„Nur wenn mir mein Gegenüber gefällt.“
„Sonst nicht?“
„Eigentlich nur selten.“
„Nun gut, ich will mal nicht so sein. Um fünf bei mir?“
Gerhard fühlte sich plötzlich pudelwohl. So wohl wie schon lange nicht mehr und dieses Gefühl im Bauch, das hatte er zum letzten Mal wann? Ja, das war, als er seine Frau kennenlernte. Vor vielen, vielen Jahren. Vor einer Ewigkeit, so schien es ihm. Aber er wusste auch, dass er sich auf ein gefährliches Pflaster begab. Obwohl er nicht mehr im Dienst war, konnte er sich eine Liebschaft nicht leisten. Schon gar nicht, wenn er daran dachte, dass sie sicher auch erwartete, dass er ihre Miete bezahlt. Außerdem – und das machte ihn ein wenig stutzig, hatte sie gerade ihren Freund verloren. Das war noch nicht mal vierundzwanzig Stunden her. Konnte so etwas von Dauer sein? Im Übrigen konnte sie auch durchaus etwas mit Pauls Tod zu tun haben. „Um fünf? Das geht leider nicht. Da habe ich schon einen Termin.“
„Das macht doch nichts. Dann ein andermal?“
„Ja gerne.“ Gerhard schnaufte innerlich durch: „Das ist gerade noch mal gut gegangen. Wie es weiter geht, wird sich zeigen.“
Sie sah ihn an: „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
Gerhard lächelte: „Für dich.“
„Für mich? Wieso?“
„Naja du hast gerade gesagt, ob du etwas für Sie tun kannst. Ich dachte, wir sind beim Du?“
Sie fasste sich an die Stirn: „Ach ja. Aber wissen Sie …“
„Weißt du?“
„Entschuldige, aber ich bin da nicht so schnell mit dem Du und daher muss ich mich erst daran gewöhnen. Bei Paul …“
„War das anders?“
Sie sah ihn mit einem verträumten Blick an: „Ja bei Paul war das anders. Er war so ein anderer Mensch. So einer ist mir noch nie über den Weg gelaufen. Da funktionierte alles so, als ob wir uns schon ewig kennen würden.“
„Du hast mich gefragt, ob du noch etwas für mich tun kannst?“
„Ja, und, kann ich?“
„Kannst du. Wer ist eigentlich bei euch für die Forschung und Entwicklung zuständig?“
„Das macht bei uns Herr Hainzer, der ist dafür zuständig.“
„Kann ich den mal sprechen?“
„Ja natürlich. Ich bring dich zu ihm.“ Sie ging um den Tresen herum nach links in den langen Gang, der augenscheinlich zu den Produktionshallen führte, an denen er vorhin vorbei gefahren war. Gerhard folgte ihr und bewunderte ihren zarten, zierlichen Körper. Irgendwie war ihm danach, sie sofort zu überholen und ihre Hand zu nehmen. Vor einer Türe blieb Evelyn stehen und öffnete sie. Mit einer Hand zeigte sie in den Raum: „Hier ist das Büro und das Labor von Herrn Hainzer. Geh nur rein, der beißt nicht, auch wenn er manchmal so tut.“ Gerhard ging an ihr vorbei und wie zufällig streifte er dabei ihre Hand, die nach unten hing. Es durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag und auch ihr schien es so zu gehen, denn sie zuckte mit der Hand zurück. Er sah sie an und erkannte in ihren Augen etwas Vertrautes, etwas, das er schon lange nicht mehr so gesehen hatte. Beinahe wäre er stehen geblieben und hätte sie in den Arm genommen, aber von drinnen schallte es heraus: „Wer ist da? Wer stört?“
Evelyn rief über Gerhards Schulter: „Ich bringe dir jemanden von der Polizei. Der hat ein paar Fragen an dich!“ Gerhard sah in den Raum. Außer etlichen Regalen und ganz vorne neben dem Fenster ein großer Schreibtisch, war nichts zu erkennen. Hinter einem der Regale rumpelte es und jemand fluchte.
Vorsichtig und mit einem Seitenblick auf Evelyn betrat Gerhard den Raum. Plötzlich kam ein Mann hinter einem Regal hervor, den Gerhard auf den ersten Blick mit einer Bulldogge verglich. Tränensäcke unter den Augen, der Unterkiefer mit leichtem Überbiss und die Wangen hingen ohne Spannung seitlich der Mundwinkel herunter. Dazu kam noch, dass der Mann nicht gerade groß, sondern eher klein und nicht gerade schlank war. Sein kahler Kopf erinnerte dazu auch noch an eine Bowlingkugel. Der weiße Laborkittel ging beinahe bis zum Boden. Darunter hatte er einen staubfesten Overall mit Mütze, wie ihn die Spurensicherung der Polizei trägt. „Was wollen Sie?“ blaffte er Gerhard an.
„Ich hätte da ein paar Fragen.“
Er wedelte mit der Hand: „Fragen Sie, fragen Sie und dann lassen Sie mich in Ruhe! Ich habe zu arbeiten!“ Gerhard drehte sich um und sah, wie Evelyn die Türe zuzog. Sie zwinkerte ihm noch einmal aufmunternd zu und dann schloss sie die Türe. Er wandte sich wieder dieser Bulldogge zu und sah ihn sich genau an: „Kann dieser Mann ein Mörder sein? Hätte er genügend Kraft und Wut, um jemanden zu ermorden?“
„Was ist jetzt!? Fragen Sie schon!“
Gerhard räusperte sich: „Wo waren Sie gestern Abend um zweiundzwanzig Uhr?“
„Wer sind Sie eigentlich, dass Sie mir solche Fragen stellen?“
„Mein Name ist Feiler, Gerhard Feiler. Ich bin von der Polizei.“
„Polizei? Ihre Kollegen waren doch heute schon mal hier und haben unnütze Fragen gestellt!“
„Das kann schon sein, aber es haben sich neue Fragen ergeben.“
„Zeigen Sie mir mal Ihren Ausweis!“
„Gerne.“ Gerhard zog den Dienstausweis aus seiner Tasche und gab ihn Herrn Hainzer. Dieser nahm ihn und betrachtete ihn von allen Seiten. Ehe er ihn zurückgab, schaute er noch einmal auf das Foto: „Den sollten sie mal erneuern lassen. Das Bild ist ja schon uralt.“
„Ja ich weiß, aber das lohnt nicht mehr, ich gehe ohnehin bald in Pension.“
„In Pension? Wenn ich Sie so ansehe, denke ich, dass es höchste Zeit dafür wird. Sie sind ja auch nicht mehr der Jüngste.“
Gerhard winkte ab: „Das macht der Stress, wissen Sie?“
„Nun stellen Sie mir schon Ihre Fragen. Dann machen Sie, dass Sie weiter kommen!“
„Na gut, wie Sie wollen. Also, wo waren Sie letzte Nacht gegen zweiundzwanzig Uhr?“
„Das haben Sie mich doch schon gefragt!“
„Aber noch keine Antwort von Ihnen bekommen.“ Herr Hainzer kam nahe an Gerhard heran und Gerhard glaubte schon, dass er ihn tatsächlich beißen würde: „Wo werde ich schon gewesen sein? Hier natürlich! Ich reiße mir den Arsch für die Firma auf und wo ist der Dank?“
„Gibt es dafür Zeugen?“
„Wofür? Dafür, dass ich mir den Arsch aufreiße? Da gibt es Zeugen genug! Schauen Sie sich doch mal um! Alles, wirklich alles, was Sie hier sehen, würde es ohne mich nicht geben!“
„Nein, ich meine, ob Sie gestern Abend hier jemand gesehen hat?“
„Das weiß ich doch nicht! Ich rede mit niemandem, während ich arbeite und ich kümmere mich auch nicht darum, ob mich jemand sieht!“
„Könnte es sein, dass Sie der Pförtner gesehen hat? Könnte er das bezeugen?“
„Das weiß ich auch nicht! Soweit ich weiß, macht der Mann um achtzehn Uhr Feierabend und ist dann weg!“
„Wie kommen Sie dann hier heraus, wenn das Tor zu ist?“
„Das brauche ich nicht! Ich wohne hier auf dem Gelände!“
„Gehen Sie denn nie weg? Mit Ihrer Frau beispielsweise?“
„Meine Frau? Ich habe keine Frau! Ich brauche auch keine! Schließlich habe ich meine Arbeit und jetzt gehen Sie, gehen Sie endlich, ich habe zu tun!“, dabei schob er Gerhard zur Türe. Dieser stellte sich aber stur und drehte sich noch einmal um: „Herr Hainzer. Ich habe gehört, dass man Sie hier nicht mehr will? Stimmt das?“
Hainzer blieb stocksteif stehen: „Wer hat das gesagt?“
„Frau Schneider hat mir das gesagt. Sie ist auch der Meinung …“
„Meinung? Diese Frau, dieses Miststück hat keine Meinung! Die hat ihr Hirn nur auf ihrem Konto. Sie ist es doch, die mich loswerden will! Paul hätte dem niemals zugestimmt! Er wusste, was er mir verdankt!“
„Dennoch wollte er Ihnen kündigen?“
„Paul? Paul mir kündigen? Niemals!“
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