Zu meinem Glück, mussten wir nicht einmal das Viertel der Gold- und Juwelenschmiede verlassen, um den Tuchmacher zu erreichen. Zumindest dachte ich das, ehe wir den Laden betraten. Dann ging mir auf, dass er ziemlich gut verdienen musste, um sich hier ein Geschäft leisten zu können.
Also waren die Stoffe vermutlich teuer. Und weil Jiang erwarten würde, dass ich bezahlte, mal wieder für mich.
In Gedanken hatte ich mich ohnehin schon von meinem Vermögen verabschiedet. Also konnte ich es ebenso gut auch ausgeben. Zumindest nahm ich mir vor, dafür zu sorgen, dass Jiang auch ein paar äußerst knappe Kleider bekam, nach Art der Rahzadi. Die Wüstenstadt Razad war berühmt für ihre leicht bekleideten Tänzerinnen.
„Willkommen in meinem bescheidenen Domizil.“, erklang es von irgendwo tiefer im Laden.
„Ich bin Sorin Lohrd. Der Besitzer.“, begrüßte uns ein kleiner, schlanker Mann mit braunen, geölten Haaren und einem ebensolchen Schnurrbart: „Wie kann ich Euch helfen?“
„Ich suche Stoffe für neue Kleider.“, antwortete Jiang mit einer kurzen Verneigung. „Dies ist mein Leibwächter. Er wird die Ware zurück zur Herberge tragen.“
„An was hattet ihr denn gedacht?“, fragte der Händler neugierig.
„Wieso zeigt ihr mir zunächst nicht, was hier in Kaltarra gerade besonders begehrt wird? Von dort können wir uns dann durch Euer Angebot arbeiten.“
„Wie Ihr wünscht. Folgt mir bitte. Euer Leibwächter kann es sich dort drüben in dem Sessel gemütlich machen.“
Ich folgte der Andeutung und nickte kurz. Wenigstens musste ich nicht die ganze Zeit herumstehen. Während Jiang dem Händler weiter in den Laden hinein folgte, hatte ich Zeit, mir das Geschäft gründlich anzusehen.
Es gab nur einen einzigen Raum, mit hoher Decke und winzigen Fenstern. Vergeblich suchte ich nach einem Kamin, doch ich fand nur Tonröhren, die überall zwischen den Regalen vom Boden bis zur Decke reichten und eine angenehme Wärme verbreiten. Das hier offenes Feuer fehl am Platz war, konnte ich durchaus verstehen.
Licht kam von vier Laternen, die von der Decke im Raum hingen und an allen Seiten Glasscheiben hatten. Wiederum sündhaft teuer. Ich fragte mich ob Lija, die Göttin der Lust und der Schönheit hier nicht Anstoß an der offensichtlichen Dekadenz nehmen würde.
In den Regalen lagen Ballen und Rollen von Tuchen der unterschiedlichsten Art und Färbung. Seide, Brokat, Baumwolle, Leinen und noch andere Stoffe, die ich weder kannte, noch wusste, wo sie gefertigt wurden.
Bisher war mir nicht klar gewesen, dass es derartig viele unterschiedliche Stoffe gab, und auch nicht so viele verschiedene Farben und Muster. Aber nachdem ich die anfängliche Neugier überwunden hatte, wurde es langweilig, denn viel mehr als die Erkenntnis darüber, dass ich nichts über Stoffe wusste, erfuhr ich hier nun wirklich nicht.
Außer dem Preis, den ich am Ende für die Ware, die Jiang ausgesucht hatte, bezahlen sollte natürlich.
Wie lange ich in dem Sessel saß, konnte ich nicht sagen. Irgendwann war ich wohl eingeschlafen, jedenfalls weckte mich das Geräusch einer hölzernen Sohle, die energisch auf den Boden tippte.
„Könntest Du nichtsnutziger Faulpelz wohl aufstehen und meine Einkäufe nach Hause tragen? Wofür habe ich Dich denn sonst mitgenommen.“, ertönte Jiangs schneidende Stimme.
Ich erhob mich ganz langsam, verneigte mich ganz kurz und blickte auf einen kleinen Berg Stoffe, die bereits sauber zu Bündeln verschnürt und in ölgetränktes Pergament zum Schutz vor Schnee und Kälte gehüllt waren.
„Gut. Da Du jetzt wach bist, können wir ja nun gehen.“, bemerkte sie spitz.
„Es war wirklich ein Vergnügen, mit Euch Geschäfte zu machen.“, verkündete der Händler vergnügt. Darüber war ich nicht sonderlich verwundert, schließlich hatte er gerade ein Vermögen verdient.
Wir machten uns auf den Weg zurück zur Herberge, wie ich dachte, doch Jiang bog kurz vorher ab und nahm einen anderen Weg.
„Wohin willst Du denn jetzt noch?“, wollte ich neugierig wissen. Die Pakete waren erstaunlich schwer und ich hatte keine große Lust, sie den halben Tag kreuz und quer durch die Stadt zu schleppen.
„Zu Meisterin Ulel natürlich, oder hast Du gedacht, ich nähe meine Kleider selbst?“, antwortete sie, als sei das eine total bescheuerte Frage gewesen.
Obwohl sie so viel kleiner war als ich, musste ich mich anstrengen, um mit ihr Schritt zu halten, so energisch glitt sie voran. Nach wie vor gab mir ihre Art sich zu bewegen, Rätsel auf.
Manchmal hatte ich den Eindruck, sie hatte gar keine Beine, sondern Räder. Sie sagte, sich so zu bewegen, sei am Hofe des Jadekaisers normal gewesen. Nur Fremde gingen wie kastrierte Ochsen. Damit meinte sie wohl mich. So konnte man erkennen, wer zum Hof gehörte und wer nicht.
Nun, das sollte mir nur Recht sein. Um so gehen zu können, musste man wohl entweder eine Frau, oder ein Eunuch sein.
Die Schneiderei von Meisterin Ulel war nur drei Querstraßen weiter. Es ging dort zu wie im Taubenschlag.
Ständig kamen oder gingen Boten und Dienerinnen ein und aus und brachten Stoffe oder transportierten die fertigen Kleider sauber verpackt von dort zu den Kunden.
Neben dem Haus, das drei Stockwerke besaß in denen es auf allen Seiten große Fenster gab, wurde gerade ein Karren mit Stoffresten beladen. Offensichtlich ein Lumpensammler, der die Reste zu einem Papierschöpfer bringen würde. Solch hochwertige Stoffe würden auch ein besonders gutes Papier bringen. Es wurde nichts verschwendet.
An einem großen schmiedeeisernen Zaun wurden wir von zwei bewaffneten Dienern aufgehalten und nach dem Grund unseres Besuches gefragt. Jiang erklärte unsere Anwesenheit und wir wurden sofort in ein komfortables Besprechungszimmer geführt, in dem es große in Leder gebundene Bücher mit Zeichnungen von unterschiedlichsten Kleidungsstücken gab.
Der Tisch in der Mitte bot ausreichend Platz, um Stoffproben und Muster auszulegen und die gewünschten Kleider zu besprechen.
Meisterin Ulel empfing uns persönlich und machte sich mit Jiang sofort daran, die mitgebrachten Stoffe zu begutachten. Dabei zeigte sich, dass Jiang einen ausgezeichneten Geschmack besitzen musste, denn die Schneidermeisterin war von der Auswahl und Farbgebung durchweg begeistert.
Immerhin bekamen wir also etwas für mein Geld. Ich hörte nur mit einem Ohr zu, bis schließlich die Kleider für mich an der Reihe waren.
„...und dieser ist für meinen Begleiter.“, sagte Jiang gerade.
Augenblicklich war meine Aufmerksamkeit auf die beiden Frauen gerichtet. Ich befürchtete, dass ich jetzt miterleben musste, wie ich in ein grauenhaftes Kostüm gezwängt wurde.
„Kommst Du bitte mal hier herüber?“, bat mich Jiang.
„Ja genau hier. Perfekt. Und jetzt bleib da stehen.“, dirigierte sie mich zwischen zwei Stühle. Ein passender Platz für mich. Der Gedanke drängte sich irgendwie auf und erheiterte mich, so dass ich angestrengt ein Grinsen unterdrücken musste.
Meisterin Ulel stieg auf den einen, Jiang auf den anderen. Sie drapierten die Stoffe um meinen Körper herum und besprachen Details wie Kragen, Ärmelaufschläge und Saumlänge.
Allerdings musste ich zugeben, dass mir die Stoffe, die sie ausgesucht hatte tatsächlich sehr gut gefielen.
Der erste war schwarz mit goldenen Stickereien, der zweite war schlicht in einem sehr dunklen Blau aber weich und sehr stabil. Der letzte schließlich war eher gewagt, wie ich fand, denn es war ein sehr helles, blasses Blau, dazu sollte ich aber meinen Gürtel mit den Wurfsternen tragen und ein Untergewand aus schwarzem Leinen, dass dem hellen Blau eine dunkle Färbung verpasste. Ich war neugierig darauf, wie das am Ende aussehen mochte.
Auch für meinen Sonderwunsch hatte Jiang Stoff gefunden. Oder vielmehr ein sehr feines Wildleder in einem satten Dunkelblau.
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