Auch Julia trinkt Enzianschnaps und Bier und isst sogar das Wienerwürstchen aus ihrer Erbsensuppe. Sie weicht keinen Millimeter von meiner Seite und hat auf einmal den Wunsch, ihre Mutter anzurufen.
Gemütlich lassen wir den Rückweg angehen, geht es doch zum großen Teil abwärts. Von meinen Schwägern in die Mitte genommen, albern sich die drei zu Tal. Immer wieder dreht sich Julia zu mir zurück, schenkt mir Dankbarlächeln und ich möchte ihr so gerne sagen, dass ich ihr dankbar bin.
Diese Nacht, das habe ich beschlossen, verbringen wir in den Ehebetten meiner Eltern und so liegen wir, jeder auf seiner Seite. Die kleinen gusseisernen Stehlämpchen lassen honigfarbenes Licht durch die Papierwachsschirmchen scheinen.
Ich musste Julia ein Essigwasserbad für ihre Füße machen - sie konnte sie zum Schluss nicht mehr bewegen - und massierte sie bis zu den Knien mit Balsam aus Bergkiefer und Lavendel.
Sie liest die Tage noch einmal aus meinem Tagebuch, gähnt wie ein Äffchen und wird bald schlafen wie ein Murmeltier.
Nicht immer, aber doch oft, bin ich erstaunt über ihre Größe, besser gesagt: Länge, vor allem, wenn sie so neben mir im Bett liegt. Einmal, als wir im Laden schliefen, holte ich des Nachts ein Metermaß und vermaß Julia. Freilich konnte ich nicht exakt messen, aber die einsneunzig kamen leicht hervor. Als ich sie das erste Mal sah, war ich verwirrt über ihr Aussehen.
Morgen besuchen wir Salzburg!
Ich lege meine Hand in ihren Schoß, sie hält sie fest im Schenkeldruck und wir seligen uns in den Schlaf.
Durch das familiäre Erlebnis mit den s,Schwestern von Louis und ihren Männern, habe ich s,so eine Lust bekommen auf meine Mutter. Vom Berg habe ich s,sie angerufen und s,sie hat wieder geweint, aber wir haben uns verabredet. Erst wollte s,sie, dass ich in die Wohnung komme, dann s,schlug ich bei Louis vor, und s,später einigten wir uns: Wir treffen uns in Louis Laden, aber nur, wenn er nicht da ist – „zugegen“, wie Mama s,sagt.
Den großen Hühnergrill habe ich angemacht, darin dreht s,sich ein einziges Huhn, das Louis gewürzt hat. Und s,Salat hat er gemacht und Rotwein ist offen und ich muss das Baguette am s,Schluss in den Grill zum knuspern legen.
Es ist Ende Oktober und kalt genug, dass es die Gasheizung im Kundenraum des Ladens alleine nicht s,schafft, und s,so hilft Louis mit dem Hühnergrill nach. Meine Mutter klopft an das s,Schaufenster. s,Sie versucht, hindurch zu s,sehen, drückt s,sich die Nase platt und ich presse die meine dagegen und wir s,sehen uns in die Augen.
„Julia“ – „Mama“ – „Das ist also der Laden“ – „Ja“ – „Schön warm hier“ – „Das ist der Grill“ und ich zeige alles. Den Laden mit Louis Arbeiten, den Küchenthekenraum, den Grill mit dem fetttropfenden Hühnchen, den Kühl-Nachdenk-Raum und das ehemalige Büro, das Notschlafzimmer. Die Mama ist gerührt, interessiert, traut s,sich aber nicht mich auszufragen.
Louis hat gesagt, ich muss mit dem Huhn nix machen bis halb Acht und nun habe ich es zerteilt, auf dem großen Teller angerichtet, das gewärmte Brot dazu. Der s,Salat und der Wein s,stehen auf dem großen Arbeitstisch und ich habe Musik aufgelegt von Paolo Conte
Die Mama weiß nicht, wie ihr geschieht. s,Sie s,sieht mich s,so s,selbständig – s,sie weiß nichts von Louis Inszenierung – und ist verwundert und bewundernd zugleich.
Wir essen und reden nix! Mama findet das Huhn pfiffig – Louis hat es mit Chili eingerieben – der Wein ist ihr s,schwer, aber s,sie trinkt s,schnell und s,sie ist begeistert von Conte. Alles, das hat Louis gewusst. s,Sie wäre in zwei s,Sekunden in ihn verliebt, das schwöre ich.
s,Sie ist angetan vom Laden, von den vielen Kleinigkeiten, den kitschigen und künstlerischen und besieht s,sich ganz genau die Fotos, die ich von Louis gemacht habe.
„Du hast zugenommen!“
„Ja, bisschen…“
„Nimmst du die Pille?“
„Nein, Louis ist s,sterilisiert“
„Er arbeitet….“
„…als Grafiker und er s,schreibt für den Rundfunk.“
„Du liebst ihn!“
„Von ganzem Herzen“
„Und er dich?“
„Mehr als s,sein Leben“ und wir müssen loslachen über unser s,Spiel. Die Mama hat wirklich wässrige Augen und fragt:
„Es geht dir wirklich gut? Du bist so erwachsen geworden, Julia!
Gibt er dir Geld?“
„Alles was ich brauche!“
„Er verdient gut?“
„Manchmal!“
„Was ist mit deinem Abitur?“
„Er besteht darauf, dass ich es s,schaffe!“
„Julia, ich meine doch nur….“
„Mama, er liebt mich“
s,Sie hat s,sich die ganze Zeit nicht s,so wohl gefühlt in ihrer Mutterrolle, aber von Glas zu Glas wird s,sie redseliger, es ist die zweite Flasche Roter.
„Julia, ich glaube, ich kann nicht mehr fahren?!“
„Mama, ich rufe den Papa an“
„Bloß nicht!“
„Louis fährt dich“
„Nein!!“
„Dann s,schlafen wir hier, Mama!“
Und wir liegen im alten Ehebett von Louis, und wir nippen Rotwein der dritten Flasche.
Die Mama hat nix erzählt vom Papa und ich nicht viel von Louis und wir s,sind s,sehr gut eingeschlafen.
Mama hat s,sich gewaschen im Becken der kleinen Toilette, ich höre s,sie im Laden rumoren, es riecht nach Kaffee und Mama. s,Sie hat tatsächlich hier geschlafen. Hat s,sich Louis bestimmt gedacht, sonst hätte er angerufen. Ich wünschte, er wäre hier bei mir im Bett. Die erste Nacht s,seit über einem Jahr, dass ich nicht mit ihm eingeschlafen bin, dafür bestimmt nach über fünfzehn Jahren das erste Mal wieder mit meiner Mutter. s,Sie ruft nach mir, das Frühstück ist fertig. Picobello angezogen s,sitzt s,sie am Tisch, der für uns beide s,sehr gemütlich gedeckt ist. s,Sie hat vergessen, dass ich nur Tee trinke, aber ich werde Kaffee mit ihr trinken.
„Julia, ich habe so einen schönen Abend mit dir verbracht und ich habe gar kein Kopfweh, weißt du.“
„Von Louis Wein bekommt man keinen Kopf, Mama!“
„Es spricht die Kennerin, hm?“
„Mama, bitte….!“
Natürlich hätte ich s,sie gestern Abend nach Hause fahren können, aber s,sie hätte meinen nicht vorhandenen Führerschein s,sehen wollen und es hätte keinen s,Sinn gehabt. Das war wirklich gut mit ihr und ich glaube, s,sie ist ziemlich erleichtert. Wir s,sitzen uns gegenüber, s,schweigen in unsere Gedanken und ich möchte gar nicht wissen, was s,sie denkt. s,Sie wollte mich im Auto mitnehmen, aber ich gehe lieber zu Fuß.
Ich gehe den gleichen Weg, den Louis begeht und ich kehre, wie er, bei „Juan Carlos“ ein, bestelle einen grünen Tee und rufe über das Restaurant-Handy Louis an. Keine zehn Minuten s,später ist er hier, trägt die honigfarbenen Cordhosen und diese gewachste englische Jacke, deren Namen ich nie weiß, über dem grauen Strickhemd. s,Seine s,Stupfelhaare s,sind zu lang, s,sie s,stehen ihm am Hinterkopf zu Berge. Es ist genau zwölf Uhr! Louis trinkt einen Roten, knabbert an Pistazien.
„War es gut, Mamababy?“ fragt er.
„s,Sie wäre in zwei s,Sekunden in dich verliebt!“
Und er redet, versucht mir zu erklären, wie Mamas s,sind und ich s,sehe ihm die ganze Zeit nur in die Augen und Louis wird immer nervöser und s,sagt dann: „Gehen wir heim!“
Wir gehen, aber nicht heim, wir s,schlendern im Park, Louis teilt mit mir die Jacke, er hält s,seinen rechten Arm im Ärmel und ich meinen linken im anderen. Und zwischendrin bin ich und Louis Hand in Hand.
Es war ein ganz s,schön erstaunlicher und guter Abend mit meiner Mama, aber jede Minute mit Louis ist erstaunlicher.
***
An dem Abend und in der Nacht, den Julia mit ihrer Mama im Laden verbrachte, entwickelte ich das Konzept für die Firmenwerbung der Europ-Spedition. Und wenn ich diesen Auftrag bekomme, dann bin ich für ein paar Jahre saniert. Aber Julia muss mithelfen, muss fotografieren usw. Einstellen werde ich sie, als Mitarbeiterin mit allem drum und dran. Die Frau Hamberger, die mir alle paar Wochen die Buchhaltung macht, soll die Julia anmelden und sie ein wenig anlernen, dass sie das Geschäft besser versteht. Aber ich mache mir Gedanken, vielleicht will sie gar nicht?! Helfen will sie mir bestimmt, aber darf man überhaupt eine Schülerin beschäftigen? Wird alles rauszukriegen sein!
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