Gerhard sah den Eisenstab, der augenscheinlich von einer Baustelle stammte, denn es war ein Stück, das aussah wie Baustahl. Etwa zwanzig Zentimeter ragte das Eisen noch aus der Brust und am Rücken sah er ebenfalls noch ein kleines Stück, das scharf und spitz geschliffen schien. „Um Gottes willen!“ , schoss es durch seinen Kopf. „Das ist doch Paul! Paul Schneider!“ Paul Schneider war Inhaber einer der größten Firmen in Abensberg. Zugleich auch ein großer Gönner und Sponsor des TSV. Er hatte dazu beigetragen, dass so mancher Traum des Vereins verwirklicht werden konnte. Nun lag er da, tot, mit einer Eisenstange in der Brust. „Wer war das? Wer hat Paul so gehasst, dass er ihn umbrachte?“
Von Weitem hörte Gerhard das Martinshorn des Notarztfahrzeugs. Er ging zurück zu Sabrina, die immer noch weinte, und legte seinen Arm um ihre Schulter: „Ist ja schon gut, Mädchen. Der Arzt wird gleich hier sein und dann sehen wir weiter.“ Sabrina schmiegte sich an ihn und sah ihn mit verweinten Augen an: „Ist der Mann tot? Ist er wirklich tot? Wer macht denn so was? Was hat der Mann getan?“ Gerhard zuckte hilflos die Schultern: „Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Soweit ich weiß, hat der Mann niemandem etwas getan.“
„Kennst du ihn?“
„Ja, ich kenne ihn und ich glaube nicht, dass er dieses Ende verdient hat.“ Inzwischen war der Notarztwagen auf der Gillamooswiese zum Stehen gekommen und die Sanitäter rannten mit einer Bahre zu ihnen hin. Gerhard hörte sie, wie sie über die Brücke liefen und als er sie sah, winkte er ihnen.
Der Notarzt, der die beiden Sanitäter begleitet hatte, kam zu Gerhard: „Was ist los? Was ist passiert?“ Wortlos zeigte Gerhard auf den am Boden liegenden Toten: „Das ist Paul Schneider. Ich glaube, er ist tot.“ Der Arzt ging zu dem leblosen Körper, ungeachtet dessen, dass er dazu in die Blutlache steigen musste. Er untersuchte ihn kurz und nickte Gerhard zu: „Sie haben recht, der Mann ist tot. Wir müssen die Polizei rufen.“ Er stand auf und ging mit den beiden Sanitätern zurück zu ihrem Fahrzeug. Sabrina zupfte Gerhard am Ärmel: „Opa, gehen wir wieder nach Hause? Mir gefällt es hier nicht.“
„Geh du schon mal mit Vroni heim. Ich muss noch etwas hierbleiben, denn die Kollegen werden sicher noch Fragen haben.“
„Kollegen? Opa, du bist doch schon längst nicht mehr bei der Polizei!“
„Weißt du Sabrina, für mich sind das immer noch meine Kollegen, auch wenn ich nicht mehr im Dienst bin.“ Sabrina schüttelte den Kopf: „Das verstehe ich nicht.“
„Musst du auch nicht, ich verstehe es ja selbst manchmal nicht.“ Sabrina nahm die Leine und zog daran: „Komm Vroni, wir gehen heim.“
Gerhard sah den beiden nach, wie sie auf dem Weg zurück zur Wiese gingen. Als sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren, setzte er sich auf eine der Parkbänke und sah zu dem Toten hin: „Das hast du nicht verdient Paul! Das hast du sicher nicht verdient. Ich werde tun, was ich kann, um den Kerl zu fassen, der dir das angetan hat!“, flüsterte er leise vor sich hin. Gerhard saß eine ganze Weile, bis er die Martinshörner der Polizeifahrzeuge hörte. Bald darauf kamen etliche Beamte in Uniform und zwei Männer in Zivil, die Gerhard noch aus seiner Dienstzeit bei der Polizei kannte. Einer von ihnen kam auf Gerhard zu und reichte ihm die Hand: „Servus Gerhard, was ist passiert?“
„Servus Albert, das da ist passiert.“, dabei zeigte er auf den leblos daliegenden Körper. Da der Kollege nicht auf das Gesicht sehen konnte, fragte er: „Wer ist das?“
Albert Gradinger war in der Zeit, als Gerhard noch als Stadtpolizist tätig war, sein direkter Vorgesetzter und hatte es mit der Zeit zum Kripobeamten geschafft. In dieser Funktion war er auch der Vorgesetzte Karls, Gerhards Sohn.
„Das ist Paul, Paul Schneider.“
„Was ist passiert?“, der Kollege schien unbeeindruckt, aber Gerhard sah ihm an, dass es ihn schon etwas getroffen hatte. Er erzählte ihm, was er wusste, bis jemand von der Spurensicherung auf sie zukam: „Wir haben da was. Da sind Fußspuren.“
„Wo? Wo sind Fußspuren?“, Gerhard schien aufgeregt, deshalb bremste ihn Albert aus: „Das geht dich nichts an. Halt dich zurück.“ Der Beamte von der Spurensicherung antwortete trotzdem: „Mitten im Blutfleck sind Fußspuren. Da muss jemand nach der Tat hineingetreten sein.“ Gerhard war erleichtert: „Das? Das war nur der Notarzt, er musste ja zu ihm hin.“ Nun kam auch der Gerichtsmediziner auf sie zu: „Darf ich stören?“ Albert wandte sich ihm zu: „Was hast du für mich? Todesursache, Tatzeit, na du weißt schon.“
„Ja ich weiß, aber du weißt auch …“
„Jaja, ich weiß, Genaues nach der Obduktion. Aber was du jetzt hast, kannst du mir schon verraten?“
„Ja kann ich. Also die Tatwaffe ist ein abgesägtes Stück einer Baustahlstange. Sie wurde, vermutlich um die Tat damit auszuführen, vorne scharf geschliffen.“
„Ja und? Die Todeszeit?“
„Genaues kann ich noch nicht sagen. Aber es dürfte etwa zwölf Stunden her sein. Plusminus einer Stunde.“ Albert sah auf seine Uhr: „Jetzt ist es elf Uhr. Also zwischen zweiundzwanzig und vierundzwanzig Uhr?“
„Ja so in etwa.“ Gerhard hatte aufmerksam zugehört: „Das heißt also, der oder die Täterin müsste ein Alibi für diese Zeit haben?“ Albert fuhr herum und drückte ihm den Zeigefinger an die Brust: „Du hältst dich heraus! Du bist in Pension! Verstanden?“ Gerhard hob abwehrend beide Hände: „Das würde ich mich doch nie trauen, dass ich dir die Arbeit wegnehme!“
„Na dann ist es ja gut.“
„Wenn du nichts weiter von mir willst, dann kann ich ja gehen.“
„Kannst du, und wenn ich noch Fragen habe..“
„Weißt du, wo du mich findest!“, grinste ihn Gerhard an. „Ja, sicher beim Kuchlbauer.“, grinste Albert zurück. Gerhard wandte sich ab und machte sich auf den Weg nach Hause. Als er vorne beim Weißbierstadel ankam, sah er Sabrina auf einer Bank sitzen. Sie machte einen unruhigen Eindruck: „Sabrina! Was machst du hier noch? Ich habe doch gesagt, dass du nach Hause gehen sollst.“ Sie sah ihn an und Gerhard bemerkte, dass sie weinte: „Ach Opa, mir ist nicht gut. Ich möchte nicht alleine nach Hause gehen.“
„Komm her.“ Sie stand auf und Gerhard nahm sie in die Arme. Dabei merkte er, wie das Mädchen zitterte. Er drückte sie ganz fest und strich ihr über die Haare: „Hat dich das so erschreckt? Hast du Angst?“
„Ja Opa, fürchterliche Angst. Was ist, wenn der Mörder uns gesehen hat und in der Nacht zu uns kommt und dich und mich umbringt?“
„Warum sollte er das tun? Er hat uns nicht gesehen, glaub mir, der ist längst über alle Berge.“
„Wirst du ihn fangen und einsperren Opa?“
„Ja, das werde ich. Ich werde den Kerl fangen und einsperren. So lange, dass er nicht mehr herauskommt.“
Sie sah ihn wieder an: „Ganz bestimmt Opa? Du sperrst ihn ganz bestimmt ein?“
„Ganz bestimmt.“ So sicher war Gerhard seiner Sache zwar nicht, aber er schwor sich, zumindest seinen Teil dazu beizutragen, dass der Kerl gefasst werden würde. „So, aber jetzt gehen wir heim.“ Gerhard nahm Sabrina die Hundeleine ab und sie liefen nach Hause.
Gerhards Haus war ein gemütliches, kleines Einfamilienhaus, das er sich vor langer Zeit gemeinsam mit seiner Frau Susanne gekauft hatte. Schon beim Betreten des Hauses umfing den Besucher eine wohlige Atmosphäre, die noch aus der Zeit war, als Susanne noch lebte. Gleich hinter der Haustüre befand sich das Bad und daneben führte eine Treppe ins Obergeschoss, wo Sabrina ihr Zimmer hatte und ein zweites Zimmer als Rumpelkammer benutzt wurde. Unter dem Treppenaufgang befand sich Gerhards kleines Büro, in dem er alte Akten und Bücher, die er nicht mehr benötigte abgestellt hatte. Auch ein kleiner Schreibtisch mit einem Computer befand sich darin, den er eigentlich nur selten nutzte, der aber für seine Enkelin ein willkommenes Gerät gegen Langeweile war. Sie beschäftigte sich oft damit, wenn sie bei ihrem Großvater zu Besuch war.
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