Es hatte eine kurze, oberflächliche Untersuchung gegeben.
Ausreden, Beschönigungen und falsche Schlussfolgerungen, zusammengefügt zu einem Untersuchungsbericht, der das Papier nicht wert war, auf das er gedruckt worden war.
Er hatte verbissen weiter gebohrt, besessen davon herauszufinden, was es war, das Frank verheimlichte, doch egal wie sehr er den Agenten zusetzte, er prallte gegen eine unüberwindliche Mauer des Schweigens.
Er konnte nicht sagen, wie oft er diesen Bericht in den letzten fünf Jahren gelesen hatte.
Wusste nur, dass mit jedem Mal der Drang stärker wurde zu Frank zu fahren, um die Wahrheit aus ihm heraus zu prügeln.
Ein paar Male hatte er es ernsthaft in Erwägung gezogen, doch im letzten Moment hatte immer wieder die Vernunft gesiegt.
Schließlich hatte er sich widerwillig abgefunden.
Seine Fragen waren verstummt.
Er hatte die Akte geschlossen, wenngleich er selbst niemals Abschluss hatte finden können.
Er hatte für seine Familie geschwiegen, als die Zweifel immer lauter wurden und seinen Sohn zu Grabe getragen.
Mit einem freudlosen Lachen füllte er das Glas erneut.
Er hatte ein paar verkohlte Überreste begraben, von denen er noch nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob sie seinem ältesten Sohn gehört hatten.
Er persönlich glaubte es nicht.
Dennoch hatte er seine Rolle überzeugend gespielt.
Er hatte getrauert, wie man es von ihm erwartet hatte und war dann wieder zum Tagesgeschehen übergegangen.
Doch entgegen des Eindrucks, den er aller Welt vermittelt hatte, hatte er niemals mit diesem Thema abgeschlossen.
Er vermochte es nicht, mit diesem Fall abzuschließen, bis er nicht vollkommene Klarheit hatte – eine Klarheit, die ihm nicht vergönnt war zu bekommen.
Nach wie vor war Frank nicht bereit, ein Wort mehr zu verlieren, als den Verweis auf die Berichte.
Bei einem dritten Whiskey verfluchte er seinen langjährigen Freund dafür.
Wieder einmal wurde der Wunsch übermächtig, die Wahrheit gewaltsam aus ihm herauszuholen.
Natürlich würde er es auch heute nicht tun.
Viel mehr würde er nur wieder Tage und Nächte damit zubringen, in den Berichten nach einem Hinweis darauf zu suchen, was wirklich geschehen war, wusste er bei einem vierten Glas.
Nach einem Hinweis, der nicht existierte, ganz egal, wie oft er die Worte las. Nach einem Hinweis, der einfach da sein musste, wenn er jemals seinen Seelenfrieden finden wollte.
„Wenn ich nur wüsste, was du mir verheimlichen willst“, murmelte er ärgerlich, als er sich, mit einem letzten langen Blick auf die Akte in seinen Händen, erhob, um ins Bett zu gehen.
Der Alkohol begann seinen Zweck zu erfüllen, stellte er zufrieden fest.
Schnell goss er sich noch ein Glas ein und kippte es in einem Zug hinunter.
Dann fiel sein Blick auf einen Namen, der sein Herz zum Rasen brachte.
McConaghey!
Singer stutze über seine Reaktion.
Das Glas in seiner Hand hatte zu zittern begonnen.
Der Name des Hunters hatte etwas in ihm ausgelöst. Ein Hauch von Triumph erwachte in seinen Eingeweiden, wenngleich er nicht sagen konnte warum.
Morgen, beschloss er zufrieden, würde er McConagheys Akte einer eingehenden Prüfung unterziehen, vielleicht hatte er in all den Jahren doch etwas übersehen.
*
Am Konferenztisch hatte sich Schweigen ausgebreitet.
Blicke huschten nervös umher.
Eine Frau räusperte sich, um ein unsicheres Lachen zu überspielen.
Ein Mann grunzte ärgerlich.
Noch mehr Schweigen.
Weitere rastlose Blicke.
Weitere tiefe Atemzüge.
Niemand wagte, das Schweigen zu brechen.
Niemand wollte als Erster aussprechen, was sie alle wussten.
Papiere raschelten.
Ein Kugelschreiber trommelte ungeduldig auf einen Aktendeckel.
Die Nachricht des Controllers hatte sie alle aus der Fassung gebracht.
Vier simple Worte waren es gewesen.
Möglicherweise wurde Phoenix kompromittiert.
Vier Worte, die ihrer aller Leben für immer ruinieren konnten.
Sie mussten schnell eine Lösung finden.
„Wie soll das möglich sein?“, durchdrang ein Flüstern die schon fast sakrale Stille im Konferenzraum des Phoenix-Komitees .
Blicke huschten erneut hin und her.
Die bange Frage hatte ihnen allen aus der Seele gesprochen.
Der Controller lachte hart.
„William Singer führt gerade seine alljährliche Untersuchung über den Tod seines Sohnes durch“, erklärte er dem Komitee.
Seine Hand fuhr nur leicht in die Höhe, als der kahlköpfige Mann ihm gegenüber den Mund zu einer Erwiderung öffnen wollte.
„Im Normalfall wäre das nichts, worum wir uns Sorgen machen müssten, wenn der 26. November des vergangenen Jahres nicht gewesen wäre.“
Der Controller suchte kurz den Blick eines blonden Mannes, der links neben ihm saß.
Allgemeines Nicken war die Resonanz auf diese Worte.
Jeder im Raum kannte William Singer gut genug, um zu wissen, dass dieser Mann nicht annähernd so naiv war, um an einen Zufall zu glauben, würde er auf die Verbindungen stoßen.
Und es stand außer Frage, dass der amtierende CIA Direktor auf genau diese Verbindungen stoßen würde.
Niemand hier konnte sich eine Wiederaufnahme der Ermittlungen um den missglückten Routineeinsatz im vergangenen November leisten.
„Wir haben keine andere Wahl, als sofort das Crucify-Protokoll einzuleiten“, brachte der Controller, nach einer kurzen rhetorischen Pause, ihre Optionen trocken auf den Punkt.
Wieder hatte er die Aufmerksamkeit aller anwesenden Komitee-Mitglieder.
Einige Köpfe deuteten ein verhaltenes Nicken an, während andere angelegentlich auf ihre Hände starrten.
„Gibt es keine anderen Möglichkeiten?“
Die Senatorin. Apart, opportunistisch .
„Greta, wir können hier kein Risiko eingehen. Für jeden von uns steht zu viel auf dem Spiel.“
Der Gouverneur. Unscheinbar, skrupellos .
„Das war nicht meine Frage, James“, schnappte die Senatorin ärgerlich, bevor ihre großen braunen Augen sich wieder auf den Controller richteten.
„Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?“, wiederholte sie ungeduldig ihre Frage.
„Nur eine: Wir blasen das Ganze ab und schreiben schon mal unsere Rücktrittsgesuche“, knurrte der Gouverneur, als er noch einmal den Blick der Senatorin suchte.
Natürlich war diese Option für jeden einzelnen von ihnen indiskutabel.
Nach diesem kurzen Disput verstummte die Diskussion wieder, der Gouverneur hatte es auf den Punkt gebracht.
Das Crucify-Protokoll war eigens für einen Ernstfall, wie diesen, entwickelt worden.
Sie hatten nur diese eine Wahl.
Der Controller verharrte noch einen Moment im Schweigen, bevor sein Blick sich auf den Mann ihm gegenüber richtete.
„Darf ich Sie dann mit unserem Zielobjekt bekannt machen?“
Der interne Ermittler. Bullig, rachsüchtig .
Mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen reichte er eine dünne Akte herum.
Nacheinander blickte jeder kurz auf das Bild des Agenten.
Der Gouverneur stieß einen leisen Pfiff aus, als er die Akte überflog. Grinsend reichte er den Aktenordner an die Senatorin weiter.
Kopfschüttelnd schloss sie nach einem kurzen Blick ins Dokument den Aktendeckel.
„Muss es das Mitglied einer Spezialeinheit sein? Das könnte Probleme geben“, fragte sie seufzend.
„Das wird Probleme geben, das kann ich Ihnen versichern, Frau Senatorin! Mit denen ist nicht zu spaßen.“
Der Geheimdienstagent. Makellos, arrogant .
„Es ist die denkbar beste Wahl, die wir treffen konnten“, betonte der interne Ermittler.
„Ich bin entschieden dagegen! Wenn wir uns ein wenig anstrengen, könnten wir ein weniger exponiertes Zielobjekt finden, ohne eine Revolte innerhalb der Sondereinheiten zu riskieren!“, beharrte der blonde Geheimdienstagent vehement. Ärger schwang deutlich in seiner Stimme mit.
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