„Und auf WAS genießt Du die Aussicht?“, wollte der Mann genervt wissen.
„Die Brücken und den Fluss natürlich. Was sonst?“, erwiderte ich leicht amüsiert.
„Findest Du das lustig? Es gibt nämlich Spaßvögel, die gerne Dinge von einer Brücke werfen. Besonders Fremde wie Du.“, sagte er ärgerlich.
„Ich habe aber nichts hinunter geworfen. Und auch nicht hinunter gespuckt, falls das Eure nächste Frage sein sollte.“, antwortete ich säuerlich. Allmählich gingen mir seine Fragen auf die Nerven.
„Ach, und jetzt wird er auch noch frech.“
Er sagte das, zu seinen Kameraden gewandt, die plötzlich alle böse aussehende Knüppel in den Händen hielten. Dazu besaßen sie Schilde und kurze Bögen mit dazu passenden Pfeilköchern.
„Scheint so, als müssten wir ihn zum Verhör mitnehmen. Er hat sich eindeutig verdächtig verhalten.“, fuhr er fort, wobei er mich völlig ignorierte.
„Tatsächlich? Ich genieße friedlich die Aussicht und ihr stört mich dabei, statt etwas Nützliches zu tun und die Knochenjäger zu fangen.“, entgegnete ich jetzt wirklich genervt. Aber noch während ich den Satz aussprach, ging mir auf, dass das nicht unbedingt das Klügste gewesen sein mochte.
Die grimmigen Mienen der Männer und Frauen in der Patrouille verrieten mir, dass ich mit der Einschätzung richtig lag.
„Das hat mir noch gefehlt. Ein Großmaul, das glaubt, besser zu wissen, wie wir unsere Arbeit zu machen haben.“
Ich seufzte innerlich. Natürlich, ich konnte mein loses Mundwerk ja auch nicht einfach mal im Zaum halten.
„Na dann wollen wir mal. Nehmt ihn mit. Wir befragen ihn in der Kaserne.“
Zwei der Wachleute traten vor und streckten ihre Hände nach mir aus.
Aus Reflex erhob ich mich zu meiner vollen Größe und meine Hand lag schneller an der Stelle, an der sich sonst mein Schwertgriff befand, als ich mich selbst daran hindern konnte.
Sie bemerkten die Geste sehr wohl.
„Ha! Widerstand leisten bringt Dir Kerker ein. Ihr habt es alle gesehen. Er hat nach seinem Schwert gegriffen.“, bemerkte der Korporal.
Jetzt war ich in ernsten Schwierigkeiten. Ich hatte zwar nicht wirklich die Hand an die Waffe gelegt, die tatsächlich über meine Schulter ragte, aber an den meisten Orten reichte die Absicht, danach zu greifen, um mit Kerker oder Zwangsarbeit bestraft zu werden. Ich wusste auch nicht, was ich mir dabei gedacht hatte. Vermutlich hatten mich die letzten Tage etwas nervös gemacht.
Ich zwang mich die Hand wieder sinken zu lassen und ruhig stehen zu bleiben: „Ich hatte nicht beabsichtigt, jemandem zu drohen. Die letzten zehn Tage musste ich ständig um mein Leben kämpfen und bin erst gestern hier angekommen. Es war nur ein Reflex, nichts weiter.“, versuchte ich die Situation noch zu retten.
„Daran hättest Du vorher denken sollen. Jetzt ist es dafür zu spät. Wir nehmen Dich mit. Vielleicht hat der Wachhabende ja Verständnis dafür. Abführen!“, befahl der Korporal.
Da war wohl nichts mehr zu machen. Ergeben ließ ich mir die Waffen abnehmen, und war erneut dankbar für den Gürtel mit den Wurfsternen, die nur wie aufwändige Verzierungen wirkten und nicht den Eindruck von Waffen machten.
Einer der Soldaten trat vor, um meine Hände in eiserne Fesseln zu legen, damit ich nicht doch noch beschloss, Dummheiten zu machen. Eine Schelle hatte er gerade geschlossen, da traf mich plötzlich ein Schwall warmer Flüssigkeit im Gesicht.
Erst war ich nur überrascht, doch dann blickte ich in das ungläubige Gesicht des Soldaten und auf den Pfeil, der aus seinem Mund ragte. Röchelnd brach er zusammen.
Einen Herzschlag später erklangen plötzlich von überall her Schreie. Panik breitete sich wie eine Woge über die Brücke aus. Menschen liefen kopflos umher und suchten Deckung hinter den Geländern. Doch die Pfeile fanden sie mit erschreckender Genauigkeit.
Hektisch sah ich mich in alle Richtungen um. Für den Moment schenkte mir keiner der Soldaten Beachtung. Einer beugte sich zu seinem getroffenen Kameraden hinunter, um zu sehen, ob er noch zu retten war, die anderen hatten ihre Schilde gehoben und sahen sich ebenso wie ich nach den Schützen um.
Ich erblickte auf Anhieb erst drei dann fünf der bleich gekleideten Gestalten auf den Dächern der Häuser auf beiden Seiten der Brücke. Und wir standen genau in der Mitte.
Dieses Mal hatte ich die Chance, einen genaueren Blick auf sie zu werfen. Angewidert erkannte ich, dass sie nicht bleich gekleidet waren, sondern dass das, was ich für Kleidung gehalten hatte, in Wahrheit Haut war, die straff über ihre skelettartigen Körper gespannt war.
Pfeile zischten heran und ein weiterer Soldat wurde getroffen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht brach er zusammen. Der Pfeil ragte aus seiner rechten Schulter.
Wenn wir nicht schnellstens hier verschwanden, waren wir alle so gut wie tot. Von der offenen Brücke würden wir es rennend nie in Sicherheit schaffen. Die Bogenschützen würden uns einen nach dem anderen mit Pfeilen spicken, ehe wir auch nur die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten.
„Was tun wir jetzt?“, wollte einer der Männer verängstigt wissen. Seine Stimme verriet mir, dass er kurz vor einer Panik stand.
Der Korporal sah sich nach allen Seiten um: „Wir schaffen es nie von der Brücke runter.“
„Hier bleiben können wir aber auch nicht.“, jammerte einer der Soldaten.
„Sie werden uns alle tö....arrrgh.“, weiter kam er nicht, dann durchbohrte ein Pfeil seinen Hals. Er hustete noch ein paar Mal, dann lag er still.
Ich traf die Entscheidung ohne groß darüber nachzudenken. Ich packte einen von den Männern und seine Kameradin daneben und schubste sie zu dem Verwundeten.
Ich legte einem die noch offene Handschelle um das Handgelenk, dann griff ich die anderen beiden so gut es ging mit meinen Händen und sog arkane Kraft aus der Quelle in meinem Inneren.
Energie durchströmte mich von Kopf bis Fuß. In Gedanken stellte ich mir einen offenen Torbogen vor, auf dessen anderer Seite der Eingang zur Nadel lag. Ich stellte mir vor, wie ich zusammen mit den Dreien hindurch schritt. Kälte, Druck und unbeschreibliche Dunkelheit stürzten auf mich ein. Ich hatte kurz das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen, spürte, wie ich in die Länge gezogen wurde wie ein Stück Teig. Meine Arme fühlten sich an, als würden sie gleich ausgekugelt, aber ich ließ die drei nicht los, denn aus Erfahrung wusste ich, wenn ich sie nicht festhalten konnte, waren sie in der Zwischenwelt verloren, durch die es mir möglich war, die beiden Orte miteinander zu verbinden.
Kaum hatte ich den Gedanken beendet, waren wir auch schon im Tunnel. Der verletzte Soldat stöhnte, sein Kamerad übergab sich, nur die Soldatin, deren Hand ich mit der Schelle an mich gefesselt hatte, lehnte sich schwer an die Wand, schien aber ansonsten unversehrt.
„Wie? Was? Wie habt ihr das gemacht?“, brachte sie schließlich hervor.
„Zauberei.“, gab ich zurück. Und wie. es hatte mich einiges an Kraft gekostet, die drei mit mir zusammen durch das Portal zu bringen.
„Aber ich habe Dich gar keine Formel oder einen Stab benutzen sehen.“, widersprach sie.
„Und, wie gut kennst Du Dich damit aus? Es gibt noch viele andere Formen der Magie. Nur weil Du sie nicht kennst, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt.“
„Dann geh sofort zurück und hol den Korporal!“, verlangte die Soldatin.
Ich wandte mich um und blickte in Richtung Brücke. Doch noch ehe ich etwas dazu sagen konnte, geschweige denn genügend Kraft sammeln, um mich zu ihm zu bringen, zuckte er von zwei Pfeilen getroffen und brach über den beiden Leichen zusammen.
Wütend fuhr mich die Soldatin an: „Du hast ihn mit Absicht zurückgelassen! Wir wollten Dich festnehmen, und da hast Du die Gelegenheit genutzt und ihn auf der Brücke gelassen. Du hast ihn genauso sicher getötet, wie die Pfeile.“
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