Aber als er die Tür öffnete, stand da eine ihm völlig unbekannte Person unübersehbaren weiblichen Geschlechts. Ob er der bekannte Saxophonist Franz Wolff sei und ob sie kurz eintreten dürfe, so lautete ihre etwas nervös gestellte Frage. Ohne wirklich auf eine Antwort seinerseits zu warten, drängte sie sich an ihm vorbei in seine Wohnung.
"Machen sie mir die Freude, spielen sie einfach weiter. Ich habe Sie noch nie gehört, aber man hat Sie mir wärmstens empfohlen... lassen Sie sich durch meine Anwesenheit nur nicht stören."
Franz fühlte sich geschmeichelt, die Frau war auch dazu angetan seine Aufmerksamkeit zu erregen und nicht nur die. Ein Klasseweib, elegant gekleidet, von Kopf bis Fuß, dunkle rauchige Stimme, mit respektablen Dimensionen, mit katzenhaften Bewegungen, nicht gerade schön, aber doch sehr attraktiv. Eine geheimnisvolle Aura schien Sie zu umgeben, Franz hätte noch nicht formulieren können, was ihn sofort zu ihr hinzog, gewissermaßen faszinierte. Er konnte kaum seine Augen von ihr wenden, auch nicht, als er sein "Rohr" wieder an die Lippen setzte und einige transzendente Kaskaden herausperlen ließ.
Sie sah ihm fest in die Augen, ohne jemals ihren Blick abzuwenden, schien ihn geradezu hypnotisieren zu wollen. Er schloss die Augen setzte gerade zu einem neuen Lauf an, als es an seiner Tür läutete. Ihr Gesicht nahm mit einem Mal einen gehetzten Ausdruck an, ihr Lächeln war leicht gezwungen, erreichte ihre Augen nicht, als sie aufstand, ganz nahe an ihn herantrat und ihm in Ohr flüsterte.
"Hören Sie, machen Sie ganz normal auf... Nur um Himmels willen, verraten Sie nicht, dass ich hier bin. Da ist einer hinter mir her, der verfolgt mich schon den ganzen Tag. Ich verstecke mich in Ihrem Schrank!"
Franz ging, das Instrument umgehängt zur Tür, blies unterwegs noch ein paar sporadische Töne, öffnete die Tür schwungvoll und sah unverwandt in die Augen eines dunkelhaarigen, etwa dreißigjährigen Mannes, der ihn ebenfalls scharf und abschätzend anblickte.
"Guten Tag, ich habe gehört, dass diese Wohnung mit Monatsende frei wird, darf ich sie mir mal kurz ansehen?"
Der Mann wartete ebenfalls erst gar nicht auf seine Antwort, drängte sich an ihm vorbei, ging einige Schritte weiter, sah sich mit ein paar schnellen Blicken um. Aber dann war Franz schon bei ihm und hielt ihn auf.
"Hier zieht niemand aus, wer erzählt denn solchen Blödsinn. Außerdem bin ich gerade beim Arbeiten. Würden Sie also die Güte haben und die Tür wieder von außen zumachen, hier ist für Sie nichts zu holen. Außer, Sie suchen einen Saxophonisten!"
Er bedeutete dem Mann unmissverständlich, sich wieder zu entfernen, was dieser, nach einem prüfenden Blick in die Runde, dann auch tat.
Als sich die Tür hinter ihm schloss und er die sich entfernenden Schritte auf der Treppe hörte, ging er zielstrebig zu seinem Schrank, ließ die am Boden zusammengekauert sitzende Frau wieder heraus. Sie strich ihre Kleider zurecht und flüsterte ihm neuerlich ins Ohr, er solle doch noch ein wenig weiterspielen, nur um den Mann, falls er noch vor der Tür stand, zu überzeugen. Franz sah Sie etwas misstrauisch an, aber ihr wiedergewonnenes bezauberndes Lächeln ließ ihn das Mundstück wieder an seine Lippen setzen.
Ihre Augen lächelten das schönstes Lächeln, das sie hatte, so dass es Franz ganz heiß wurde, gleichzeitig ein kalter Schauer über seinen Rücken rieselte. Fast nur mechanisch spielte er weiter, konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Sie wusste genau um ihre Wirkung, als sie nach knapper Frage nach dem gewissen Örtchen, in ihren Pumps an ihm vorbeistöckelte. Franz wischte sich den imaginären Schweiß von der Stirn, gab einen fauchenden Laut von sich, ohne Saxophon. Das war schon ein Exemplar, da könnte er schon auch schwach werden, wie er sich eingestand. Sehr interessant, auf allen Ebenen.
"Könnten Sie nicht nachsehen, ob der Mann noch da ist, ich meine, wahrscheinlich wartet er vorm Haus. Er hatte mich ja hineingehen sehen. Ich bitte Sie ungern, aber das ist eine außerordentliche Situation!"
"Kennen Sie denn den Mann, ich meine, was will er denn von Ihnen, warum verfolgt er Sie überhaupt, haben Sie denn mit ihm gesprochen?"
"Nein, ich weiß nichts. Nur dass er mir schon den ganzen Tag hinterher ist. Einmal hat er sogar versucht, mich im Auto von der Straße abzudrängen. Pures Glück, dass ich nicht im Straßengraben gelandet bin. Bitte tun Sie mir doch den Gefallen, gehen Sie nachsehen. Er hat einen großen dunkelblauen BMW. Ich muss raus hier... und das bald!"
Nach kurzem Zögern willigte er ein, ging zum Bäcker nebenan, kaufte einige Semmeln und sah sich unauffällig um. Zuerst dachte er schon, dass der Kerl wohl verschwunden sei, aber dann sah er den dunkelblauen BMW, ganz harmlos eingeparkt zwischen anderen Autos. Im Wageninneren konnte er die Silhouette des Mannes von vorhin erkennen. Franz ging zur Sicherheit noch in die Apotheke gegenüber, von dort aus hatte er bessere Sicht auf und in den Wagen. Aber da war kein Zweifel möglich, es war der Verfolger, also hatte sie recht. Er hatte schon zu zweifeln begonnen, ob dies alles nicht doch nur die Ausgeburt einer blühenden weiblichen Phantasie war, aber nun war das keine Frage mehr.
Wieder in seiner Wohnung, bot er ihr an, sie durch eine Verbindungstür ins Nebenhaus zu lotsen, von wo aus sie dann durch eine weitere Hintertür in eine andere Straße verschwinden konnte.
"Meine Freunde nennen mich übrigens 'Frankie'... falls Sie in diese Kategorie aufgenommen werden wollen. Wie heißen Sie eigentlich, ich meine - wo erreiche ich Sie, wenn der Kerl vielleicht doch…"
"Ich heiße Sabrina Hansford, mein Vater war Amerikaner. Aber meine Freunde sagen 'Jeannie' zu mir... so wie die Hexe in der Fernsehserie... Aber es ist momentan besser, wenn Sie nicht wissen, wo Sie mich erreichen. Zu Ihrem eigenen Schutz. Ich melde mich bei Ihnen, sagen wir übermorgen, wenn es Ihnen recht ist?"
Sie küsste ihn im Hausflur fest und lange auf den Mund, presste ihren Körper, wie ein Versprechen, fest an den seinen und schlüpfte vorsichtig aus dem Haus, in das nun schon dämmrige Licht des schwindenden Tages.
Frankie atmete scharf aus, schüttelte seine rechte Hand, als ob er sie verbrannt hätte, sah kurz auf die Straße hinaus, aber die Frau war schon nicht mehr zu sehen. Das konnte ja noch heiter werden. Was wenn der Mann nochmals kam und nun auch irgendetwas Unangenehmes von ihm wollte. Er musste aufpassen, sich wappnen.
Einige Stunden und eine halbe Flasche Chivas später hätte er den Vorfall schon fast vergessen, wenn... ja, wenn da nicht noch immer der BMW geparkt gewesen wäre. Er sah ihn erst auf dem Rückweg von dem Automaten, bei dem er sich eine Schachtel Zigaretten herausgerückt hatte. Nervös zündete er sich einen Glimmstängel an, rauchte gleich drei hintereinander, kam aber zu keiner vernünftigen Lösung, was er denn nun tun sollte.
Zwei Stunden später, die Flasche Chivas ging langsam zur Neige, hatte er wieder alles fast vergessen, wäre da nicht ein gewisses Schaben und Knacken vor seiner Wohnungstür gewesen. Schnell löschte er das Licht in der Wohnung und sah durch den Türspion hinaus. Und da war er wieder, der Mann aus dem BMW. Frankie schwankte und fiel fast hin, als er die Tür aufriss und den Mann zur Rede stellen wollte.
Aber mit einem Blitz in seinem Gehirn - er hatte gerade noch einen zischenden Laut gehört, so wie wenn jemand einen Schlagstock oder etwas Ähnliches geschwungen hätte - verzog sich sein Bewusstseinnun in irgendeine ferne, nebelschwangere, Dimension. Als er wieder erwachte, was äußerst schmerzhaft war, wurde er sich darüber im Klaren, dass man ihn offensichtlich niedergeschlagen haben musste. Seine Wohnung sah aus, als wäre da ein kleiner Hurricane auf Besuch gekommen.
Wie auch immer, man hatte nichts gefunden, konnte gar nichts gefunden haben, die Frau war ja nicht mehr da, denn selbstverständlich nahm er an, dass diese Männer nach ihr gesucht hatten.
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