„Warst du oder warst du nicht?“
„Na gut, ich war. Aber ich habe etwas herausgefunden.“
„Was denn?“
„Komm mit.“ Sie zog ihn an der Hand in sein Büro und zeigte auf den Bildschirm: „Da schau mal! Fällt dir da was auf?“ Gerhard sah auf den Schirm und sah, dass die Seite der Firma Schneider angezeigt wurde: „Was soll mir daran auffallen?“
„Das Foto! Schau dir mal das Foto an!“
„Was soll da sein?“
„Schau es dir genau an!“ Gerhard beugte sich zum Bildschirm und betrachtete das Foto genau. Da er nicht wusste, worauf Sabrina hinaus wollte, fiel ihm auch nichts auf: „Ich sehe nichts. Ich sehe nur die Geschäftsleitung. Was soll da Besonderes sein? Wir haben uns das doch heute schon mal angesehen.“
„Aber Opa, ich merke, du wirst alt. So etwas wäre dir früher nicht entgangen!“ Gerhard richtete sich auf: „Erst mal eins, mein Fräulein! Ich bin nicht alt und ob ich das früher gesehen hätte ..?“
„Pass auf Opa,“, begann sie betont geduldig: „Schau dir mal die Drei an. Was siehst du?“
„Ich sehe Paul, ich sehe Sandra und links von Sandra steht Marinus. Was soll da Besonderes sein?“
„Opa, brauchst du eine Brille?“
„Na nun rede schon, was ist da zu sehen, was ich nicht sehe?“
„Schau dir mal Sandra an. Wo sieht sie hin?“
„Das hatten wir doch schon, du glaubst, sie sieht Marinus verliebt an.“
„Das ist das eine, ja. Aber Opa, schau mal auf die Hände. Was fällt dir da auf?“ Gerhard sah erstaunt auf die Hand von Sandra. Sie hielt eine andere Hand fest. Aber nicht die von Paul! Nein! Das ist die Hand von Marinus! „Sie hält die Hand von Marinus! Kind! Das hast du großartig gemacht!“ Sabrina stellte sich stolz vor Gerhard und verschränkte beide Arme: „Siehst du Opa? Ich werde doch Polizistin!“
Gerhard wandte sich ab: „Das muss ich sofort Karl …“
„Das wirst du nicht Opa! Das reicht, wenn du es ihm morgen sagst!“ Gerhard wandte sich zu ihr um: „Warum denn das?“
„Wenn du jetzt Papa anrufst und ihm das sagst, dann ist er sofort wieder hier und bringt vielleicht auch noch Mama mit. Dann haben wir den Salat.“ Gerhard legte eine Hand ans Kinn: „Ich glaube, du hast recht, aber wenn nun tatsächlich Marinus und Sandra …“
„Unter einer Decke stecken? Das wolltest du doch sagen, oder?“
„Ja, wenn ich mir das alles so betrachte und überlege, könnte es durchaus sein, dass …“
„Die beiden hauen schon nicht ab, Opa. Die wissen ja nicht, dass wir beide, ich und du …“
„Du und ich heißt das.“
„Ja meinetwegen, also dass du und ich wissen, dass sie etwas miteinander haben.“
„Das ist schön, dass wir beide etwas wissen, aber ich weiß noch etwas.“
„Was? Hast du mir etwas was verheimlicht?“
„Nein, das müsstest du doch auch wissen. Schau mal auf die Uhr. Es ist Zeit zum Bettgehen.“
„Schon? Aber ich bin doch noch gar nicht müde.“
„Ich schon, ich schau mir noch die Nachrichten an und dann gehe ich auch ins Bett.“
„Kein Krimi? Schaust du heute keinen Krimi?“
„Ich glaube nicht, ich bin richtig müde.“ Gerhard gähnte betont laut und herzhaft. „Hör bitte auf, Opa. Das steckt an!“ Nun gähnte auch sie. Das war es, was Gerhard erreichen wollte: „Siehst du, du bist auch müde!“
„Das ist nur, weil du gegähnt hast. Sowas steckt an, sagt Mama immer.“
Gerhard sah sie streng an: „Jetzt ab ins Bad, die Zähne putzen und dann ab ins Bett.“ Sie sah ihn vorwurfsvoll an: „Ich dachte eigentlich, wir sind sowas wie Partner, Freunde oder so.“
„Sind wir doch auch.“
„Warum schickst du mich dann ins Bad?“
„Weil ich neben Partner und Freund auch dein Opa bin.“
Das schien sie zu überzeugen: „Gut Opa, dann gehe ich eben mal ins Bad.“
Es dauerte keine zwei Minuten, dann war sie wieder in der Küche: „Fertig!“
„Das gibt es nicht! Drei Minuten müssen Zähne geputzt werden und die sind längst nicht um.“
„Manno! Opa, du bist aber genau!“
„Muss ich auch sein, als dein Opa.“
„Gut, dann gehe ich jetzt nochmal ins Bad und putze die Zähne genau eine Minute lang.“
„Wieso das denn?“
„Zwei Minuten habe ich doch schon geputzt und zwei plus eins ist drei!“ Gerhard musste ob dieser Logik lachen: „Komm schon her, du bist mir vielleicht eine.“ Sie kam zu ihm und setzte sich auf seinen Schoß: „Das weiß ich Opa, aber du bist auch einer.“
„Wie sieht es mit Abendessen aus?“
„Das geht nicht, Opa. Erstens habe ich die Zähne schon geputzt und zweitens …“
„Zweitens?“
„Zweitens habe ich heute ein Stück Kuchen gegessen und da bin ich satt.“
„Nur ein Stück?“
„Naja vielleicht waren es auch zwei?“
„Oder drei?“ Sie lachten beide, aber dann wurde Gerhard ernst: „So Mädchen, genug gescherzt, jetzt geht’s aber ab ins Bett.“
Sabrina ging nach oben, wo sie ihr Zimmer hatte. Es war das frühere Kinderzimmer ihres Vaters, das ansonsten leer gestanden hätte. Susanne und Gerhard hatten zunächst vorgehabt, dieses Zimmer als Bügel- oder Nähzimmer einzurichten, entsannen sich aber eines besseren, als Karl heiratete und Sabrina bald danach zur Welt kam. Seit dieser Zeit war dieses Zimmer Sabrinas Zimmer. Es wurde nichts verändert darin, denn Sabrina hatte ihre eigenen Sachen, Kleider, Spielzeug und, das freute Gerhard sehr, eine ganze Menge Bücher. Gerhard begab sich ins Wohnzimmer und machte es sich auf der Couch bequem, nachdem er seinen Fernseher eingeschaltet hatte. Die Nachrichten waren wie alle Tage dasselbe. Katastrophenmeldungen, Politik, Sport und diesmal sogar etwas über den Liebesinselmord. So nannten ihn zumindest die Pressefritzen, wie Gerhard sie manchmal abfällig bezeichnete. Die Presse wusste augenscheinlich noch gar nichts, denn sie stellten die wildesten Vermutungen an. Da hieß es, dass wahrscheinlich oder vielleicht oder gar oder nicht alle möglichen Leute als Täter infrage kämen. Gerhard musste lächeln, bei dem Gedanken, dass seine Enkelin und er mehr wussten als alle anderen. Viel mehr sogar als Karl, der bei der Mordkommission war.
Langsam fielen Gerhard die Augen zu: „Sabrina, ja Sabrina ist ein liebes Mädchen, aufgeweckt und schlau. Sie hat auf alles eine Antwort und weiß viel. Was täte ich nur ohne sie? Aufpassen, aufpassen muss ich auf sie. Ich habe ja schließlich Verantwortung auch als Opa. Wie meinte sie? Freund und Partner? Ja das sind wir wohl. Freunde und Partner.“ Plötzlich weckte ihn ein schriller Schrei und er schreckte hoch: „Was war das? Was ist los? Sabrina! Das war Sabrina!“ Gerhard sprang auf, schlug sich das Knie am Tisch an, was ihn im Moment nicht weiter störte, denn es ging ja schließlich um seinen kleinen Liebling Sabrina. Schnell rannte er die Stufen hinauf zu ihrem Zimmer, riss die Türe auf und sah das Kind mit weit aufgerissenen Augen im Bett sitzen. Sie zeigte auf das Fenster: „Da ist er hinaus! Opa! Hilf mir! Marinus war hier und wollte mich umbringen!“ Gerhard schaute zum Fenster, das allerdings geschlossen war. Er setzte sich neben sie auf die Bettkante und nahm sie in den Arm: „Sei ruhig Kind, es ist ja nichts passiert. Schau mal das Fenster ist zu, da kann keiner rein oder raus. Du hast nur schlecht geträumt.“ Sie sah ihn mit ihren braunen Augen, in denen noch immer Tränen standen, an: „Wirklich? Opa, ist da wirklich keiner?“
„Nein, Sabrina da ist wirklich keiner.“ Sie klammerte sich an Gerhard fest und er spürte, wie sie zitterte: „Opa, bleibst du heute Nacht hier? Bleibst du bei mir? Ich hab solche Angst.“
Er strich ihr übers Haar: „Ja klar bleibe ich hier. Ich gehe nicht weg, ich lass dich nicht alleine. Ich muss doch auf meine Freundin und Partnerin aufpassen, damit ihr nichts passiert.“
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