Hartung saß bereits wieder hinter seinem Schreibtisch. Er lehnte sich zurück. Diesmal winkte er Gallowayy, sich hinzusetzen. Der Stuhl war frei von Ablagen geräumt worden. Hartung schien seinen Kunden ein gewisses Maß an Komfort bieten zu wollen. Bei der Wahrnehmung dieser Einladung bemerkte Gordon Gallowayy den kleinen Monitor, der für den Besucher als Rückteil eines Fotorahmens aussah. Dies war also der Grund, warum ihm Hartung im Hausflur entgegenkam. Es war Diskretionsschutz seiner Klienten, auch wusste er so, wer ihm auf die Bude rückte.
„Ich habe keine gute Nachricht für sie“, eröffnete Hartung das Gespräch. Er berichtete kurzgefasst, war ihm Tilly Schüllkamp erzählt hatte, ohne allerdings ihren Namen zu nennen.
Gordon heuchelte Enttäuschung. Eigentlich hatte er auch nichts anderes erwartet. Es ging immer darum, noch etwas mehr Geld herauszuholen. Das war ihm bekannt. Dafür war er schon zu lange im Geschäft. Und prompt eröffnet ihm Hartung, die Möglichkeit die Register in den umliegenden Städten und Gemeinden checken zu können. Allerdings würde jenes weitere Kosten verursachen. Money, money, money.
Der Amerikaner teilte seinem Auftraggeber mit, dass vielleicht auch ein anderer Name in Betracht kommen könnte. Er nannte ihm den Namen Walter Burger. Er ließ aber offen, wie er an diesen Namen gelangt war und warum es einen Namenswechsel gegeben haben konnte. Hartung fragte danach, hakte aber nicht nach, als er merkte, dass sein Kunde nicht mit der Sprache herausrücken wollte. Solche Fragen würden nur die Vertrauensbasis zerstören, die zwischen Detektiv und Klient bestehen musste. Schließlich ging es hier ja um Geldeinnahmen, die der Kunde zahlen würde. Als Gallowayy erfuhr, was im deutschen Meldewesen an Recherchen so möglich war – in den Staaten gab es solche Register nicht war er sofort damit einverstanden, den Rahmen der Untersuchung zu erweitern. Man einigte sich auf weitere drei Hundert Euro unter Einbeziehung aller Register im Umkreis von 100 Kilometern, falls man in Duisburg nicht fündig würde. Duisburg sollte aber der Scherpunkt der Untersuchung bleiben. Das Geld wechselte seinen Besitzer, ohne dass eine Quittung oder Beleg erstellt wurde.
Gallowayy beabsichtigte, den Abend in einer Diskothek zu beschließen und bat Hartung, ihm eine zu empfehlen. Der Duisburger musste passen. Sein Freizeitangebot enthielt keine Diskotheken. Er bevorzugte mehr Esslokale. Man verabschiedete sich. Man verabschiedete sich.
Hartung beobachtete, den Monitor, bis er sich sicher war, dass sein Klient das Haus verlassen hatte. Dann schaltete er über eine Fernbedienung seinen Videorekorder ein um sich das Gespräch noch einmal anzuschauen. Der schlechte Beigeschmack, den der Namenswechsel bei ihm verursacht hatte, verstärkte sich noch. Er griff zum Hörer, wartet, bis Patrizia Schüllkamp ihre Mutter an das Telefon geholt hatte. Tilly und er einigten sich darauf, dass Tilly für die neue Recherche ein Hundert und Fünfzig Euro bekommen sollte. Über eine Ausweitung der Recherche, auch in den anderen Städten nach dem neuen Namen zu suchen, verwendete Hartung kein Wort. Über seinen faden Beigeschmack in dieser Angelegenheit verlor er keine einzige Zeile.
Staatsforst Wesel
Die Situation hatte sich gänzlich geändert. Jetzt tollten die beiden Mädchen durch den Wald, versteckten sich hinter Bäumen, Warfen mit Blättern oder Stöcken um sich oder spielten Fangen. AnnaLena hatte die Regie bei diesen Spielen übernommen. Ihr Einfallsreichtum war gewaltiger als der ihrer Spielgefährtin. Ihr Kommandos >Jetzt machen wir dies.< oder >Jetzt machen wir das< wurde von Susi anstandslos akzeptiert. Ja, eigentlich begrüßte sie dieses Vorgehen. Herumtollen im Wald war etwas Neues für sie und Neues begeisterte Kinder immer.
Auf der Hinfahrt war genau das Umgekehrte der Fall gewesen. Susi führte das Wort. Andächtig hing AnnaLena an ihren Lippen. Was Susi so alles wusste. Mikael konnte nicht sagen, ob dies was Susi von sich gab, so alles stimmte. Aber sie hatte eine Gabe, Menschen zu beurteilen, was für eine Zehnjährige außergewöhnlich war. Dabei kam sie mit ihren Beobachten immer auf den Punkt. Für ein Kind in diesem Alter eine beachtliche Fähigkeit. Susi war ein gänzlich anderer Mensch als AnnaLena. Ihre Mutter wollte wohl, dass Susi auf ihr Äußerstes allergrößten Wert legte. Die rose Rüschenbluse, die schwarzen Leggins über der sie einen kurzen grauen Rock trug, die langen blonden Haare, die zu einer Vielzahl kleiner Zöpfe geknüpft waren, all das erschien Knoop wenig kindgerecht. Das Mädchen sah so nicht nur wie ein Mannequin aus, nein sie verhielt sich auch so. Mehr unbewusst als willentlich. Im Moment stach das Kindliche noch deutlich hervor, aber in einigen Jahren, da war sich Knoop sicher, würde sie den Männern den Kopf verdrehen, um dies zu erreichen, was sie wollte. Die Zusammenstellung der Garderobe ihrer Tochter war Christel zugefallen. Er kümmerte sich nur selten darum. Vielleicht auch, weil man ihn nie fragte. Er galt als Modemuffel und hatte dies ohne viel Gegenwehr akzeptiert. AnnaLena wurde von Christel mehr zweckmäßig gekleidet. Markenklamotten wurden selten gekauft, auch wenn AnnaLena so etwas einforderte.
Knoop erstaunte, wie seine Tochter an den Lippen ihrer Freundin hing und wie begeistert sie lauschte, was Susi so alles zu berichten wusste. Und Susi genoss es ihrerseits, so im Vordergrund zu stehen.
Mikael suchte gerade nach den Parallelen zwischen Susi und ihrer Mutter, die er beim Abholen zum ersten Male kennengelernt hatte, als die beiden Mädchen seine Nähe suchten.
„Papi, wir haben gerade >Befreiung der Prinzessin< gespielt. Was können wir noch spielen?“
Mikael überlegte. „Wir machen einen Wettkampf.“
„Oh, ja!“ kam es gleichzeitig aus den beiden Kehlen der Mädchen.
Mikael schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. „Wer von Euch das größte Blatt findet, der hat gewonnen. - Ab!“
Die beiden Mädchen sausten auseinander.
Als erstes war AnnaLena zurück. Sie hatte ein gewaltiges Eichenblatt in den Händen. Wortlos gingen sie nebeneinander her, um auf Susis Fang zu warten. Diese kam mit einem Blatt des Wallnussbaumes zurück. >Unentschieden< legte Mikael fest, als er beide Blätter übereinander legte. Das Eichenblatt war breiter, das der Wallnuss länger. Er forderte beide auf, ihren Fund genauer zu betrachten.
Es war AnnaLena, die zuerst mit einer Frage antwortete. „Die Form?“
Mikael schüttelte den Kopf.
„Die Farbe?“ Diesmal fragte Susi.
Der Kopf wurde wieder geschüttelt.
„Ich hab’s!“ AnnaLenas Stimme überschlug sich nahezu vor Eifer. „Die Striche auf der Rückseite.“
Mikael konnte sich ein Lächeln nicht verbeißen. „Was bedeuten diese Linien?“
„Muster!“ „Verzierung!“ „Abstreifer?“ „Wegweiser!“ „Zeichen!“
Die Antworten kamen so schnell, dass Mikael beim besten Willen nicht sagen konnte, wer was beigetragen hatte. Er nahm seine Hand aus der Tasche presste diese zusammen und ließ die beiden auf seinen Handrücken schauen.
„Blutbahn!“ AnnaLena war die Erste, die den Tipp umsetzen konnte.
„Nun haben Bäume aber kein Blut.“
„Wasser zum Wachsen“, besserte AnnaLena ihren Vorschlag nach.
„Richtig! Hierdurch transportieren die Bäume ihre Nährstoffe von den Wurzeln bis in die Blätter.“
„Und wie machen die dies?, fragte Susi. Die Mädchenaugen hingen an seinen Lippen.
Als Mikael von der Aufnahme des Regenwassers erzählte, das Stoffe aus dem Boden aufgenommen hatte, da nahm der Glanz in den Augen seiner beiden Schüler ab und als er den Begriff des osmotischen Drucks erklären wollte, da hänselten sich die beiden Kinder lieber, als den Erklärungen des Erwachsenen zu lauschen.
„So“, beschied Mikael, nun suchen wir ein Blatt mit den meisten Zacken.“
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