Als ihre Freundin ihr vor einer Woche freudig mitteilte, sie habe ein Haus für sie gekauft, spielte Elke die Glückliche. Ihr schnürte sich aber im selben Moment die Kehle zu, ein Zeichen, dass sie nicht bereit zu diesem Umzug war. Da sie es aber versprochen hatte, wollte sie es wenigstens versuchen. Als sie dann erfuhr, dass sich das Haus zwanzig Kilometer von Jena entfernt befand, konnte sie sich kaum beherrschen in den Hörer zu schreien, dass sie nicht aus Jena raus will. Natürlich war ihr klar, warum Sylvia ein Haus gewählt hatte, dass soweit weg lag. Sie hoffte darauf, dass Elke ihren Zweitjob als Hure aufgab. Sylvia hatte nämlich auch davon gesprochen, sie als Leiterin einer Kosmetikfiliale in Stadtroda oder Kahla einzusetzen, die demnächst eröffnet werden sollten. Somit würde sie gar nicht mehr nach Jena kommen und keine Zeit mehr für ihre Freier haben. Aber das konnte Sylvia vergessen. Darauf würde sich Elke nie einlassen. Sie wollte sich nicht von Sylvia abhängig machen. Und wenn Sylvia weiter darauf bestand, würde es zu Komplikationen in der Beziehung kommen. Elke hatte sich fest vorgenommen, sich von Sylvia nicht beherrschen zu lassen, wie es viele andere taten.
Trotz ihres Unbehagens musste sie grinsen. Einen Freier konnte sie auf alle Fälle behalten, denn sie zog nun in das Dorf, dessen Name sie sich nie hatte merken können, in das Dorf, in dem ihr Möchtegernliebhaber Volker Wernke wohnt.
Vor drei Tagen hatte Elke das Haus zum ersten Mal gesehen und war überrascht gewesen, wie groß es war. Als Sylvia ihr dann zwei eingerichtete Zimmer zeigte und erklärte, beide gehörten ihr, ein Wohn- und ein Schlafzimmer, war ihr leichter ums Herz geworden. Sie hatte nun die Möglichkeit, sich in dem Haus zurückzuziehen, wenn sie Abstand von Sylvia brauchte. Außerdem konnte sie ihre Wohnung in Jena unverändert lassen, da sie keine Möbel daraus in dem neuen Haus benötigte. Nur ihre Garderobe würde sie mitnehmen und davon auch nicht alles.
Doch sie wusste auch, irgendwann wird Sylvia dafür Dankbarkeit verlangen, ihr so ein schönes Heim zu bieten, Dankbarkeit in Form von Aufgabe ihres Zweitjobs. Doch dann wäre es aus. Elke hatte Sylvia nie um einen Umzug gebeten und sie würde sofort ihre Sachen packen und in ihre Jenaer Wohnung zurückziehen, die zwar bedeutend kleiner war, in der sie aber sein konnte, wie sie war. Sie würde es auf sich zukommen lassen. Ihre Wohnung in Jena gab ihr ein gutes Gefühl.
- 8 - Donnerstag, 2. September
„Frau von Gahlen ist eine nette und höfliche Dame“, begann Bürgermeister Gerd Feuerstein, genannt Fred, die Neugierde der Anwesenden zu befriedigen. Seitdem bekannt geworden war, dass Frau von Gahlen die Villa gekauft hat, war die Besucherzahl im Gasthof ‚Zur Leuchtenburg’ angestiegen. Man erhoffte sich täglich Neuigkeiten. Vor allem interessierte die Leute, wer mit ihr einziehen wird.
„Man sieht sofort, dass sie Geld hat. Von so einer Einrichtung hätte ich noch nicht einmal zu träumen gewagt, obwohl wir nur ein Zimmer gesehen haben und den Flur.“
Er hatte ihr mit Pfarrer Ernst Krause vor einer Stunde einen Besuch abgestattet, nicht ganz ohne Eigennutz. Selbstverständlich hatten die beiden sich ihr vorstellen und sie als neue Mitbürgerin begrüßen wollen, aber sie erhofften sich auch einiges. So eine reiche Dame musste man fürs Dorf gewinnen. Besonders der Pfarrer hatte sofort an das marode Dach der Kirche gedacht. Vielleicht würde Frau von Gahlen etwas spenden. Es fehlten noch knapp 10.000 Euro, die die Gemeinde aufbringen musste, um eine Förderung vom Land zu erhalten.
„Sie hat uns zu einem Glas Champagner eingeladen“, fügte Pfarrer Krause hinzu und strich sich über seinen Schnauzbart. „Es war ein französischer Name. Köstlich. Noch nie habe ich etwas so Vorzügliches getrunken.“
„Kein Wunder“, sprang Professor Ahrens darauf an. „Wer tagtäglich billigen Messwein trinkt, dem kommt jedes einen Hauch besser schmeckende Getränk wie ein Elixier vor.“ Es war allgemein bekannt, dass der Professor nichts für die Kirche übrig hatte. Als der Pfarrer ihn einmal darauf ansprach, ob nicht auch er einen Beitrag für das Kirchendach beisteuern könnte, hatte er nur gelacht und geantwortet: „Ich gebe mein Geld nur für sinnvolle Dinge aus. Wenn es Gottes Wille ist, Kirchen zu bauen, dann soll er bitteschön auch für deren Finanzierung und Erhaltung sorgen.“
Bevor sich dieser Wortaustausch, den es des öfteren zwischen dem Pfarrer und dem Professor gab, wieder zu lauten Verbalattacken ausweitete, ergriff Fred schnell das Wort und lenkte die Aufmerksamkeit der Anwesenden wieder auf Frau von Gahlen. „Ja, und sie sagte, dass sie sich sehr freue, hier zu wohnen und sie hofft, bald alle Dorfbewohner kennen zu lernen. Wir haben sie zur Kirmes eingeladen.“
„Na“, mischte sich Georg Ritter, der Wirt, ein, „meint ihr, so eine feine Dame wird sich in unserem Dorfsaal wohlfühlen? Die ist doch sicher Riesenballsäle gewohnt. Und Champagner habe ich auch nicht.“
„Dann wirst du eben welchen besorgen müssen“, erhob Elvira Schneider kichernd ihre Stimme. Sie saß wie immer mit einem Glas Bier in ihrer Ecke und lauschte mit wachen, unruhigen Augen den Gesprächen. „Vielleicht schmeißt sie ’ne Runde.“
„Kommt nicht in Frage“, antwortete Georg aufgebracht. „Wenn sie hier leben und mit uns feiern will, dann so, wie wir es gewohnt sind. Ich werde absolut nichts wegen einer neuen Einwohnerin anders machen. Entweder sie akzeptiert es oder sie bleibt wo sie ist.
„Bleib ruhig“, beschwichtigte Pfarrer Krause ihn, „sie hat noch nicht zugesagt. Und warum soll man nicht mal etwas anders machen?“
„Das müssen Sie gerade sagen, Herr Pfarrer“, ergriff Werner Moldenhauer das Wort. „In der Kirche hat sich doch seit zweitausend Jahren nichts geändert, außer dass man nicht mehr als Ketzer verbrannt wird.“
Das löste allgemeine Heiterkeit aus. Die meisten hielten nicht viel von der Kirche, obwohl nicht alle so einen Groll gegen sie hatten, wie Professor Ahrens. Es war ihnen einfach egal. Außer zu besonderen Anlässen fanden sich zum sonntäglichen Gottesdienst nur wenige ein.
„Wer ist denn nun mit ihr eingezogen?“ Elvira konnte ihre Neugier nicht mehr im Zaum halten. Sie wollte am nächsten Morgen die Erste im Dorfladen sein und diese Neuigkeit allen aufdrängen, auch denen, die sie schon kannten.
„Das hat sie nicht gesagt“, antwortete Fred, „und wir haben nicht gefragt. Sie war auf alle Fälle allein.“
„Aber sie hat versprochen, am kommenden Sonntag zum Gottesdienst zu kommen“, warf Pfarrer Krause wie nebenbei erwähnt ein. Er wusste nur zu gut; dieser Hinweis wird mehr Besucher in seine Kirche locken, als ein Konzert von Michael Jackson. „Vielleicht kommt sie dann in Begleitung und wir lernen gleich beide neuen Mitbürger kennen.“
Allgemeines Kopfnicken bestätigte dem Pfarrer; am Sonntag werden die Plätze in der Kirche nicht ausreichen. Wie vorzeitiges Weihnachten.
- 9 - Sonntag, 5. September
Die Kirche von Seidenbach, ein spätgotischer Bau, der zum ersten Mal in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erwähnt wurde, stand unweit des Dorfangers. Wer in die Höhe schaute, konnte am oberen Turmgeschoss die Jahreszahl 1678 lesen. Das deutete darauf hin, dass es später aufgesetzt worden war oder ihm ein älterer Turm hatte weichen müssen.
Die Bänke im Kirchenschiff hatten Platz für 120 Personen. Hinzu kamen 30 Sitzplätze auf der Empore. Das war mehr als genug für ein Dorf mit 300 Einwohnern. Zu den normalen Gottesdiensten kamen nur 20 bis 30 Gläubige, manchmal ein paar mehr, doch weit von dem entfernt, was sich Pfarrer Krause wünschte. Nur zu Weihnachten, Ostern und dem Kirmesgottesdienst platzte die Kirche aus allen Nähten. Dann folgten auch diejenigen diesem Ritual, die Gott aus ihrem Leben verbannt hatten.
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