Die Stimme des Führers rief zum Aufbruch und sie erwachte aus ihrer Trance. Schuldbewusst folgte sie den anderen die Stufen empor. Sie hatte überhaupt nicht mehr mitbekommen, was weiter los war. Aber Fledermäuse riefen grundsätzlich sofort den Gedanken an Kai in ihr wach und der blockierte dann meist den Rest des Verstandes.
»Es beweist auch nicht gerade viel Verstand, an den Mann zu denken! Glaubst du denn, der denkt an dich?« Die Sarkasmusabteilung schüttelte den Kopf.
Dieses Argument war zwingend und am nächsten Morgen stand Hetty deshalb interessiert in der großen Lavahöhle und hörte wirklich, was der Guide sagte. Der längste Lavastrom auf der Welt und der war dann an der Oberfläche abgekühlt, während im Inneren noch weiter heiße Magma floss. Daraus waren dann diese röhrenförmigen Höhlen entstanden. Zwei davon standen heute auf dem Programm und jedes Mal war ein Boardwalk hinein gebaut worden, der im hinteren Bereich eine Plattform hatte, von der aus man wunderbar im Fast-Dunkeln stehen und das Gruseln kriegen konnte.
Mit Begeisterung erklärte ihr Führer. »Wenn wir viel Wasser haben, kommt es vor, dass die Höhlen überschwemmt werden, da dürfen dann die Gäste nicht mehr mit hinter kommen. Aber wir vom Personal schwimmen dann eine Runde, echt toll!«
Pat flüsterte Hetty zu. »Eher echt gruselig. Ich hätte dauernd Angst, dass irgendwas im Wasser ist und darauf lauert, dass es mich zu fassen kriegt. Und wenn du die Wurzeln der Bäume anschaust, die von oben durch die Decke kommen – da wenn du vorbeischwimmst, dann meinst du sicher, da greift jemand nach dir. Nein, danke!«
Hetty nickte zustimmend. »Romantisch ist das in meinen Augen nicht gerade. Abgesehen davon mieft es hier drin.«
Das war das Seltsame – keine Fledermäuse und trotzdem ein unangenehmer abgestandener Geruch, der einen nicht dazu anhielt, länger hier zu bleiben.
Als das pralle Sonnenlicht sie wieder zurück hatte und das Frühstück verdaut war, schulterte Pat den Rucksack. »Komm wir gehen jetzt eine Runde.«
Hetty sah sehnsüchtig den zwei Wallabies zu, die direkt neben ihrem Camper gemütlich Gras fraßen. Faul sein. Nichts tun. Nur fressen und schlafen – warum war sie nur als Mensch zur Welt gekommen?
Pat rief. »Mach hinne – sonst wird es zu heiß zum gehen!«
In sich hinein murrend rappelte Hetty sich hoch, um dann leise zu schmunzeln – die Rache wird mein sein!
Kapitel 9
Zwei Tage und viele Wandermeilen später konnte sie am Morgen ein Grinsen nicht unterdrücken, als sie sich an Pat wandte. »Das ist heute wieder eine Strecke voll nach deinem Geschmack.«
Sie hatte beschlossen die Inlandsstrecke nach Charter Towers zu fahren und nicht umsonst hieß diese Straße nur Straße und nicht Highway. Zugegebenermaßen hatte sie beim ersten Mal nicht gewusst, was sie erwartete und damals ganz schön die Hosen vollgehabt. Inzwischen war sie seelisch und moralisch vorbereitet und freute sich diebisch auf das Gesicht von Pat, wenn nach einigen Kilometern gut ausgebauter Straße, plötzlich das Schild kam, das darauf hinwies, dass es ab jetzt nur noch einspurig vorwärtsging.
Der entfuhr ein entsetztes Stöhnen und die Frage. »Das geht jetzt aber nicht die ganzen zweihundertfünfzig Kilometer so?«
Hetty zuckte die Schultern und schmunzelte. »Keine Angst, zwischendrin wird es immer wieder zweispurig.«
Dann gab sie Vollgas und peste los. Links und rechts der geteerten Spur waren breite Bankette, die dafür da waren, das man dorthin auswich, wenn Gegenverkehr kam. Das hieß bei Sichtung eines Gegners, voll in die Eisen latschen, abbremsen auf fast Null Geschwindigkeit, langsam auf die Seite rollen und warten bis der andere vorbei war. Dann langsam wieder auf die Teerstraße hoch und erneut Vollgas. Es war nicht angebracht langsamer als die erlaubten Hundert zu fahren, ansonsten hatte man auch noch im Rücken einen Lastzug, der einen von der Straße schieben wollte.
Die Strecke führte hügelan – hügelab, machte links einen Bogen, rechts einen Bogen, zur Abwechslung kam eine schmale Brücke über einen spärlichen Fluss und hin und wieder eine kurze breite Stelle, die tatsächlich zweispurig war. Als sie wieder einmal am Rand warteten, während ein Roadtrain an ihnen vorbeidonnerte und die Camperscheiben klirrten, sah Pat sie fragend an. »Hätten wir nicht an der Küste fahren können?«
Hetty grinste. »Macht bei weitem nicht soviel Spaß und außerdem ist dort zu viel Verkehr, das nervt.«
Seufzend ergab sich Pat ihrem Schicksal. Spaß war relativ und dass Hetty da ihre eigenen Ansichten hatte, wusste sie inzwischen zur Genüge. Denn die wirkte wie neugeboren, als sie hinter dem Steuer saß und in einer Geschwindigkeit die schmale Straße entlang donnerte, die zwar den Regeln entsprach, aber Pats Meinung nach viel zu schnell war.
»Sie ist vollkommen verrückt!« Chrissie hielt sich den Bauch vor lauter Lachen, als ihr Pat die letzte Story von Hettys Kamikazefahrt berichtete. »Aber dafür treibe ich sie jetzt alle Berge hoch, die ich auf unserer Fahrtstrecke finden kann, das verspreche ich dir.«
Als sie beim Abendessen erzählte, was Pat alles gesagt hatte, lachte der ganze Tisch. Sogar Kai verbiss sich eindeutig ein Schmunzeln und wirkte amüsiert. Was auch den Tatsachen entsprach, endlich mal eine Reise, bei der sie nur ganz normalen Unsinn anstellte. Abgesehen davon wusste er, genauso wie alle anderen am Tisch, dass Hetty eine ausgezeichnete Autofahrerin war und wusste, ob die Strecke machbar war, oder nicht. Er sah, dass Patrick einen Blick auf seine Armbanduhr warf. Aha! Heute war Freitag und mit Sicherheit würde der jetzt dann bald einen Anruf tätigen und sich das Vorgefallene von Hetty schildern lassen.
Mit seiner Vermutung lag er natürlich vollkommen richtig und eine halbe Stunde später saß Patrick gemütlich in einem Liegestuhl am Pool und drückte die Kurzwahltaste, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Rest der Hausbelegschaft sich in anderen Bereichen aufhielt.
»Ich habe gehört, du hast Pat das Leben zur Hölle gemacht! Kleine Rache unter Freunden?«
Hetty lachte vergnügt ins Telefon. Sie hatte sich mit ihrem Handy ebenfalls in eine abhörsichere Zone zurückgezogen und war guter Dinge. »Das war heute wieder mal mehr nach meinem Geschmack. Und inzwischen habe ich Füße wie eine Ente – nicht ganz so breit, aber auf alle Fälle sind meine Beine mit Sicherheit kürzer geworden, denn die Kilometer die ich inzwischen abgeschrubbt habe, müssen sich ja irgendwie bemerkbar machen. Pat kennt nach wie vor kein Pardon und nimmt ihre Aufgabe äußerst ernst. Soviel wie in den letzten Wochen bin ich mein ganzes Leben noch nicht gelaufen.«
Patrick schmunzelte. »Und deshalb hast du dir gedacht, ach warum denn eine schöne breite geteerte Straße fahren, wenn es auch eine engere gibt, die deiner Beifahrerin den Schweiß auf die Stirn treiben kann!«
Kichernd gab Hetty zu. »Das Blöde dabei ist nur, dass wir jetzt nicht nach Mission Beach fahren können, denn da müssten wir wieder zweihundert Kilometer an der Küste entlang den Highway hochdüsen, den ich soeben umfahren habe. Und wenn ich das Pat sage, dann bringt sie mich mit Sicherheit um. Dabei hätte ich dort wirklich gerne wieder einmal vorbeigeschaut.«
Der Campingplatz in South Mission Beach war aber auch zum Verlieben. Wunderschön direkt am Meer gelegen, eine Bucht mit einem breiten Sandstrand, gegenüber Dunk Island und noch einige der Inselketten und ansonsten himmlische Ruhe. Ganz abgesehen davon, dass das Personal in Sachen Freundlichkeit wohl auf der obersten Punkteskala aller Campingplätze stand, die sie kannte. Und es gab dort auch einige schöne, harmlose Wanderwege, die sie inzwischen ohne jegliches tiefere Durchatmen hätte absolvieren können.
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