Also ließ ich das Schwert an die Wand gelehnt stehen und legte nur den Gürtel mit den Wurfsternen an. Über das Messer im Stiefel dachte ich nicht weiter nach. Kurze Klingen wie diese galten auch in adligen Kreisen nicht als Waffe, sondern lediglich als Werkzeug oder Essbesteck.
Gut, meins könnte man in den Händen eines Menschen auch als Kurzschwert betrachten, aber das war mir ziemlich egal.
Ich fand meine Erscheinung insgesamt durchaus zivil.
Mein Magen knurrte wieder unruhig und veranlasste mich dazu, meine morgendliche Hygiene zu beenden. Ich verschloss mein Zimmer hinter mir ehe ich durch das Treppenhaus das Esszimmer betrat. Dort wartete ein gedeckter Tisch auf mich mit heißem Tee, frischem Brot und einer Platte voll Käse, kaltem Braten und eingelegtem Obst. Ich schmierte reichlich weiche Butter auf eine dicke Scheibe Brot und belegte es anschließend abwechselnd mit Braten und Käse.
Dabei nutzte ich die Aussicht auf den Innenhof der Herberge. Im Gegensatz zu dem Raum, in dem wir gestern Abend gesessen hatten, hatte dieser hier Fenster. Ein Kamin verbreitete angenehme Wärme im ganzen Raum, so dass ich mich statt dort, neben das Fenster gesetzt hatte, das in einem Anflug von unverschämtem Luxus tatsächlich Glasscheiben besaß, so dass man nach draußen blicken konnte, ohne den frostigen Biss des Winters zu spüren. Unsere Zimmer hatten zwar ebenfalls Fenster gehabt, aber diese waren mit geöltem Pergament und schweren Läden verschlossen.
Um von dort einen Blick in den Innenhof zu werfen, hätte ich sowohl das Pergament, als auch die Läden öffnen müssen. Leider wäre dann auch die Kälte hereingekommen.
Hier, am warmen Kamin und hinter den gläsernen Scheiben, konnte ich bequem dem Treiben der der Bediensteten der Herberge folgen. Sollte ich jemals ein Haus besitzen, musste es auf jeden Fall auch solche Fenster haben.
Eine Weile beobachtete ich sie, wie sie die Tiere fütterten, den Hof fegten oder Brennholz aus einem Schuppen holten.
Schließlich war ich satt und hatte auch genug gesehen. Ich machte mich auf den Weg zurück zu meinem Zimmer, da die anderen noch immer nicht aufgetaucht waren.
Ich beschloss, die Gelegenheit zu nutzen, um alleine in die Stadt zu gehen. Dazu legte ich auch wieder meine Rüstung an. Mir war egal, dass ich in der Herberge keine Waffen tragen sollte, in die Stadt würde ich mich nicht unbewaffnet und ohne Schutz bewegen. Allerdings ließ ich Helm und Schild zu Hause, da ich nicht vorhatte, in den Kampf zu ziehen. Das Schwert wanderte samt Scheide in eine Halterung auf meinen Rücken. Dazu musste ich die Gurte nur anders verbinden. So behinderte es mich nicht bei meinem Gang durch die Stadt. Das erledigt, schrieb ich eine kurze Notiz für die anderen und schob sie Anaya unter der Tür durch.
Dann marschierte ich die Treppe hinunter und hinaus in den Hof. Da ich Shadarr spüren konnte, musste ich nicht lange nach ihm suchen. Zielstrebig betrat ich seine Unterkunft. Er lag auf einem Berg aus weichem Stroh. Vor ihm befanden sich noch die Reste einer Kuh, die er wohl zum Frühstück verspeist hatte. Es roch nach frischem Blut.
Alles in Ordnung?, wollte ich von ihm wissen.
Shadarr satt, Milchhuf lecker.
Ich bin unterwegs. Tu mir bitte den Gefallen und lass Dich nicht sehen. Ich kann gut auf Ärger verzichten.
Shadarr guter Jäger. Shadarr wird nicht gesehen.
Trotzdem, ich möchte keine Schwierigkeiten.
Shadarr erteilte widerwillig seine Zustimmung. Dahingehend beruhigt, verließ ich ihn und machte mich auf den Weg in die Stadt.
Es war kalt, aber sonnig. Und ich genoss es, einfach ziellos zwischen den Häusern hindurch zu streifen. So lange ich noch unter dem riesigen Vorsprung umher ging, lag praktisch nirgendwo Schnee, erst als ich mich der Nadel näherte, und somit darunter hervor kam, änderte sich das.
Es dauerte ziemlich lange, bis ich ein Tor aus dem Viertel der Reichen gefunden hatte. Unterwegs wurde ich zweimal von Patrouillen der Stadtwache angehalten. Sie waren misstrauisch, da ich nicht wie einer der Bewohner aussah. Ich erläuterte ihnen meine Anwesenheit und zeigte ihnen den Siegelstein des Gasthauses.
Daraufhin ließen sie mich durch und ich konnte meinen Weg fortsetzen. Am Eingang zum Viertel wurde ich ein weiteres Mal aufgehalten. Es war ein anderes Tor als am Abend zuvor, daher brauchte ich auch hier den Stein aus dem Gasthof.
Erst als ich es passierte und durch die Straßen Kaltarras zog, wurde mir bewusst, dass es erst kurz nach Sonnenaufgang sein konnte. Es waren bislang kaum Menschen unterwegs. Kein Wunder also, dass die Anderen noch schliefen.
Allerdings traf ich an jeder größeren Kreuzung und auch zwischendurch auf Soldaten. Keine Mitglieder der Stadtwache, sondern richtige Soldaten der Armee von Kalteon. Sichtbares Zeichen, dass sich das Land im Krieg befand. Sie beachteten mich nicht mehr, als alle anderen, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass sie auf etwas Bestimmtes warteten. Vermutlich auf das erneute Auftauchen der Knochenjäger, sagte ich mir und beschloss mich davon heute nicht weiter stören zu lassen.
Schließlich betrat ich eine Brücke hinüber zur Nadel, weil ich noch mal zu den Schmieden wollte, an denen wir am Abend zuvor vorbeigekommen waren. Die Orientierung innerhalb der Nadel war nicht halb so schwierig, wie im Rest der Stadt. Zudem konnte ich dem Lärm und dem Geruch von glühendem Eisen und Kohle folgen.
Schnell tauchte ich aus einem Treppenhaus zwischen den Schmieden auf, in denen auch zu dieser frühen Zeit bereits fleißig gearbeitet wurde. Ich besah mir die Werkstücke und konnte ein Übermaß an Waffen oder Rüstungsteilen ausmachen. Hier spätestens konnte man den Eindruck von Kriegsvorbereitungen nicht länger übersehen.
Zunächst beachtete mich niemand. Alle waren mit ihren verschiedenen Aufgaben vollauf beschäftigt. Statt mich bemerkbar zu machen, schlenderte ich eine Weile von einer Werkstatt zur nächsten und sah ihnen bei der Arbeit zu. Erst als ich mich näher mit ihren Erzeugnissen befasste, kam schließlich einer der Schmiede auf mich zu. Wie für seinen Beruf typisch hatte er ein breites Kreuz und gewaltige Muskelpakete an den Armen. Der Mann war insgesamt eher klein und Oberkörper und Beine schienen irgendwie nicht richtig zusammen zu passen. Er war fast kahlköpfig und hatte eine Menge Narben auf Armen, Brust und Kopf, die vermutlich von glühenden Metallsplittern stammten, die beim Schmieden unweigerlich durch die Luft flogen.
„Tut mir leid, aber die Ware ist nicht zum Verkauf bestimmt. Per Dekret hat der König verfügt, dass alle Schmiede Waffen und Rüstungen für die Armee fertigen müssen.“, erklärte er mir mit rauer Stimme.
„Auch wenn ich bereits für das Land gekämpft habe und nur eine neue Waffe möchte?“, fragte ich ihn bedauernd.
„Möglicherweise kann ich etwas Zeit erübrigen. An was habt Ihr denn gedacht und was könnt ihr dafür zahlen?“, wollte er wissen: „Ich bin Meister Dolban.“
„Drakkan Vael aus dem hohen Norden.“, stellte ich mich vor: „Ich habe bei den Soldaten aus Morak eine interessante Variante Morgensterne gesehen, und frage mich, ob Du wohl einen solchen für mich fertigen könntest.“, erwiderte ich.
„Du hast mit den Hunden aus Morak gekämpft? Wo?“
„Den ganzen Weg vom südlichen Tor im Osten bis zur Bergfeste.“, gab ich zurück.
„Dann bist Du wahrlich ein großer Krieger oder ein großer Aufschneider.“, kommentierte er meine Behauptung.
Dabei musterte er mich von Kopf bis Fuß, als ob er so darüber entscheiden könnte, was von beiden ich war. Angesichts der Tatsache, dass ich ihn um mehr als zwei Ellen überragte wirkte seine Musterung sehr erheiternd auf mich.
„Ich kann Dir versichern, dass ich die Geschichte nicht erfunden habe. Kannst Du nun für mich tun, was ich verlange, oder soll ich mir einen anderen Schmied suchen?“, wollte ich ungeduldig wissen.
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