1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Ja, sei zufrieden! Sie hatte ihre Pflicht erfüllt, schließlich erduldete sie diese Bumserei nicht zu ihrem Vergnügen -- das etwa sollte es wohl bedeuten, wenn sie seine Hand wie eine lästige Kröte abstreifte. Natürlich spürte er nicht mehr die prickelnde Neugier und Leidenschaft der ersten Ehejahre, doch so durfte sie ihn nicht behandeln. Ihm ging durch den Kopf, dass sie seit etwa einem Jahr nicht mehr zu ihm ins Bett gekommen war und keine Andeutung gemacht hatte, dass ihr Sex fehle. Im Gegenteil, seit vier, fünf Monaten hatte sie sich immer sofort abgedreht, wenn er ins Bett kam. Und seit dieser Zeit hatte sie angeblich oft Migräne, Bauchschmerzen oder ihre Regel gehabt, sobald er nur die Hand an ihren Busen gelegt hatte. Und sie war in letzter Zeit entweder sehr spät nach Hause gekommen oder hatte bereits geschlafen, wenn er später kam. Wenn das nicht eigenartig war.
Sollte er als Kriminalist in der eigenen Ehe etwas übersehen, das andere vielleicht schon wussten?
An diesem Sonnabendmorgen war er mit seinen Gedanken schon wieder bei dem Mordfall gewesen, als er gegen sieben Uhr aufgewacht und leise aus dem Schlafzimmer geschlichen war. Er hatte seine Notizen durchgesehen und sich überlegt, was sie ermittelt hatten und was noch offen blieb. Dann hatte er sich aufs Rad geschwungen, war mit Bully zum Bäcker gefahren und hatte den Tisch für sie beide gedeckt. Und sie setzte sich nun so aufreizend geil an den Tisch und ließ ihn nicht mal ihren Unterleib streicheln. Nein, sie schob ihn einfach beiseite. Beschämend.
„Und was wolltest du mit mir besprechen?“ fragte er ironisch. „Dass du jetzt ständig Spätschicht hast?“
Sie warf ihm einen kurzen, verunsicherten Blick zu. „Lenk nicht ab. Ich wollte mit dir über das Haus reden. Du wirst doch diese Bruchbude nicht etwa renovieren wollen.“
„Das wird nicht reichen“, sagte Bergfeld und fühlte eine heimliche, befriedigende Aggressivität in sich aufsteigen. „Ich werde es wohl sogar rekonstruieren müssen: Dach, Wasserrohre, Fenster ...“
„Und wie? Wer soll das bezahlen und wo willst du das Material her bekommen?“
„Ja, dann werde ich die Mittel eben beim Parteiprogramm ‘Schöner unsere Dörfer und Gemeinden’ beantragen müssen. Vielleicht haben die ein paar Dachziegel übrig.“ Es war boshaft, ihr die Mängel der sozialistischen Planwirtschaft so unter die Nase zu reiben, doch es machte Spaß.
Marion funkelte ihn wütend an. „Du brauchst gar nicht zynisch zu werden, ich werde jedenfalls keinen Handschlag für diese Bruchbude tun – und von meinem Geld geht da nicht ein Pfennig rein.“
„Von deinem Geld?“ fragte Bergfeld gedehnt. „Ich dachte immer, wir haben als Ehepartner eine gemeinsame Kasse.“
„Ja, aber nicht für unnötige Ausgaben.“
„Seit wann ist ein Haus etwas Unnötiges! Es ist sogar im Sozialismus eine gute Wertanlage.“
„Wenn man dich so reden hört, denkt man, das Rad der Geschichte dreht sich zurück.“ Sie merkte selbst, wie geschwollen das Schlagwort aus dem Parteilehrjahr klang und lenkte ein. „Sieh mal, das hat doch keine Zukunft – hier im Haus gibt es eine Verwaltung, die sich um alles kümmert, sie schickt Handwerker zum Reparieren, ohne dass wir alles extra bezahlen müssen. Und vielleicht entspannt sich die Wohnungssituation in den nächsten Jahren und wir kriegen eine etwas größere Wohnung.“
„Aber in einem Haus ist man unabhängig, man hat mehr Platz und kann mit jeder Wand und jedem Zimmer machen, was man will. Wenn es nun Glasnost und Perestroika gibt, wird sich vielleicht auch wirtschaftlich einiges ändern, ich meine damit bessere Angebote an Baustoffen...“ Wie sollte er ihr das Haus denn noch schmackhaft machen. Mehr als die Hälfte der Klosterwalder Einwohner, einst überwiegend wohlhabende Bauern, besaßen eigene Wohnhäuser. In kleineren Orten traf dies sogar auf fast alle Einwohner zu. Es gehörte zum Leben auf dem Land, und auch von Hause aus war er so gewohnt. Mieter wurden als arme Schlucker angesehen. Allerdings hatten die Schwierigkeiten mit dem Baumaterial und damit der Werterhaltung der Einzelhäuser. Und so hatten über vierzig Jahre Sozialismus bei vielen Leuten einen gewissen, ideologisch begründeten Sinneswandel herbeigeführt. Angeblich seien große Mietshäuser nicht nur rationeller zu bauen und zu unterhalten und damit auch ökonomischer als Einzelhäuser, sie förderten auch das Zusammenwachsen der sozialistischen Gemeinschaft und die kollektive Verantwortung.
Marion aber hatte andere Gründe. Sie scheute sich vor der in einem Haus und natürlich auch in dem dazu gehörenden Garten anfallenden Arbeit. Deshalb hatte sie sich auch so angestrengt, ihre körperlich schwere, doch gut bezahlte Tätigkeit in der Plattenleimabteilung des Möbelwerkes gegen eine Bürotätigkeit einzutauschen. Da ihr fachliche und rechnerische Voraussetzungen für die Buchhaltung fehlten, hatte sie den Weg in das Büro des Parteisekretärs gefunden. Oder war es nicht nur das Büro, vielleicht auch das Bett gewesen?
Erst jetzt wurde Bergfeld klar, was ihn seit Wochen noch beunruhigte. Er wollte es nicht wahrhaben, doch es saß in seinem Hinterkopf, und eigentlich war schon seine Frage nach ihrem Spätdienst diesem Verdacht entsprungen. „Außerdem habe ich dich auch etwas gefragt: Schiebt ihr im Parteibüro jetzt andauernd Spätdienst?“ kam er auf seine Frage zurück und zuckte innerlich zusammen. Hatte es nicht so geklungen wie: Schiebt ihr im Parteibüro jetzt dauernd Spätnummern?
Marion sah ihn kurz an und wich dann seinem Blick aus. Trotz seiner Wut konnte er die Augen nicht von ihren langsam auseinandergehenden Beinen reißen. Der Morgenrock rutschte wieder zur Seite und der behaarte Unterleib schien ihn wie ein wollüstiges Tier anzusaugen. War er so geil, dass seine Hirnwindungen sich schon bei der Vorstellung ihres feuchten, pulsierenden Geschlechtsteils nur darauf konzentrierten, wie er sich da hinein schieben konnte?
Sie kannte ihre sexuelle Anziehungskraft auf ihn und lächelte. Hätte sich in diesem Moment nicht ein leicht überheblicher Zug um ihre Mundwinkel gezogen, während sie scheinbar ganz intensiv ein Brötchen mit Konfitüre bestrich, wäre er wohl wieder zu Kreuze gekrochen. Er hätte es noch einmal versucht, sie hätte diesmal seine Hand gewähren lassen, ihre Schenkel noch weiter geöffnet und dann die Schamlippen gegen seine Finger gedrückt. Und dann hätte sie sich erhoben, den Bademantel abgestreift und ihn nackt und mit wiegender Hüfte ins Schlafzimmer gelockt...
Michael Bergfeld konnte nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken. Diese verdammte Geilheit, diese Eifersucht und Leidenschaft, diese drängende Gier im Schwanz des Mannes. Der Grund für mehr als die Hälfte aller Kapitalverbrechen in ihrem Landkreis war der Sexualtrieb. Und der Suff. Meistens beides zusammen. Das vereinfachte ihre Arbeit enorm – Motive wie Geld oder Erbschaft waren die Ausnahmen Wer wollte schon einen Mord begehen für Geld, mit dem sich nur wenig kaufen ließ.
Er erhob sich und schaltete den Fernseher an. Irgendwie musste er sich jetzt ablenken. Es war fast Mittag und das DDR-Fernsehen brachte eine Übertragung vom Berliner Alexanderplatz. Als er das Bild vom Hubschrauber sah, wollte er seinen Augen nicht trauen. Das waren Hunderttausende, die über die Liebknechtstraße, vor dem Palast der Republik durch die Breite Straße zurück zum Alex alle Straßen füllten. Stefan Heym redete und ein Beifallssturm dröhnte aus dem Apparat. Bergfeld schaltete das Westfernsehen an, das gleiche Bild. Seine Frau sagte nichts. Als er sich beruhigt hatte und sie prüfend musterte, bemerkte er ihre ungläubig geweiteten Augen. Der Reporter sprach von einer halben Million Demonstranten.
„Endlich kommt Bewegung in diese verkrustete Gesellschaft“, sagte Bergfeld fast gegen seinen Willen. Es waren Wagners Worte und sie kamen ihm rechtzeitig in den Sinn – ein kleiner Rachepfeil in Richtung Marion, der Parteisekretärin.
Читать дальше