„Erzähl mal Peter, was hat Frau von Gahlen für einen Eindruck auf dich gemacht?“, fragte Werner Moldenhauer. Er war Juttas Mann und arbeitete früher bei der Verkehrspolizei in Gera. Seit einem Jahr war er im Vorruhestand.
„Na ja“, begann der Angesprochene zögernd, „wenn ich ehrlich sein soll, sie hat mich wie den letzten Dreck behandelt. Höflichkeit war in ihrer Erziehung sicher ein Fremdwort. Sie hat nur kommandiert und sich tierisch darüber aufgeregt, dass die Einbauküche noch drin stand.“ Er griff zu seinem Bierglas, nahm einen Schluck und stellte es wieder vor sich auf den Tisch. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schaum von den Lippen. „Ich habe das Gefühl, die passt nicht in unser Dorf. Die sollte lieber in der Stadt bleiben.
„Also ich kenne Frau von Gahlen schon länger und sie war zu mir bis jetzt immer zuvorkommend“, mischte sich Professor Ahrens in das Gespräch ein. Er hatte seine Frau begleitet, deren einzige Ablenkung ihres tristen Hausfrauendaseins die Mitarbeit im Heimatverein war. „Ich gehe in eines ihrer Fitnessstudios. Sie kümmert sich sofort, wenn ich ein Problem habe. Sie hat sogar einem ihrer Mitarbeiter mit Kündigung gedroht, falls er mich nicht so anleitet, wie ich es wünsche.“
Peter Grabow schaute grinsend in die Runde. „Dann sollte ich mich wohl mal in dem Fitnessstudio anmelden. Vielleicht hilft das und ich werde dann auch höflicher von ihr behandelt.“
Diesem Einwurf folgte schallendes Gelächter. Jeder kannte Peter Grabows Abneigung dem Sport gegenüber, es sei denn, er lief im Fernseher.
„Sag mal Peter“, übernahm Bürgermeister Gerd Feuerstein das Wort, den alle, auf Grund seines Nachnamens, Fred nannten, „hat Frau von Gahlen gesagt, was sie mit dem großen Haus vorhat? Will sie hier vielleicht ein neues Studio eröffnen?“ Wie immer trug er seine Helmut-Schmidt-Mütze, die er auch im Gasthaus nie abnahm.
Grabow schüttelte den Kopf. „Soviel ich weiß, will sie darin wohnen. Sie hat eine Innenarchitektin beauftragt, das Haus einzurichten. Die will übermorgen kommen und bis dahin muss die Küche raus.“
„In so einem großen Haus und das ganz allein?“, staunte nun auch Werner Moldenhauer.
„Das habe ich sie auch gefragt. Doch sie hat nur gereizt geantwortet, dass ich es ihr überlassen soll, was sie groß und nicht groß findet. Außerdem zieht sie wohl nicht allein ein.“
„Was?“, kreischte Elvira Schneider aus ihrer Ecke, „das haben Sie mir heute Mittag doch gar nicht erzählt.“
Alle schmunzelten.
„Ich wollte doch nur, dass Sie heute Abend nicht umsonst hierher kommen“, konterte der Hausverwalter.
Das Schmunzeln weitete sich zu einem Lachen aus und Elvira schmollte. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen, aber die Angst davor, etwas zu verpassen, war größer. Wer weiß, was Peter Grabow ihr noch alles verschwiegen hat. Also fügte sie sich in ihr Schicksal.
„Hat sie gesagt, wer mit ihr einzieht?“, brachte Professor Ahrens das Gespräch wieder auf Frau von Gahlen. „Soweit mir bekannt, ist sie weder verheiratet noch in einer festen Beziehung.“
„Nein, hat sie nicht. Und ich sah keinen Grund, danach zu fragen. Sie war sowieso der Meinung, dass es mich alles nichts anginge.“
Man sah Peter Grabow an, dass er die herablassende Behandlung durch die neue Besitzerin der Villa noch nicht verwunden hatte.
„Na, das werden wir ja bald rauskriegen.“ Der Bürgermeister schaute in die Runde. „Sobald sie eingezogen ist, werde ich ihr einen Besuch abstatten. Hat sie gesagt, wann das sein wird, Peter?“
„So schnell wie möglich. Sicher muss erst das Haus komplett eingerichtet sein. Ich habe keine Ahnung wie lange das dauern wird.“
Danach drehten sich die Gespräche um andere Themen. Der Heimatverein konnte sich endlich um die Kirmes kümmern, die Skatspieler mischten zum ersten Spiel und Elvira Schneider zahlte und verließ, mit grimmigem Blick auf Peter Grabow, den Gasthof.
- 5 - Donnerstag, 26. August
Am darauffolgenden Abend kam Dr. Mathias Gärtner mit seiner Frau Petra gegen 21 Uhr nach Haus. Er hatte vor fünf Jahren eine Arztpraxis in Seidenbach eröffnet und da es in den umliegenden Dörfern keine weitere Praxis der Allgemeinmedizin gab, war sein Patientenkreis schnell angewachsen.
Seine Frau, die mit ihren 46 zwei Jahre älter war als ihr Mann, arbeitete halbtags in einem Frisörsalon in Stadtroda. Ansonsten kümmerte sie sich um die Abrechnungen der Arztpraxis. Sie hatten einen 17-jährigen Sohn Thomas, der in Jena bei der Firma Jenoptik den Beruf des Feinoptikers erlernte. Dorthin fuhr er täglich mit seinem Moped, wenn die Witterungsbedingungen es zuließen. Er war noch nicht da, als seine Eltern das Haus betraten.
Die Stimmung zwischen den Eheleuten war angespannt. Sie kamen gerade von Viola. Vor einem Dreivierteljahr hatte Petra mitbekommen, dass ihr Mann sich mit einer Prostituierten trifft. Darauf angesprochen, hatte er es damit begründet, Abwechslung zu brauchen und dass er somit auch mehr Spaß am Sex mit ihr, seiner Frau, hätte. Das schien zu stimmen. Petra hatte sich schon gewundert, warum der Sex mit ihm auf einmal abwechslungsreicher geworden war. Das lag an Viola.
Eines Tages hatte Petra ihren Mann gefragt, ob er sie nicht mal zu dieser Prostituierten mitnehmen wolle. Da sie seinen Wunsch kannte, es einmal mit zwei Frauen zu tun, musste sie ihn nicht lange überzeugen, Viola zu fragen. Obwohl sich Petra immer dagegen gesträubt hatte, wollte sie es wenigsten versuchen, ihm den Wunsch zu erfüllen und gleichzeitig Viola kennen lernen. Diese war einverstanden gewesen und schon beim ersten Treffen zu dritt hatte Petra zu ihrer eigenen Überraschung gespürt, dass sie etwas für diese Frau empfand. Sie entdeckte Gefühle, die sie bis dahin nicht kannte. Anfangs hatte ihr das Angst gemacht. Sie hätte nie im Leben geglaubt, etwas für eine Frau empfinden zu können, das über Freundschaft hinausging. Irgendwann gab sie sich diesen Gefühlen hin und es dauerte nicht lange, bis sie ab und zu auch allein zu Viola ging. Davon wusste Mathias allerdings nichts. Mit der Zeit gefiel es ihr bei Viola ohne ihren Mann sogar besser.
„Wir werden nicht mehr zu Viola gehen“, sagte sie, nachdem die beiden stillschweigend gegessen hatten und nun bei einem Glas Rotwein im Wintergarten saßen.
Er schaute sie erstaunt an. „Warum nicht? Was hast du auf einmal gegen sie?“
„Ich habe nichts gegen sie. Ich habe nur dagegen etwas, wie du uns unterschiedlich behandelst. Du kümmerst dich in letzter Zeit nur um sie. Manchmal weiß ich nicht, warum ich überhaupt dabei bin. Nur Zuschauen befriedigt mich nicht. Ich habe keine Lust mehr, das fünfte Rad am Wagen zu sein.“
„Du musst ja nicht mitkommen.“ Er nahm die Weinflasche und schenkte sich nach. Dann schaute er sie an. „Vielleicht sollte ich wieder mal allein zu ihr gehen. Was hältst du davon?“
„Wenn du das tust, besuche ich sie auch allein.“
Er lachte. Es war ein abfälliges Lachen. „Sie steht auf Männer, Petra. Nur weil ich ein guter Kunde bin, erlaubt sie dir, dabei zu sein. Sie wird niemals eine Frau empfangen, die allein zu ihr kommt, weder dich noch eine andere.“
Petra krallte ihre Finger in die Armlehnen des schwarzen Fernsehsessels. Zornesröte verfärbte ihr Gesicht. Sie konnte sich kaum zügeln ihm ins Gesicht zu schreien, wie oft sie schon allein bei Viola war. Aber sie beherrschte sich. Was wusste er von Viola? Nichts. Petra hatte bemerkt, dass Viola ihre Besuche angenehm empfand und selbst nach dem nächsten Termin fragte. Sie machte für Petra immer einen Sonderpreis oder verzichtete ganz auf eine Bezahlung.
Was würde es bringen, wenn ihr Mann davon erführe? Nur Ärger. Sollte er ruhig weiterhin glauben, dass Viola sich ausschließlich für Männer interessierte. Sie wusste es besser.
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