Moluh beobachtete Johar genau. „Was ist los?” fragte er fast unhörbar auf UniKaL. Ihm war es nicht entgangen, dass Ahmad mehrmals tief luftholen und schlucken musste.
„Warendula!”, kam es genau so leise zurück. „Wenige Wochen vor dem Untergang dieser Welt hatten sich die Mächtigen dort fast genauso verhalten. Ohne Einsicht, rechthaberisch, zerstritten, nur auf die eigenen Interessen bedacht.”
„Wir können jederzeit gehen. Ihr müsst das nicht noch einmal mit machen!”
Johar schüttelte beinahe unmerklich den Kopf.
„Ich muss einfach versuchen, diese verfahrene Situation hier jetzt auf eine andere Spur zu bringen.”
Ein Gongschlag ertönte. Lu erhob sich. Das Gemurmel innerhalb der Delegationen verstummte.
„Ich hoffe, dass in die zuletzt sehr festgefahrenen Konsultationen jetzt nach zweitägiger Pause wieder mehr Bewegung kommt. Zudem es mir auch eine Ehre ist, zwei afrikanische Vertreter willkommen zu heissen, die einen großen Anteil der irdischen Bevölkerung repräsentieren.”
Moluh spürte sofort an den auf sie zu gewandten Blicken die Geringschätzung, die ihnen gegenüber entgegen gebracht wurde. Im Flüsterton hervorgebrachte Äußerungen wie:
„Was wollen die armen Schlucker denn hier?”,
„Da gibt’s doch eh nur Korruption und Misswirtschaft!”,
„Die brauchen wohl wieder Almosen - wollen nur wieder betteln!”,
„Endlich wieder neue Rohstoffe!”,
„Sie haben wohl gemerkt, dass sie nicht ohne uns können!”,
riefen bei Moluh und Johar nur ein fast unmerkliches Kopfschütteln hervor - Moluh war völlig frustriert.
„Ich denke, dass beide Seiten doch aufeinander zu gehen sollten. Es ist doch viel verständiger, wenn die USA und China es nicht auf eine militärische Konfrontation im Südchinesischen Meer und Indischen Ozean ankommen lassen”, erklärte der EU-Ratspräsident.
„Damit wir erneut - wie schon im 19. und 20 Jahrhundert - von ausländischen Mächten gedemütigt werden? Das Reich der Mitte war über tausende von Jahren immer schon der Herrscher über Südostasien und die angrenzenden Meere. Warum sollen wir uns dann von anderen politischen Emporkömmlingen etwas vorschreiben lassen?”, erklärte der chinesische Staatspräsident.
„Ihr plündert doch den Nahen und Mittleren Osten im Moment gnadenlos aus. Die Staaten werden dort von euch mit allen Mitteln gefügig gemacht”, warf der amerikanische Wirtschaftsminister ein.
„Wenn ich mich recht entsinne, hat der US-amerikanische Imperialismus seit den Dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts ungefähr 90 Prozent des arabischen Öls unter seine Kontrolle gebracht und sinnlos vergeudet - insbesondere durch eine Unzahl von Kriegen und hemmungslosen Hegemonismus. Wir hingegen entwickeln die Länder dort - errichten Kindergärten, Schulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen. Modernisieren die medizinische Versorgung und die Infrastruktur. Wir tun endlich auch was für die einfache Bevölkerung. Und vergeuden nichts für die Pfründen der Mächtigen.”
„Das geschah doch im gegenseitigen Einvernehmen. Wir heben doch schon viel früher dorr den Lebensstandard drastisch erhöht. Die Kameltreiber haben dank unseren selbstlosen Bemühungen jetzt endlich mal eine zivilisatorische Grundausstattung”, warf US-Präsidentin Nilap ein.
Wütende Proteste und sogar Flüche erfolgten von arabischer Seite.
„Ihr und eure israelischen Freunde habt uns doch jahrzehntelang nur als Untermenschen behandelt. Von den Chinesen werden wir als seriöse Geschäftspartner respektiert. Und sie tun alles, um die arabischen Staaten zu entwickeln.”
„Alles nur dumme Propaganda. Ihr begebt euch doch in die nächste Abhängigkeit!”, giftete der Vertreter Deutschlands zurück.
„Wir sollten wieder nach Afrika gehen. Dort kann man doch mühelos die einzelnen Machtcliquen gegeneinander ausspielen. Das hat doch jahrzehntelang prächtig funktioniert! Wieso haben wir eigentlich alle vor 30 Jahren den Kontinent widerstandslos aufgegeben? Bemächtigen wir uns doch wieder dem immensen Rohstoffreichtum!” Nilap war höchst euphorisch ob dieser Aussichten.
Alle Augen waren auf Johar und Moluh gerichtet.
Johar sagte erst einmal nichts. Diese Politiker - nichts hatten sie dazugelernt.
„Wir sind bereit zu verhandeln”, setzte ein russischer Regierungsvertreter nach.
„Ihr werdet alle mit leeren Händen da stehen!”, sagte Johar mit eisiger Kälte in seiner Stimme. „Denn wir kommen nicht als Bittsteller. Wir sind es, die uns Sorgen machen um den weiteren Weg, den diese Welt beschreiten wird. Braucht ihr alle nicht vielleicht unsere Hilfe, um aus dieser Sackgasse heraus zu finden?”
„Pah!”, entgegnete der russische Aussenminister und spukte verächtlich auf den Boden. „Was habt ihr denn schon zu bieten - vielleicht Flüchtlinge? Krankheiten? Korruption? Ich werde mir so einen Unsinn nicht anhören.”
Er wandte sich seinem chinesischen Kollegen zu. „Wo waren wir stehen geblieben?”
„Ich bin noch nicht fertig!”, fuhr Johar dazwischen. „Zu meinem großen Bedauern muss ich fest stellen, dass die hier Anwesenden scheinbar nichts von einer technologischen Zusammenarbeit mit uns wissen wollen. Dass wir es innerhalb von 33 Jahren geschafft haben, alle drängenden Probleme in den Entwicklungsländern zu lösen.”
„Was wollt ihr uns denn bieten? Hochtechnologie? Waffen? Das ist unmöglich!”
„Wir alle haben keine Zeit, uns mir euren banalen Problemen zu befassen. wir sind nur an Rohstoffen interessiert. Nicht an den Märkten - denn ohne Kaufkraft kein Markt, und schon gar nicht an irgendwelcher primitiven Hottentottentechnologie...”
„Johar, spart Euch ganz einfach die Mühe!” Moluh blickte in die Runde. „Ihr alle seid es nicht wert, dass man mit Euch kooperiert, mit Euch ins Gespräch kommt. So ein borniertes Verhalten! Es scheint wirklich niemanden zu interessieren, dass wir bemerkenswerte Fortschritte auf allen Gebieten gemacht haben. Dass es keine Armut mehr gibt und Kriege inzwischen unbekannt sind.”
„Haltet doch einfach den Mund. Wenn ihr nichts wirklich Vorzeigbares zu bieten habt, was die fortschrittlichen Nationen interessiert, ist es besser für euch arme Schlucker zu gehen.”
„Ihr braucht euch hier nie wieder blicken zu lassen. Ihr seid einfach nur unnütz.”
„Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir diesen Planeten inzwischen zu großen Teilen beherrschen. Denn es ist Ihnen in den letzten Jahren nie gelungen, uns zu enttarnen.”
„Dafür ist uns jeder Cent zu schade. Und unsere Prospektoren haben in diesem Armenhaus nichts mehr Verwertbares gefunden. Schert Euch einfach nur zum Teufel!”
Johar und Moluh erhoben sich von ihren Plätzen und verließen wortlos den Raum.
Kurz bevor sie das Gebäude verließen, wurden sie vom Generalsekretär noch eingeholt.
„Seien Sie vorsichtig. Palin hat die CIA auf Sie angesetzt. Das bedeutet nichts Gutes. Erpressung? Entführung?”
Er blickte Johar scharf an.
„Ich erkenne Euch wieder. Sie waren mal Ausbilder in Deutschland, haben sich sehr menschlich gegenüber uns Chinesen verhalten. Dafür danke ich Ihnen aus ganzem Herzen.”
Er umarmte Johar, dann Moluh.
„Stimmt das mit den unglaublichen Fortschritten auch wirklich?”
„Sie können sich ja selbst davon überzeugen. Aber Sie müssten dann jetzt mitkommen. Eine zweite Chance wird sich Ihnen nicht bieten!”
„Aber ich werde dann sofort meinen Job los, wenn ich jetzt mit Ihnen einfach so verschwinde.”
„Der Untergang dieser Welt ist nicht mehr fern!” sagte Moluh zu Lu ohne irgend eine Spur von Zweifel in seiner Stimme.
„Ist es wirklich so schlimm?”
Johar nickte.
Lu zögerte einen Moment, dann: „Ich komme mit. Für einige wenige Stunden wird man mich nicht vermissen. Sind wir bis dahin in Sicherheit?”
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