„Wenn ich euch hätte töten wollen, hätte ich auch einfach alleine verschwinden können. Ich habe nur zwei Hände und ohne die Handfessel hätte ich nicht drei, sondern nur zwei von euch mitnehmen können. Dann würden wir jetzt nicht streiten, sondern Du würdest dort draußen auf der Brücke liegen und Deinen Kameraden Gesellschaft leisten.“, gab ich ebenso wütend zurück: „Und jetzt nimm mir die bescheuerte Kette ab, ich werde mir einen der Schützen schnappen.“
„Unsere gesamte Wache hat es kaum geschafft, mehr als drei zu erlegen, wie willst Du da erfolgreich sein?“, wollte sie wissen und riss an der Kette.
„Mach sie ab Lissa.“, ging ihr unverletzter Kamerad dazwischen: „Soll er doch sein Glück versuchen. Immerhin hat er uns gerade das Leben gerettet.“
Mit diesen Worten reichte er mir meine Dolche und mein Schwert zurück. Lissa war zwar noch immer wütend, aber sie folgte dem Vorschlag ihres Kameraden und kette mich los. Wenn auch äußerst widerwillig. Der Soldat, der mir die Waffen gereicht hatte, zog seinen Bogen und legte einen Pfeil auf. Er hielt Ausschau nach den Knochenjägern, schoss jedoch nicht.
Noch immer drangen Schreie von überall her zu uns in den Tunnel. Im Hintergrund wurden Glocken geläutet und an allen Brückenaufgängen tauchten Trupps aus Soldaten auf. Ich musste mich beeilen, wenn ich einen der Schützen erwischen wollte, ehe sie verschwanden.
Geduckt tastete ich mich direkt an den Rand der Brücke vor. Dabei nutzte ich die Säule mit dem Keiler obendrauf als Deckung.
Irgendwo über mir musste ein Jäger stehen. Jedenfalls zuckten von dort immer wieder Pfeile auf die wehrlosen Ziele auf der Brücke. Den würde ich mich schnappen.
Ich rannte ein paar Schritte raus aus der Deckung des Tunnels und wandte mich dann um. Wie erwartet stand der Schütze nur zwei Ebenen höher auf dem Dach eines Hauses. Wieder öffnete ich die Kraftquelle in meinem Inneren, um durch ein Tor neben ihn zu gelangen.
Doch noch bevor ich genügend Energie gesammelt hatte, sah ich, wie er seinen Bogen auf mich richtete. Da ich die erschreckende Treffsicherheit bereits gesehen hatte, legte ich keinen besonderen Wert darauf, es am eigenen Leib zu erfahren. Ich änderte mein Ziel und nahm stattdessen ein Dach eine Ebene weiter unten, auf halbem Weg zwischen ihm und mir. Kaum war es offen, warf ich mich auch schon hindurch. Ich spürte ein kurzes Ziehen, dass mir neu war. Dann war ich auch schon am Zielort. Leider hatte ich mich ein wenig verschätzt, und so stand ich mit den Zehenspitzen auf der Dachkante, mit dem Rücken zum Abgrund gewandt. Der Rest von mir hing in der Luft. mit rudernden Armen gelang es mir gerade noch, das Gleichgewicht zu halten, dann stolperte ich vorwärts.
Das Dach, auf dem ich gelandet war, entpuppte sich als eine kleine quadratische Fläche deren hintere Kante direkt an den Fels der Nadel grenzte. Es gab eine Treppe, die an der Steinwand entlang nach unten führte. Nach oben kam ich nur kletternd.
Der Knochenjäger war nur eine Seillänge von mir entfernt. Schräg über mir. Aus der Nähe betrachtet, wirkte er noch abstoßender als vorher. Kaltes, grünes Licht leuchtete aus seinen Augen, blutige Fleischfetzen hingen von seinem Körper herab und Blut lief an ihm herunter. Der Geruch von Verwesung wehte zu mir herüber.
Er hatte mich noch nicht bemerkt, also beschloss ich, meinen Vorteil auszunutzen. Dieses Mal lenkte ich die arkanen Ströme in die Handfläche meiner linken Hand, so dass sich ein schwarz violettes Leuchten darum bildete. Krachend entlud sich der Blitz in seine linke Seite. Oder jedenfalls dachte ich das.
Einen Herzschlag, bevor ich ihn traf, sprang er einfach vorwärts in den Abgrund.
Ich machte zwei schnelle Schritte, um festzustellen, ob er wirklich nach unten gestürzt war. Zu meiner Überraschung stand er kaum fünf Mannslängen tiefer auf dem nächsten Dach. Als er mich erblickte, schoss er sofort. Nur weil ich mich rückwärts warf, entging ich dem Pfeil. Kaum war ich gelandet, rollte ich mich wieder nach vorne zum Rand des Dachs.
Ich sammelte dabei wieder Kraft für einen neuen Blitz. Als ich die Kante erreicht hatte, lugte ich vorsichtig nach unten und feuerte ohne zu zögern auf den Knochenjäger. Doch der rannte bereits das Dach entlang und so verfehlte ich ihn um Haaresbreite. Er sprang zum nächsten Dach, das dieses Mal zu einem Haus gehörte, das auf einer der Brücken stand. Mir war schleierhaft, wie es ihm gelungen war, den Sprung unbeschadet zu überstehen.
Ich öffnete ein Tor direkt zu der Stelle, an der der Schütze stand. Kaum war das Gefühl von Kälte und Druck vergangen, da schlug ich auch schon mit dem Schwert nach meinem Gegner. Leider warf dieser sich bereits rückwärts und so streifte ich nur seine knöcherne Rüstung.
Er fiel erneut. Dieses Mal landete er geschmeidig auf einer Brücke, eine Seillänge weiter unten. Soldaten von beiden Seiten stürmten sofort auf ihn zu, doch er legte ruhig einen Pfeil auf die Sehne und schoss einen davon nieder. Dann lief er leichtfüßig auf die andere Gruppe zu. Ich rannte von einem Dach zum nächsten, parallel zu dem Untoten. Er war unglaublich schnell, so dass ich Mühe hatte, ihm zu folgen.
Die Soldaten warteten in einer Reihe mit gezogenen Waffen auf den Angriff.
Kurz bevor der Bogenschütze sie erreichte, sprang er plötzlich auf die Brüstung und von dort mit einem gewaltigen Satz weiter auf eine schmale Holzbrücke, die sich weiter unten befand und im spitzen Winkel in eine andere Richtung davon führte. Ich konnte das hintere Ende der Holzkonstruktion gerade noch erkennen und beschloss, ihm zu folgen.
Ich öffnete ein neues Tor genau dorthin und hechtete hindurch. Damit stand ich ihm genau im Weg. Er hielt auf der Stelle an, riss den Bogen hoch und schoss - und hätte mich auch getroffen, wenn ich nicht damit gerechnet hätte und statt zu laufen gesprungen wäre. So tauchte ich mitten in einer Rolle vorwärts auf und der Pfeil streifte mich nur an der Schulter. Meine Schwertklinge zu einem geraden Stoß vorgestreckt, kam ich wieder auf die Füße. Der Jäger schob meine Waffe mit dem Bogen zur Seite und machte dann einen seitlichen Radschlag über den Rand der Brücke. Seine Gelenke knirschten und die Haut spannte sich unnatürlich über den Knochen. Blutspritzer landeten auf meiner Rüstung.
Ich blickte ihm hinterher und dieses Mal war der nächste Übergang nur knapp fünf Schritte unter mir. Spontan trat ich an den Rand und sprang hinterher. Ich kam hart auf und rollte mich sofort vorwärts ab.
Der Untote – denn nur darum konnte es sich handeln – war bereits zwei Dutzend Schritte wieder in Richtung der Nadel gerannt, doch auch dort befanden sich Soldaten, die mir eine Warnung zu brüllten. Ich ließ mich sofort fallen und fühlte noch zwei Bolzen knapp über mir vorbeizischen. Dann war ich wieder auf den Beinen und sprintete hinter dem Jäger her, der wie durch ein Wunder nicht worden war. Er schoss kurz auf einen der Soldaten, dann hechtete er über die Brüstung.
Fluchend sahen ihm die Soldaten nach. Ich folgte ihren Blicken und entdeckte ihn zwei Seillängen weiter unten auf dem Dach eines Brückenhauses, wie er gerade wieder einen Pfeil in meine Richtung abschoss. Statt mich fallen zu lassen, sprang ich kurzerhand hinterher.
Im Fallen öffnete ich mich meiner Quelle und ließ ein Tor direkt neben ihm entstehen. Während der Pfeil mich passierte, streckte ich die Klinge vor mir aus. Zwei Mannslängen ehe ich auf dem Pflasterstein der Brücke aufschlug, konnte ich den Schritt durch das arkane Tor machen. Ich stolperte mit Schwung hindurch und krachte mit meinem gesamten Körpergewicht, das Schwert voran in den Knochenjäger. Ich spürte, wie die Klinge in seinen Körper drang. Die Haut zerriss wie nasses Pergament.
Dabei wurde er rückwärts geschleudert, während ich hinter ihm her stolperte. Beinahe wurde mir bei seinem Sturz das Schwert aus der Hand gerissen. Ich konnte es gerade noch festhalten. Die Verletzung blutete kaum, dafür traf mich eine Welle aus Verwesungsgestank.
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