Van Gelderen täuscht Interesse vor. Er wusste, dass man sich von Krankheiten frei reden muss und wartete so, bis Sacky mit seinen Schilderungen geendet hatte: „Und? Wollen die dich operieren?“
Sakalewski kratzte sein Haupthaar: „Ich glaube es nicht. Die Ärzte meinen, es mit konventionellen Methoden hinzukriegen. Aber bislang ist es ohne Schmerzmittel nicht auszuhalten.“ Er wollte, um sich zu van Gelderen hinzuwenden, etwas auf die Seite legen, brach aber mit einem leichten Stöhnen diesen Versuch ab. Einige Minuten herrschte Schweigen. „Und wie geht’s bei Euch so?“
„Du weißt ja, wir haben immer was zu tun. Im Moment ist Vieles Kleinkram. Das schaffen unsere Leute schon noch. Im Augenblick haben wir noch die Sache mit der Wasserleiche. Den Fall leite ich. Die Spuren führen aber wahrscheinlich nach Holland. Aber wenn noch so eine gewichtige Angelegenheit hinzukommt, dann wirst du uns fehlen.“
Peter Sakalewski fühlte sich geschmeichelt. „Chef, das wirst du doch schaffen. Ich falle doch nur für ein paar Wochen aus und wenn ich keine Schmerzen mehr habe, dann kann ich euch ja am Schreibtisch Arbeit abnehmen.“
Heribert van Gelderen hantierte mit seinen Armen: „Dies werden wir schön bleiben lassen. Dann verrutscht deine Bandscheibe erneut, dann muss du operiert werden. Na prima und dann fällst du bestimmt für ein halbes Jahr flach. Dann darf ich mir einen Ersatz für meinen Stellvertreter suchen. Und personell sind wir nicht gerade gut aufgestellt.“
Sakalewski lächelte matt: „Du kannst ja den Berghoff nehmen“, schlug er vor.
„Herr Hauptkommissar Berghoff! In drei, vier Jahren vielleicht“, wiegelte van Gelderen ab. „Der ist noch zu grün hinter den Ohren, ist doch erst seit drei Jahren bei uns.“
„Und die Krautscheit?“ Sakalewski lächelte herausfordernd.
„Peter, du weißt, wie ich über Frauen im Beruf denke. Ich kann eben diese Emanzen nicht ab. Immer fühlen sie sich benachteiligt, beschweren sich jede fünf Minuten über einen Witz, den man gemacht hat wegen Frauenfeindlichkeit und halten sich bei der Frauenbeauftragten länger auf, als sie für den Fall Zeit verwenden.“
Sakalewski lächelte süffisant: „Bleibt nur noch Knoop.“ Er rekelte sich, verzog dann sein Gesicht und blieb bewegungslos liegen. Seine Stimme klang so, als wüsste er die Antwort bereits.
„Unser beider Freund Knoop. Immer abwegige Meinung. Immer kontra, wenn es ihm um etwas geht. Kann nie sein Maul kalten. Will immer mit dem Kopf durch die Wand. Willst du noch mehr hören?“
Sakalewski schüttelte den Kopf. „Bei mir ist er doch genau so. Aber er hat so ...“
In diesem Augenblick betraten eine Frau, mit zwei Mädchen an der Hand, das Krankenzimmer. Heribert van Gelderen begrüßte Frau Sakalewski fuhr den beiden Kindern sanft über die Haare und entschuldigte sein Gehen. Im Beisein der Familie wollte er über dienstliche Angelegenheiten nicht sprechen. Als er von außen die Türe schloss, sah er, wie Frau Sakalewski sich über ihren Mann beugte, um ihm einen Kuss zu geben.
Duisburg Röttgersbach
„Papi?“ Der Ruf blieb ohne Antwort. „Papi?“ AnnaLena konnte hartnäckig sein, wenn sie etwas wollte. „Papi!“ Während sie zweimal vergeblich versucht hatte, ihren Vater zu wecken, kniff sie ihn bei der dritten Ansprache gleichzeitig in den dicken Zeh. Knoop schreckte auf. Da war er doch beim Lesen der Zeitung eingeschlafen. Er strich sich mit der rechten Hand über sein Gesicht und nahm gleichzeitig die Beine vom Polstersessel.
„Was ist meine kleine Maus?“ Seine Stimme klang schlaftrunken.
AnnaLenas Gesicht zeigte ein Mienenspiel, dass sie etwas wusste, was ihr Gegenüber nicht kannte. „Papi, du hast es versprochen. Willst du das nicht halten?“
Knoop überlegte. Aber es fiel ihm partout nicht ein, was seine Tochter meinte.
AnnaLenas grau-grüne Augen ruhten auf dem fragenden Gesicht. „Du hast es vergessen. Das habe ich mir gedacht! Du hast es wieder vergessen!“ Die Enttäuschung ließ das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwinden. Sie erhob sich und wendete sich mit enttäuschtem Gesicht ab.
„Wenn man etwas vergisst, dann heißt dies nicht, dass man Versprochenes nicht halten will. Was habe ich denn so alles versprochen?“ In Knoops Stimme klang Reue durch.
Die Unzufriedenheit wich wieder einem Lächeln. „Wir wollten doch in den Wald!“
Knopp schaute auf seine Armbanduhr. Die Zeit für einen Waldspaziergang war ausreichend. Noch konnte er sein Versprechen umsetzen und Mankopunkte bei seiner Tochter abbauen. Er erhob sich, um Richtung Garderobe zu gehen, als ein „Papi?“ ihn bremste.
„Ja?“
„Papi kann die Susi mitkommen?“
„Wer ist Susi?“
„Aber die kennst du doch.“ Die Falten in der Stirn ihres Vaters veranlassten AnnaLena nachzusetzen. “Susi aus meiner Tanzgruppe.“
„Susi, Susi? Die mit den krausen Haaren?“
„Aber Papi, du blickst überhaupt nicht durch. Susi hat lange blonde Haare.“
„Ach, die Geschminkte“, entfuhr es Knoop und er war dankbar, dass er ein Teil dieser Wort halbwegs verschluckt hatte. Lauter fuhr er fort: „Und du willst, dass Susi mitkommt?“
„Ach, ja bitte, bitte!“ AnnaLena wippte in ihren Knien.
„Und Susi, will die auch?“
„Aber natürlich“, entrüstete sich die Tochter. „Ihre Mutter geht nie mit ihr in den Wald. Sie mag keine Spaziergänge. Nach der Arbeit muss sie den ganzen Haushalt machen und dann ist sie immer ganz kaputt.“
Knoop nickte unmerklich mit dem Kopf, brummte etwas, als verstände er alles. „Und Susis Vater?“
„Der ist abgehauen.“ AnnaLenas Stimme klang altklug.
„Ich verstehe.“ Knopp wusste nun genug, um die Familiensituation von Susi halbwegs einzuschätzen. „Na, dann zieh dir deinen Anorak an.“
„Muss das sein? Ich friere nicht.“
„Hier drin nicht. Ohne Anorak keinen Waldspaziergang.“ Nun murmelte AnnaLena Unverständliches, aber Knoop wollte gar nicht wissen, was da seine Tochter im Unmut so von sich gab.
Duisburg-Mitte
Gallowayy hatte sich durch die nachmittägliche Rushhour von Duisburg gequält. Da er sich hier nicht auskannte, hatte er blind dem Navigator vertraut, der ihn schließlich wieder zu Hartung geführt hatte. Als Gordon erkannte, wo er sich befand, parkte er den Leihwagen in einem naheliegenden Parkhaus. Er wusste ja, wie er Hartung von hier aus finden würde. Leider hatte er Pech. Hartung kam ihm im Hausflur entgegen. Er hatte einen Termin, den er unmöglich verschieben konnte. Zwischen Tür und Angel vereinbarten sie, dass Gallowayy in einer guten Stunde wiederkommen sollte. Der Amerikaner ließ sich ein Cafe empfehlen, wo er warten konnte. Er entschloss sich, eine Kleinigkeit zu sich nehmen. Die Wegbeschreibung Hartungs führte ihn über den König-Heinrich-Platz in einen Nebenarm der Einkaufsstraße. Die Sonne hatte den Charakter des Platzes im Vergleich zum Vortage verändert. Viel mehr Menschen befanden sich auf seiner riesigen Fläche. Die Wärme der Sonne schien ihre Bewegungen zu entschleunigen. Die Personen harrten länger vor den Auslagen der Geschäfte, oder fanden Zeit zu einem Gespräch. Einige Abgehärtet saßen schon auf den Gartenstühlen, die vor den Cafes aufgestellt worden waren und von der Sicherungskette befreit waren. Das gute Wetter hatte aber auch Bettler auf die Straße herbeigelockt. Sie saßen mitten auf dem Pflaster, wortlos eine Schachtel oder eine Kopfbedeckung vor sich ausgebreitet. Einem >armen Schwein<, der unter dem Verlust seines linken Armes litt, warf der Amerikaner einige Münzen in die Mütze, ohne sie abgezählt zu haben. Der Mann erweckte sein Mitleid, als er sich vorstellte, wie aufgeschmissen er selbst sein würde, fehlte ihm ein Arm.
Gallowayy wählte einen Tisch am Fenster, der einen Ausblick auf die Einkaufsstraße ermöglichte. Für einen Sitzplatz außerhalb des Cafes war es ihm noch zu kalt. Hartung hatte Recht. Die Einrichtung erinnerte ihn an Vorstellungen, wie er glaubte, es in merry old Germany eigentlich aussehen sollte. Er datierte das Alter der Einrichtung auf das letzte Jahrhundert, als der Besuch von Cafes noch den Besserverdienenden vorbehalten war. Er bestellte einen Toast Hawaii und eine Tasse Kaffee. Seinen Blick schweifte über die Menschen, die an ihm vorbei hasteten oder bummelten. Die Sonne schien wie ein Magnet wirklich alle Menschen aus ihren Wohnungen herauszulocken. Einige leckten schon an einem Eis. Komisch, dachte der Amerikaner, kaum scheint die Sonne, dann verspüren alle die Lust auf Süßes. Nachdem er gegessen und eine weitere Tasse getrunken hatte, war es für ihn Zeit, sich auf den Weg zu Hartung zu machen.
Читать дальше