»Alzheimer hat auch seine Vorteile!« Die Abteilung ihres Gehirn, die für das Dumm daherreden da war, meinte wieder mal einen Kommentar abgeben zu müssen.
Nachdem sie mit Pat noch zu dem Aussichtspunkt gegangen war, von dem aus man den Barron-Wasserfall sehen konnte, dessen, jetzt in der Trockenzeit, spärliche Wasserschleier an mehreren Stellen in die Tiefe stürzten, kehrten sie wieder zur Station zurück und warteten auf die nächste Gondel, die nach oben fuhr.
Hetty zeigte auf ein Vogelpaar aus Plastik, das als Dekoration die Wartezone schmückte. »Weißt du, welche Vögel das sind?«
Pat sah sie verdutzt an. »Na klar, Kasuare, kennt doch jeder!«
Hetty lachte. »Ja, jeder Australier. Aber als ich das erste Mal hier herauf gefahren bin, habe ich in meiner Einfalt gedacht: Aha, so haben also die Urzeitstrauße in Australien ausgesehen.«
Als Pat zum Kichern anfing, setzte sie nach. »Schau dir doch die Teile an: Blaues Gefieder, ein Hornschild auf dem Kopf – so einen Vogel kann es doch heutzutage gar nicht mehr geben. Mein Gesicht hätte in jeder Zeitschrift viel Geld gebracht, als ich oben im Vogelhaus den ersten lebendigen Kasuar gesehen habe.«
Während sie mit der Gondel weiterfuhren, diskutierten sie über die seltsame Tierwelt, die es in Australien gab und dass man hier immer noch ein eierlegendes Schnabeltier sehen konnte.
Hetty seufzte. »Weißt du, für einen Bayern ist es besonders schwer, an solche Dinge zu glauben.«
Pat war irritiert. »Wieso denn das, was ist denn in Bayern so anders, als im restlichen Deutschland?«
Hetty sah sie lächelnd an. »Bei uns gibt es Wolpertinger!«
Pat riss die Augen auf. »Was ist denn das?«
»Tja, das sind ganz seltene Viecher, haben so eher den Körper einer Ente und kleine Hörner auf der Stirn.« Hetty zuckte die Achseln. »Wenn Norddeutsche zu Besuch kommen, gehen unsere Bergbauern hin und wieder mit ihnen hinaus, um einen zu fangen.«
Sie konnte sich ein Grinsen doch nicht verbeißen. »Aber das ist ziemlich schwierig. Da gibt es bestimmte Rituale, die man durchführen muss, um einen anzulocken. Zum Beispiel mit einer Kerze in der Hand durch das Gebüsch kriechen und ganz laut Wouuu, Woouu rufen. Eigentlich hat noch nie ein Ausländer einen selber gefangen, da konnten sie schreien was sie wollten, die Viecher gehen nicht so leicht in die Falle. Aber wir haben etliche ausgestopfte Exemplare, die können sie dann für teures Geld kaufen.«
Pat war nicht auf den Kopf gefallen und hatte schon mitgekriegt, das da nicht alles mit rechten Dingen zuging. »Ihr verarscht die doch, oder? Bastelt die Teile zusammen und die Trottel kaufen sie euch für echt ab!«
Hetty lachte. »Jawohl! Ist immer ein Mordsspaß. Gibt sogar Bücher darüber, wie man Wolpertinger fängt und so. Aber das war dann eben auch der Grund, warum ich einen Kasuar nicht für echt ansah!«
In Kurranda gab es dann allerdings nur wirklich reale Dinge zu sehen. Zuerst gingen sie zum Schmetterlingshaus. Wie der Name schon vermuten ließ, gab es darin Schmetterlinge. Viele Schmetterlinge. Kleine Schmetterlinge, große Schmetterlinge, einfarbige, bunte, fransige Schmetterlinge und dazu noch Motten. Zumindest dachte Hetty das würden Motten sein, denn sie sahen aus wie Motten. Allerdings sehr große Motten. Wie kleine Fledermäuse.
»Womit wir wieder mal bei unserem Lieblingsthema wären!« Ihr Verstand seufzte auf.
Die Sarkasmusabteilung gab ihren Senf dazu. »Was wetten wir, dass sie bei den blauen Ullyseus eine Verbindung zu Kais Augen herstellt?«
Hetty fand, dass große Teile ihres Gehirns definitiv zu viel Redeanteil hatten. Während sie die wundervollen blauen Flügel von den handtellergroßen Schmetterlingen bewunderte, musste sie selbstverständlich an Pats Chef denken. Schließlich hatte Kai die tollsten blauen Augen, die sie je auf dieser Welt gesehen hatte.
»Was habe ich gesagt – rutsch gleich mal ne Portion Endorphine rüber!«
Murrend gab der Verstand etwas frei. »Die findet einfach immer eine Ausrede, an den Kerl zu denken!«
Doch das Schmetterlingshaus war viel zu interessant, um sich noch lange mit unergiebigen Themen zu beschäftigen und sich Gedanken über Kai zu machen gehörte bei Hetty ganz oben in die Liste der Dinge, die man besser nicht tun sollte.
In dem riesengroßen Glashaus – laut Informationsbroschüre dem größten in Queensland – gab es in jeder Ecke einen hübschen Falter zu entdecken. Und natürlich versuchten sie auch alle zu finden, die auf dem Prospekt, den sie in der Hand hielten, abgebildet waren. Ein betonierter Weg führte über einen kleinen Wasserlauf, zu einem der Futterplätze für die Tiere. Zwischen Palmen, Sträuchern und Blumen waren in einem eingezäunten Bereich auf hölzernen Haltern mehrere mit Zuckerlösung gefüllte Petrischalen angebracht, die als Lockmittel für die Schmetterlinge dienten, die wirr durch das Glashaus flatterten.
Ab und zu steuerten sie dann für einen kurzen Augenblick eines dieser Schüsselchen an, um mit ihrem langen Saugrüssel den Inhalt zu schlürfen. Da diese Gefäße direkt neben der Einzäunung standen, ergab sich dadurch eine wunderbare Möglichkeit für die Besucher, die Falter zu beobachten und zu fotografieren.
Natürlich hatten die Betreiber auch noch überall die in Australien allgegenwärtigen Informationstafeln angebracht, auf denen alles mögliche Wissenswerte über diese Insekten stand. Auf einer davon war unter anderem zu erfahren, dass es unmöglich gewesen wäre, die Menge an Tieren rein über den Nektar aus Blumen zu ernähren.
Pat drehte begeistert ihren Kopf. »Wunderschön!«
Hetty nickte. »So viele wie heute habe ich auch noch nie erlebt. Anscheinend kommt es immer darauf an, ob gerade wieder neue aus ihren Kokons geschlüpft sind. Bei der Zucht kann man inzwischen auch zusehen, komm mit.«
Sie gingen durch eine Doppeltüre in das angrenzende Nebengebäude, das als Aufzuchtstation diente. Zwei Mitarbeiter der Einrichtung waren hinter einer Glasscheibe an ihrem Arbeitsplatz zu sehen, der etwas an eine Gärtnerei erinnerte. Das kam wahrscheinlich daher, dass sie fortlaufend kleine Bauschen grüner Strauchzweige mit viel Blätteranteil, in eine Flasche mit Wasser steckten. Die kam anschließend in eine Plastikschüssel und dann wurden die entsprechenden Raupen auf die neue Futterquelle gesetzt. Nachdem noch eine Datierung auf dem Behälter angebracht worden war und die Artenbezeichnung, zogen sie ein Netz über das Ensemble.
Auf der Infotafel neben dem Glasfenster, wurde die Notwendigkeit der Beschriftung damit begründet, dass die unterschiedlichen Raupenarten eben auch nicht alle gleich lange Verpuppungsphasen hatten und die Pfleger natürlich wissen mussten, wann die Schmetterlinge schlüpfen würden, um sie rechtzeitig frei lassen zu können. In der Mitte der Raumes waren noch einige Glasterrarien aufgebaut, in denen die Raupen von einigen der im Gehege herumflatternden Schmetterlingen zu sehen waren.
»Sind wirklich schön die Teile!« Hetty zeigte auf zwei daumendicke Exemplare, die für die Riesenmotten zuständig waren.
Pat ging näher an die Glasscheibe heran. »Sehen irgendwie aus wie Seegurken!«
Hetty musste ihr recht geben. Mit den aufrechtstehenden gummiähnlichen Stacheln, war die Form dann doch sehr ähnlich.
Sie grinste. »Vielleicht ist die Seegurke ja auch nur eine Raupe und die Mutter der Mantas.«
Pat lachte laut auf. »Du meinst, weil die einem Schmetterling in der Form am nächsten kommt. Ich glaube, du solltest unbedingt mal mit einem Meeresbiologen reden, das sind ganz neue Denkansätze!«
Lachend gingen sie zurück, um erneut in Schwärmen bunter Falter zu schwelgen.
Hetty fluchte. »Ich werde es wohl nie schaffen! Meinst du, ich kriege einen von den blauen Ulysseus so auf das Bild, dass ich nicht nur ein verschwommenes Etwas habe? Jedes Mal, wenn ich hier bin, kann ich hinterher den kompletten Stick wieder löschen, weil nur Sträucher mit einem Fleckchen nicht identifizierbarem Blau zu sehen sind.«
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