Ihre Hand begann zu zittern, als ihre Finger ihr den Dienst versagten.
Klappernd fiel das Taschenmesser zu Boden.
Cathrynn knurrte unwillig, als sie im Halbdunkel nach dem kleinen Werkzeug suchte, während der Timer weiter tickte.
03:00
Endlich hatte sie das Taschenmesser wieder in ihren schweißfeuchten, zitternden Händen.
Ihr Atem ging keuchend.
Ihr Herz hatte zu rasen begonnen.
Was war mit ihr los?
War das noch immer der posttraumatische Stress nach McConagheys Tod?
02:30
Sie schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln.
Eine andere Erklärung gab es nicht.
02:15
Die kleine Zange legte sich wieder um den weißen Draht.
„Verdammte Scheiße, jetzt mach schon!“
Ihre Finger weigerten sich noch immer beharrlich das bisschen Druck auszuüben, das genügte, um den Draht zu durchtrennen.
Ihr brach der kalte Schweiß aus.
Wenn sie nicht langsam etwas tat, würden sie und Nathan hier sterben.
02:00
„Reiß dich zusammen, Rayven!“
Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für einen emotionalen Zusammenbruch.
Cathrynn befahl ihrer Hand erneut Druck auszuüben.
Ohne Erfolg.
01:45
„Nein, was machst du da? Du bringst uns um!“, keuchte sie als ihre Hand die Zange gemächlich um die Erdung legte.
01:15
Ihre Hand übte einen kurzen Druck auf die Zange aus.
Es klickte.
„Scheiße!“
Schicksalsergeben schloss Cathrynn die Augen und wartete auf den Knall.
Die Detonation blieb aus.
„Was zum…?“
Erstaunt öffnete Cathrynn die Augen wieder.
Der Timer stand bei 45 Sekunden.
Sie hatte den Sprengsatz entschärft.
Noch einmal beugte die schwarzhaarige Hunterin sich über den kleinen Kasten und begutachtete die Drähte.
Hatte sie sich zweimal so sehr irren können?
Sie konnte es sich nicht vorstellen.
„Wie ist das möglich?“, murmelte sie ungläubig, als sie kopfschüttelnd zum vierten Mal die Verkabelung des Sprengsatzes überprüfte.
Sie hatte die Erdung durchtrennt.
Das C4 hätte hochgehen müssen.
Nathan und sie müssten jetzt tot sein.
Es war der falsche Draht gewesen.
„Gute Arbeit, Rhinestone !“, erklang Nathans Stimme irgendwo neben ihr, als seine Hand sich kurz auf ihre Schulter legte, doch sie konnte sich noch immer nicht bewegen.
Sie starrte weiter auf den Sprengsatz.
„Was hast du?“, fragte Nathan besorgt, als er sich neben ihr niederließ.
Cathrynn hörte ihn erschrocken die Luft ausstoßen.
Dann riss ein grober Ruck sie auf die Füße.
Sie blickte überrascht auf und begegnete Nathans wutverzehrten Zügen.
„Hast du völlig den Verstand verloren?“, brüllte er.
Cathrynn zuckte zusammen.
Natürlich hatte er nach einem Blick auf den Sprengsatz begriffen, was hier unten geschehen war.
„Ist dir eigentlich klar, was du da getan hast?“, bearbeitete er sie weiter, seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihre Schultern, als er sie zwang ihn anzublicken.
„Es ist nur einem offensichtlichen technischen Defekt zu verdanken, dass wir nicht über den ganzen Block verteilt sind!“
Seine Lautstärke hatte sich nicht verändert und langsam begannen Cathrynns Ohren von seinem Gebrüll zu klingeln.
„Vielleicht hast du die Freundlichkeit dich zu äußern oder ich vergesse mich!“
Kein Ton drang über ihre Lippen, als sie weiterhin nur dastand und ihren Kollegen mit weit aufgerissenen Augen anblickte.
Sie war zu geschockt und zu verwirrt, um ihm zu antworten.
„In Ordnung!“, knurrte Nathan.
Sein Griff löste sich, als er sich brüsk von ihr abwandte, Wut loderte noch immer deutlich in seinen sonst sanften braunen Augen.
„Dann erklärst du es eben Frank!“, murmelte er, während er mit schnellen Schritten die Treppe hinaufstampfte.
Cathrynn starrte ihm nach, nicht fähig sich zu regen.
Ihre Gedanken überschlugen sich.
Sie war fassungslos über das, was sie getan hatte, doch unter ihrer Fassungslosigkeit konnte sie noch etwas anderes wahrnehmen.
Etwas, das zusammen mit dem langsam verebbenden Adrenalin durch ihre Adern schoss und ihr Herz zum Rasen brachte.
Etwas, das ein Lächeln auf ihr Gesicht zeichnete.
Cathrynn erschrak, als sie es begriff.
Ihr Körper war nicht mehr in der Taubheit gefangen, die sie nach McConagheys Tod eingehüllt hatte.
Zum ersten Mal seit seinem Tod fühlte sie sich wieder lebendig.
Ihr Hochgefühl war schnell vergangen.
Die Taubheit hatte wieder ihren Mantel um sie gelegt und natürlich folgte das von Nathan versprochene Nachspiel sehr bald.
Frank verhängte eine einmonatige Feldsperre und schickte sie zum Abteilungspsychologen.
Trauma-Aufarbeitung.
Eine nette Geste ihres besten Freundes Nathan.
Halbherzig hatte sie ihre zwanzig Pflichtstunden abgerissen.
Sie hatte Dr. Benson alles erzählt, was er, wie sie wusste, hören wollte.
Sie hatte sich sogar ein paar Tränen abgequetscht, als sie die Irrationalität ihrer Handlung eingesehen hatte.
Benson hatte ihr schnell geistige Gesundheit bescheinigt und sie hatte ihren Feldstatus zurückbekommen.
Sie hatte sich zusammengerissen.
Eine Weile war es gut gelaufen.
Wenn nicht die Leere immer stärker und drückender geworden wäre.
Sie wusste, dass sie etwas dagegen tun musste und ihre Chance kam schneller als sie es zu hoffen gewagt hatte.
Es war der dritte Einsatz nach der Wiederfreigabe gewesen.
Sie erinnerte sich, dass sie gelangweilt neben Nathan im Transporter gesessen hatte.
Sie hatte mit dem Magazin ihrer Dienstwaffe gespielt.
Nur am Rande hatte sie wahrgenommen, dass ihre Finger gemächlich die Patronen aus dem vollen Magazin gedrückt hatten, bevor sie es wieder in die Waffe geschoben hatte.
Die Patronen waren in ihrer Westentasche verschwunden.
Ihre Überraschung war jedoch echt gewesen, als sie auf den Gegner angelegt und es nur kurz geklickt hatte.
Nathan war außer sich gewesen, als er sich zusammengereimt hatte, was geschehen war.
Auch ihre kleinlauten Beteuerungen, dass sie fest überzeugt gewesen war, dass sie ihre Waffe geladen hatte, konnten ihr nicht helfen, als sie sich von der lebensgefährlichen Schusswunde erholt hatte.
Der Verlauf nach ihrer Entlassung war derselbe gewesen.
Feldsperre, Therapiestunden.
Auch dieses Mal verschwand das Hochgefühl schnell wieder und die Hoffnungslosigkeit hielt wieder Einzug.
Es hatte nicht mal eine Woche angehalten.
Die Idee war ihr spontan gekommen.
Eine halbe Flasche Whiskey hatte sie manifestiert.
Sie hatte sich eine heruntergekommene Kneipe gesucht, die wie sie wusste, ein Tummelplatz für Vampire und Werwölfe war.
Ihre Waffen hatte sie sicherheitshalber zuhause gelassen, als sie bewusst Streit gesucht hatte und schnell fündig geworden war.
Hinterher hatte sie nicht mehr sagen können, wie und warum um alles in der Welt Frank und Nathan aufgetaucht waren.
Die Feldsperre war verlängert worden.
Doch man schickte sie nicht wieder zu Benson.
Sie durfte sich danach mit Nathan herumärgern.
Ihn konnte sie nicht so leicht täuschen wie Benson, das musste sie schnell einsehen.
Er hatte ihr Spiel schon beim ersten Gespräch durchschaut, leugnen hatte keinen Sinn.
Wenngleich Nathans Versuche zu ihr durchzudringen sie nicht stoppten.
Die Abstürze kamen inzwischen zu schnell und hinterließen jedes Mal eine noch tiefere Hoffnungslosigkeit als zuvor.
Müde hatte sie einen Entschluss gefasst.
Sie wollte so nicht weiterleben.
Ihre Bemühungen wurden nicht von Erfolg gekrönt.
Jedes Mal war Nathan rechtzeitig zur Stelle gewesen, egal was sie auch versucht hatte.
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