„Zur Geschäftsleitung.“
„Haben Sie einen Termin?“
„Nein habe ich nicht, aber es ist wichtig.“
„Sind Sie von der Polizei?“
„Könnte man so sagen, ja.“
„Ihre Kollegen waren heute schon mal da, was wollen Sie noch?“
„Wir hätten da nur noch ein paar Fragen.“
„Darf ich Ihren Ausweis sehen?“
„Aber selbstverständlich.“ Gerhard zog seinen alten Dienstausweis hervor und gab ihn dem Pförtner. Dieser besah ihn sich von allen Seiten und nickte: „Gut, warten Sie einen Moment.“ Während Gerhard wartete, ging ihm so einiges durch den Kopf: „Gut, dass ich den Ausweis habe. Normalerweise dürfte ich das gar nicht. Aber ich war damals schlau genug, mir einen Neuen ausstellen zu lassen. Ich hatte behauptet, meinen Ausweis verloren zu haben und bekam problemlos einen Neuen.“
Plötzlich ging die Schranke hoch und der Pförtner winkte ihn durch. Gerhard öffnete das Beifahrerfenster: „Wo muss ich hin? Wo ist die Geschäftsleitung?“
„Fahren Sie vorne gleich rechts, dann die Straße hinunter. Es ist das letzte Gebäude links.“
„Danke!“ Gerhard fuhr, wie ihm gesagt wurde, und blieb vor dem Gebäude stehen. Es war nicht besonders groß und unterschied sich kaum von den anderen, an denen er soeben vorbeigekommen war. Er stieg aus und betrat das Bürogebäude. Drinnen saß an einem Tresen eine auffallend junge, hübsche Frau, mit einer schwarzen Armbinde, die ihn anhielt: „Wo wollen Sie hin?“
„Zur Geschäftsleitung.“
„Das geht jetzt nicht, Frau Schneider hat noch Besuch. Bitte warten Sie.“, dabei zeigte sie auf ein paar Sessel, die in der kleinen Halle standen. Gerhard durchzuckte es wie ein Blitz: „Frau Schneider? Habe ich richtig gehört? Frau Schneider ist jetzt der Chef hier?“
„Die Chefin!“, lächelte die Dame. Gerhard setzte sich und überlegte: „Das ist ja eigentlich logisch, dass seine Frau jetzt den Laden übernimmt. Ich dachte eigentlich, dass der Sohn …“
Plötzlich hörte er aus dem Flur, der hinter einer Ecke des Tresens begann, einen lauten Streit. Eine männliche und eine weibliche Stimme stritten sich heftig. Gerhard konnte aber nichts verstehen, so sehr er sich auch anstrengte. Danach hörte er eine Türe, die heftig zugeschlagen wurde. Eine weibliche Stimme unterbrach ihn: „Kommen Sie jetzt bitte? Frau Schneider hat jetzt Zeit für Sie.“ Gerhard erhob sich und folgte der jungen Dame. Er konnte es nicht lassen, ihre Figur von hinten zu begutachten: „Die sieht aber gut aus. Die würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen. Hautenge Jeans, eine leichte Bluse, naja vielleicht zu leicht? Der Paul hatte schon immer einen guten Geschmack.“ Die junge Frau blieb stehen, drehte sich um und lächelte ihn wieder an, dabei blitzten ihre schneeweißen Zähne. Sie öffnete eine Türe und deutete ihm an, hineinzugehen: „Bitte, Frau Schneider erwartet Sie.“ Gerhard betrat das Zimmer und sah sich kurz um: „Tolle Einrichtung. Zweckmäßig, aber gut.“ An den Wänden standen nussbaumfarbige Schränke, „Wahrscheinlich echtes Holz?“ , dachte er. An der rechten Seite große Fenster und in einer Ecke ein riesiger Philodendron, der schon an der Decke aufgehängt war, damit er nicht umfallen konnte. Geradeaus eine braune Sitzecke und rechts davon ein riesiger eichefarbiger Schreibtisch, hinter dem sich nun eine sehr attraktive, junge Frau in schwarzem Kostüm erhob: „Herr Feiler, nehme ich an? Von der Polizei?“
„Ja, ich hätte da noch ein paar Fragen.“
„Aber ihre Kollegen waren doch schon da und haben mich befragt?“
„Das ist schon richtig, aber es haben sich neue Gesichtspunkte ergeben und da muss ich noch einmal nachfragen.“ Sie sah ihn verwundert an: „Neue Gesichtspunkte? Welche denn?“
„Nun ja,“ Gerhard schien verlegen „wir haben gehört, dass Sie noch einen .., wie soll ich sagen?“
„Stiefsohn?“
„Ja, einen Stiefsohn haben.“ Sie lachte kurz auf: „Aber das habe ich doch bereits Ihren Kollegen erklärt.“ Gerhard tat erstaunt: „Wie? Davon hat man mir gar nichts gesagt?“
„In Ihrer Behörde scheint es auch überall drunter und drüber zu gehen. Habe ich recht?“
Gerhard lächelte sie an: „Ja, die Behörden, Sie haben recht, selbst bei uns ist nicht immer alles so, wie es sein sollte.“
Sie zeigte auf die Sitzgruppe: „Setzen Sie sich doch.“
„Danke.“ Gerhard nahm Platz und sah auf die Türe, die sich nun öffnete. Herein kam wieder dieses bezaubernde Wesen von der Eingangstüre. Sie hatte ein Tablett in den Händen, auf denen zwei Tassen und ein Kännchen mit Kaffee standen. Diese stellte sie nun vor Gerhard auf den Tisch. Frau Schneider nahm eine Tasse und stellte sie vor Gerhard hin. Dann nahm sie das Kännchen, schaute kurz zu dem Mädchen und nickte: „Danke, Frau Zimmermann. Das wäre es dann.“ Das Mädchen drehte sich um und Gerhard hätte sich beinahe erwartet, dass sie einen Hofknicks machte, aber nichts dergleichen geschah. Frau Schneider sah ihn an: „Ich darf doch?“ Als Gerhard nickte, schenkte sie ihm ein: „Ein Stück Zucker oder zwei?“
„Zwei bitte.“
„Milch?“
„Nein, danke.“ Sie schenkte auch sich selbst Kaffee ein und lehnte sich in dem großen Sessel, in dem sie nun saß, zurück. Sie verschränkte die Finger beider Hände und sah Gerard erwartungsvoll an: „Nun? Fragen Sie. Was wollen Sie noch wissen?“ Gerhard vermied es, sich ebenfalls zurückzulehnen, obwohl er es gerne getan hätte. Stattdessen beugte er sich leicht nach vorne und sah die Frau an: „Frau Schneider. Mich würde zunächst interessieren, warum Sie die Geschäftsleitung übernommen haben und nicht Marinus?“ Sie sah ihn unverwandt an: „Das hatten mein Mann und ich vorher so besprochen.“
„Wie vorher?“
„Naja, dass im Falle seines …“, sie stockte.
„Seines Todes?“, half ihr Gerhard.
Ihr stiegen Tränen in die Augen, die sie mit dem Fingerrücken wegwischte: „Ja im Falle seines Todes sollte ich die Firma leiten.“
„Warum nicht Marinus?“ Sie lächelte: „Wissen Sie, Marinus ist ein sehr netter Kerl. Zu nett für das Geschäft, sie verstehen?“
„Nein, leider nicht. Er hatte doch Prokura oder nicht?“
„Ja schon, aber das nützt wenig in den Verhandlungsgesprächen mit Kunden.“
„Und da war Ihr Mann der Meinung, dass Sie ..?“
„Ja, er war der Meinung, dass ich bessere Voraussetzungen hätte, um mit den Kunden …“
„Weil Sie eine Frau sind?“
Sie nickte: „Unter anderem, ja.“ Gerhard überlegte: „Sie sieht fantastisch aus. Dieses Schwarz steht ihr sehr gut. Dazu die langen, blonden Haare, diese Augen! Selten habe ich so schöne Augen gesehen. Soll ich ihr das sagen? Nein, besser nicht. Schließlich bin ich ja quasi in offizieller Mission hier und das käme wohl nicht sehr gut an.“ Sie schien seine Gedanken zu erraten: „Dieses Kleid, das hat mir Paul noch gekauft. Er meinte, es stünde mir gut. Nie hätte ich damals gedacht, dass ich es so bald anziehen müsste.“, sagte sie. Dabei stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie tat ihm leid, sehr leid. Beinahe wäre er aufgestanden, um sie in die Arme zu nehmen und zu trösten, aber dies wäre wohl auch nicht gerade gut angekommen. Er lenkte ab: „Dieser Streit vorhin, war das Marinus, mit dem Sie eine Auseinandersetzung hatten?“
„Ja, das war Marinus.“
„Worum ging es bei diesem Streit, wenn ich fragen darf?“
„Ist das wichtig für Sie?“
Gerhard nickte: „Ich denke schon, dass es wichtig ist.“ Sie überlegte kurz: „Na gut, es ist besser, wenn Sie es von mir erfahren. Der Streit mit ihm ging um die Leitung der Firma. Er ist der Meinung, dass diese bei ihm besser aufgehoben wäre, als bei mir.“
„War das nicht vorher so abgesprochen? Sie hatten doch vorhin so etwas erwähnt?“
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