um die Ecke, in eine kurze enge Seitenstraße eingebogen, stieg nochmals kurz auf das Gaspedal. Etwa fünfzig Meter weiter bog er dann, schon mit abgeschalteten Lichtern, schnell in eine Toreinfahrt, fuhr gleich hinter das Haus, sodass er von der Straße aus nicht mehr gesehen werden konnte, stellte auch den Motor ab.
Er hörte den BMW kommen, an der Einfahrt vorbeibrausen und danach um die nächste Ecke verschwinden. Sofort schob Rudolf aus der Einfahrt, fuhr die kleine Einbahnstraße rückwärts wieder heraus, um die Ecke, legte den Vorwärtsgang ein, bog etwa hundert Meter weiter in die nächste Straße ab, diesmal aber in die andere Richtung.
Vom BMW war nichts mehr zu sehen, sie fuhren gemächlich davon. Erst einige Kilometer weiter, auf dem Parkplatz vor einer der großen Diskotheken, hielt er inmitten des Pulks von abgestellten Fahrzeugen an, löschte die Lichter, ließ den Motor verstummen, drehte sich um. Er hatte die Frau, die da noch immer geduckt auf den Sitzen lag, noch nicht einmal richtig in Augenschein genommen.
Sie war blond, schlank, mit großen aufgerissenen Augen und ihr nicht unerheblicher Busen hob und senkte sich rhythmisch mit jedem nervösen Atemzug. Erst beim zweiten Blick sah er, dass ihr linkes Auge blau und leicht geschwollen war, am Kinn ein kleiner Riss, an dem einige schon eingetrocknete Blutstropfen klebten. Ihre Kleidung und auch das etwas zu dick aufgetragene Make-up ließen ihn erkennen, was sie war, ein typisches Exemplar von Dame aus dem "Gewerbe". Sie schniefte, blies in ihr Taschentuch, zog einen Spiegel hervor, prüfte ihr Gesicht, wischte leicht stöhnend das Blut von ihrem Kinn.
"Keine Angst mehr, hier sind wir relativ sicher... ich würde nur gerne erfahren, wofür ich gerade meine Gesichtsknochen und sonst noch werweiswas riskiert habe? Was war da los mit dem...?"
"Danke erst mal, dass Sie mich da so gut und heil aus dieser Situation befreit haben... Es, es... keine Sorge ich werde Sie gut bezahlen. Wenn mein Freund dieses Schwein erwischt, sollte er sich schon besser vorher bei einem Gesichtschirurgen angemeldet haben... und am besten einen Zettel mit dessen Adresse in der Hosentasche tragen... damit man ihn gleich direkt dorthin verfrachtet, wenn er wieder zu sich kommt. Dieser Drecksack..."
"Ganz ruhig, beruhigen Sie sich erst mal, hier eine Zigarette... Was wollte der Kerl denn eigentlich?"
Читать дальше