Walter Hauser - Hoffen auf Aufklärung

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Der Kristallhöhlenmord von Oberriet SG, bei dem zwei Mädchen auf einer Velotour verschwanden, die Entführung von Rebecca Bieri in Gettnau LU und der Fünffachmord von Seewen SO sind nicht nur ungelöst, sondern auch verjährt und können nicht mehr verfolgt werden. Walter Hauser recherchierte diese und weitere Morde vor Ort, sprach mit Zeugen, Angehörigen und Tatverdächtigen. Seine Schlussfolgerung lautet: Die in der Schweiz geltende Verjährungsfrist bei Mord von dreissig Jahren ist ungerecht und stossend. Während die Täter sich sicher fühlen können und nicht mehr fürchten müssen, zur Rechenschaft gezogen zu werden, leiden die Betroffenen weiter – bis an ihr Lebensende. Ziel der Ermittlungen viele Jahre nach dem Verbrechen kann nicht Bestrafung und Vergeltung sein, sondern Aufklärung und Wahrheitsfindung.

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Der Kristallhöhlenmord von Oberriet SG, bei dem zwei Mädchen auf einer Velotour verschwanden, die Entführung von Rebecca Bieri in Gettnau LU und der Fünffachmord von Seewen SO sind nicht nur ungelöst, sondern auch verjährt und können nicht mehr verfolgt werden. Walter Hauser recherchierte diese und weitere Morde vor Ort, sprach mit Zeugen, Angehörigen und Tatverdächtigen. Seine Schlussfolgerung lautet: Die in der Schweiz geltende Verjährungsfrist bei Mord von dreissig Jahren ist ungerecht und stossend. Während die Täter sich sicher fühlen können und nicht mehr fürchten müssen, zur Rechenschaft gezogen zu werden, leiden die Betroffenen weiter – bis an ihr Lebensende. Ziel der Ermittlungen viele Jahre nach dem Verbrechen kann nicht Bestrafung und Vergeltung sein, sondern Aufklärung und Wahrheitsfindung.

Walter Hauser geboren 1957 aufgewachsen im Kanton Glarus Dr iur - фото 1

Walter Hauser, geboren 1957, aufgewachsen im Kanton Glarus. Dr. iur., Ex-Kantonsrichter, langjähriger Redaktor u. a. bei der «Sonntagszeitung» und beim «Sonntagsblick». Hauser ist Gründer und Präsident der Anna-Göldi-Stiftung, die sich gegen Justiz- und Behördernwillkür engagiert. Im Limmat Verlag sind lieferbar: «Anna Göldi – Hinrichtung und Rehabilitierung», «Stadt in Flammen. Der Brand von Glarus im Jahre 1861», «Auswanderung ins Glück. Die Lebensgeschichte der Kathrin Engler» und «Bitterkeit und Tränen. Szenen der Auswanderung aus dem Tal der Linth und die Ausschaffung des heimatlosen Samuel Fässler nach Amerika».

Foto Sabine Wunderlin

Walter Hauser

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Hoffen auf

Aufklärung

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Ungelöste Morde in der Schweiz zwischen Verfolgung und Verjährung

Limmat Verlag

Zürich

Damit die Opfer nicht vergessen gehen –

Die Verjährung bei Mord abschaffen?

Gebannt sass ich vor dem Fernseher und verfolgte den Beitrag der Sendung «Aktenzeichen XY ungelöst» von Eduard Zimmermann zum Kristallhöhlenmord in Oberriet SG. Das Verbrechen geschah 1982, als ich Rechtswissenschaft studierte und als Freizeitjournalist über Kriminalfälle berichtete. Das Schicksal der beiden Mädchen, die damals während einer Velotour verschwanden und in Felslöchern tot aufgefunden wurden, wühlte mich auf. Ebenso der Fall der achtjährigen Rebecca Bieri, die in der luzernischen Tausend-Seelen-Gemeinde Gettnau entführt und ein halbes Jahr später in Niederbipp BE tot aufgefunden wurde.

Heute, 36 Jahre später, beschäftigen mich die Fälle aus meiner Studentenzeit in den siebziger und achtziger Jahren nach wie vor und lösen Betroffenheit aus. Denn sie sind mit schweren Schicksalen verbunden und bis heute ungeklärt. Umso mehr interessiert mich die Frage, wie die betroffenen Personen vor Ort mit der Last der ungeklärten Taten umgehen. Ich erkundete die Tatorte, bei der Kristallhöhle am Fuss des Alpsteingebietes, auf der Jurahochebene oberhalb Seewen SO, wo fünf Menschen in einem Wochenendhäuschen durch Schüsse aus nächster Nähe starben, und am Entführungsort von Rebecca Bieri auf dem Kühberg in Gettnau LU, sprach mit Angehörigen der Opfer, mit Zeitzeugen und mit Tatverdächtigen. Was bedeutet es für sie, wenn ein Mordfall nach so vielen Jahren ungelöst und verjährt ist?

Einzelne im Buch dargestellte Kapitalverbrechen sind auch jüngeren Datums, so etwa der Rätseltod von Ylenia im Jahr 2007 oder der Zoomord von Bad Ragaz im Jahr 2012 (im Buch mit «Mord im Heidiland» betitelt), ein Fall voller Irrungen und Wirrungen. Doch die meisten der im Buch dargestellten Morde sind nicht nur ungelöst, sondern auch verjährt und können strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden, bleiben somit für immer ungeklärt.

In der Schweiz tritt die Verjährung bei Mord nach dreissig Jahren, bei vorsätzlicher Tötung schon nach fünfzehn Jahren ein. Selbst wenn sich noch interessante neue Erkenntnisse ergeben, sind strafprozessuale Zwangsmassnahmen wie Verhaftung oder Hausdurchsuchung nicht mehr möglich, können Personen gegen ihren Willen nicht mehr befragt werden. Mögliche Beweismittel wie die Kleidungsstücke der Opfer werden für immer beseitigt.

Die Frage kommt immer wieder aufs politische Tapet: Soll die Verfolgbarkeit eines Tötungsdeliktes befristet werden? Des schwersten aller Verbrechen? Ist die heutige Verjährungsregelung bei Mord sinnvoll? Braucht es sie überhaupt? Nachdem schon frühere Anläufe für Gesetzesänderungen gescheitert waren, sprach sich der Nationalrat klar für die Beibehaltung der heutigen Verjährungsregelung aus. In einer Motion vom März 2016 hatte der Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer (57) ihre Aufhebung gefordert. Der Vorstoss wurde auf Antrag des Bundesrates abgelehnt.

Zwei Gründe führen die Verfechter der Verjährung ins Feld. Erstens lässt sich eine Tat mit der Zeit immer schwieriger nachweisen, und die Gefahr von Fehlurteilen wächst. Zweitens: Ausgehend vom christlichen Ideal des Verzeihens und Versöhnens nimmt der Gesetzgeber an, dass das Vergeltungsbedürfnis der Direktbetroffenen mit der Zeit in den Hintergrund rückt und dem Strafanspruch des Staates zeitliche Grenzen setzt. Konkret heisst dies: Die Zeit heilt Wunden, und selbst über schlimme Ereignisse wächst Gras.

Trotzdem nimmt die Kritik an der Verjährung zu. Auch gemässigte Politiker und Experten stellen die Regelung in Frage, einzelne von ihnen gehen mit der Verjährung scharf ins Gericht, so auch der Basler Bundesverwaltungsrichter Philippe Weissenberger (53). Wie der Jurist aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei (SP) in der «Weltwoche» vom 15. März 2018 schreibt, nimmt der Gesetzgeber zu Unrecht an, dass die Gesellschaft die Tat nach so vielen Jahren verarbeitet habe.

Gewaltdelikte könnten die Gesellschaft weit länger erschüttern. Weissenberger prophezeit zudem, dass es wegen der neuen kriminaltechnischen Fertigkeiten und Möglichkeiten immer wahrscheinlicher wird, dass Mordfälle noch Jahrzehnte nach der Tat aufgeklärt werden könnten.

Zu den Kritikern der Verjährung gehört auch der frühere leitende Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich, Andreas Brunner (69). In einem Beitrag der «Sonntagszeitung» vom 1. Oktober 2017 kommentierte er: «Die Verjährungsregelung schützt ausschliesslich Täter und nicht etwa die Opfer und deren Angehörige. Für Täter ist die Verjährung ein Gnadenakt der Gesellschaft. Entspricht diese Regelung dem Geist des 21. Jahrhunderts?»

Meine Recherchen zu diesem Thema und unzählige Gespräche mit betroffenen Personen, insbesondere auch zum «Kristallhöhlenmord», bestätigen diese Einschätzung der Kritiker. Sowohl die Verwandten der Opfer in Goldach als auch die Bewohner am Tatort in Kobelwald, Teil der Gemeinde Oberriet, haben das Verbrechen noch lange nicht vergessen. Die beschauliche Ortschaft Kobelwald kommt auch 36 Jahre nach dem Verbrechen nicht zur Ruhe, und bis heute entzünden sich dort immer wieder hitzige Diskussionen an der Frage: Wer hat die scheussliche Tat verübt und die Leichen der Mädchen im felsigen Gelände unterhalb der Kristallhöhle versteckt?

Augenscheine und Gespräche an anderen Handlungsorten von bekannten Mordfällen zeigen dasselbe Bild: Es ist eine Illusion zu glauben, dass dreissig Jahre nach einem Mord Normalität zurückkehrt und die Betroffenen zur Tagesordnung übergehen. Dies ist bei Diebstahl, Betrug oder einfacher Körperverletzung möglich, nicht aber bei Mord.

Kritiker der Verjährung empfinden es auch als ungerecht und stossend: Die Täter können sich nach Eintritt der Verjährung, spätestens nach dreissig Jahren, sicher fühlen und müssen nicht mehr fürchten, vom Staat zur Rechenschaft gezogen zu werden. Doch die Angehörigen der Opfer fühlen sich alleingelassen und leiden weiter – bis an ihr Lebensende.

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