1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Seit einigen Jahren wird das Ideal der superflexiblen Persönlichkeit propagiert, was auch da-mit zu tun hat, dass Journalisten und Manager sich aufgrund ihrer eigenen Tätigkeit damit auseinandersetzen müssen. Als Publizist, Dozent und Strategieberater habe ich selbst entsprechende Erfahrungen, was es in der Praxis heißt, mehrere unterschiedliche Anforderungsprofile parallel erfolgreich zu bedienen. Das Risiko ist allerdings relativ hoch, zu scheitern, wenn man nicht sehr viel Einsatz mitbringt, nicht außerordentlich gut organisiert ist und nicht auch noch zusätzlich das Glück hat, auf gleich gesinnte Förderer zu treffen. Beispielsweise auf Verleger, Lektoren, Professoren, Unternehmer – eben auf Entscheider, die bereit sind, Verträge zu unterschreiben, weil an eine geldwerte Leistung glauben. Und, wenn ich so darüber nachdenke, die Durchsetzungsbereitschaft in Konfliktsituationen sollte ebenfalls vorhanden sein. Was man heute Coolness nennt, ist sicherlich notwendig. Man braucht wirklich ein extrem gutes Nervenkostüm, wenn man mehrere unterschiedliche Bälle ohne Absturz länger in der Luft behalten will.
Was sind typische Karriereverläufe von heute?
Gegenüber dem seit Ende des 18. Jahrhunderts hierarchisch-pyramidal aufgebauten Beamten-tum, das unsere Vorstellung von Karriere als Sprossenleiter geprägt hat, also den Karren auf einem vorgespurten Weg, so zu sagen einer Laufbahn, zu fahren, sind bunte Erwerbsbiografien heute eher an der Tagesordnung. Doch wir müssen differenzieren. Was in den USA, in Großbritannien, in Skandinavien oder den Niederlanden ein Vorteil ist, kann in Frankreich, Deutschland, Spanien oder Italien eher ein Nachteil für die Karriere sein.
Ich selbst habe keine Probleme mit Leuten, die eine exotische Vita haben. Brüche in Lebensläufen sind für mich kein Negativum, wenn die Persönlichkeit zu der gewachsenen Unternehmenskultur passt. Diskontinuierliche Karrieren können schließlich auf viel Eigeninitiative, gute Auffassungsgabe und Organisationsfähigkeit hinweisen. Allerdings warne ich davor, die ständige Motivation auf etwas Neues zu übertreiben und die damit oft verbundene Belastung zu unterschätzen. Mir ist sehr bewusst, dass diejenigen, die es sich wegen ihrer finanziellen Ausstattung leisten können, ihre Wunschvorstellungen zu realisieren, leicht reden haben. Selbst wer heute als Akademiker auf Jobsuche ist, hat es mitunter schwer, seinen Karriere-Entwurf ohne Korrekturen und Verzichtphasen umzusetzen.
Für Ihre Identität ist es nie zu spät!
Ihr Selbst, ja es geht um Sie und um Ihr ganz persönliches Ich, und auch ums eigene und anderer Leute Bild davon, stellt auf alle Fälle eine Instanz für Lebenssinn dar. Ob es die letzte ist, wissen wir nicht. Und gerade weil wir an dieser Stelle nicht sicher sein können, ist es eine ganz besonders sinnvolle Idee, sich eine Autobiografie zu schaffen, nicht etwa literarisch gesehen, sondern psychologisch. Der persönliche Mythos kann eine Art Selbsttherapie sein, die wichtige konstruktive Elemente hervorhebt und der Fragmentierung von Erfahrungen entgegenwirkt.
Die ständige und oft verzweifelte Suche nach Identität ist ja nicht, wie gerne angenommen wird, die Konstruktion eines unverrückbaren Selbst, sondern die Annäherung an einen Sinn für Zusammenhänge. Das Kohärenzprinzip ist der philosophische Grundsatz der Verbindung alles Seienden und mit Kohärenz ist in der Physik das zeitlich unveränderte Verhalten eines Wellenfeldes an unterschiedlichen Orten gemeint, wie wir es beim Laser im Gegensatz zum natürlichen Licht vorfinden. In der Psychologie, die uns hier speziell interessiert, sind damit die Beziehungen und Verbindungen beschrieben, die das Ich mit der Außenwelt unterhält. Sie sollten dergestalt sein, dass sie strukturstiftend wirken. Struktur (lateinisch „struktura“: Bauart, Aufbau, Gefühle) ist die Bezeichnung für eine erkennbare Regelmäßigkeit oder die Anordnung von Teilen in einem Ganzen.
Ich möchte ganz dezidiert darauf aufmerksam machen, dass ein tragfähiges Selbstbild immer eine Struktur hat. Die Qualität Ihres Selbstbildes ist ebenso wichtig wie sein Vorhandensein. Sie sollten sich also klar machen, dass es keinen Menschen gibt, der nur positive oder negative Seiten hat. Natürlich handelt es sich bei einem Selbstbild immer um eine subjektive Einschätzung des eigenen Ichs. Aber normalerweise können Sie schon recht gut berücksichtigen, zu starke Tendenzen in die eine oder andere Richtung zu vermeiden. Zwischen einem ausgeprägten Minderwertigkeitsgefühl und Allmachtsvorstellungen bietet sich genügend Raum für einen halbwegs sinnvollen Bewusstwerdungsprozess. Auch sollten Sie unbedingt beachten, dass sich Selbstbilder nicht dafür eignen, andauernd gewechselt zu werden. Sie sind kein Schauspieler und sollten deshalb Ihr Leben nicht mit verschiedenen imaginären Rollen verwechseln. Weder würde flatterhaftes Verhalten Ihnen gut tun, noch von ihrem Umfeld positiv aufgenommen werden. Wenn wir freundlich sein wollen, sprechen wir gerne von Launenhaftigkeit, doch in extremer Form handelt es sich hierbei um manisch-depressive Menschen.
Die psychischen Störungen werden im Kapitel „Soll ich eine Therapie machen?“ ausführlich behandelt, aber in Zusammenhang mit dem Aufbau eines Selbstbildes ist sicherlich ganz interessant zu wissen, dass die Polaritäten Manie und Depression endogen entstehen, also von innen, aus dem Organismus heraus. Es handelt sich um funktionelle Psychosen, die nicht durch erkennbare Organkrankheiten verursacht werden. Manisch-depressive Erkrankungen, vielleicht sollten wir besser Störungen sagen, kommen häufiger vor, als wir annehmen. Sie sind zu einer Zeiterscheinung geworden. Wir treffen in jedem Unternehmen und allen Be-hörden Leute, die durch Aktionismus ohne Nutzeffekt auffallen. Die sich grundlos in heiterer oder gereizter Stimmung befinden, gerne viel reden oder nicht ruhig sitzen bleiben und nicht zuhören und sich konzentrieren können. Gelegentlich begegnen uns sogar Personen mit auffälliger Selbstüberschätzung und Anmaßung. Alle diese Menschen haben irgendeine Manie, die sie nicht selbst, wir aber schon als störend empfinden. Insbesondere auch deshalb, weil die Hochstimmung bei diesen Nervensägen ganz plötzlich umkippen und in ein depressives Verhalten münden kann.
Identität und Image
Es ist nicht besonders sinnvoll, sein Selbstbild entweder nur auf eigene Stärken oder nur auf eigene Schwächen auszurichten. Denn das führt automatisch in die Sackgassen, alle anderen Menschen für entweder stärker oder schwächer zu halten. Das sind sie aber nicht, sondern sie können durchaus ungefähr gleich stark sein, die Unterschiede sind oft nicht sehr groß. Weder in geistiger, noch in körperlicher Hinsicht. Wenn Sie darüber nachdenken und beispielsweise sich Ihre eigene Schulzeit in Erinnerung rufen, werden Sie wahrscheinlich sofort einsehen, dass in einem Jahrgang die Leistungsfähigkeit in etwa der Gaußschen Kurve, also der Normalverteilung, folgt. Es wäre ein Vorurteil, die Differenzen zu extrem anzunehmen und ein solches Bild würde nicht der Realität entsprechen. Es würde Sie nur dazu verführen, nicht in Wettbewerb mit anderen zu treten, weil Sie nach dieser Schwarz-Weiß-Einschätzung ent-weder unschlagbar überlegen oder inkompetent und schwach wären. Solange Sie nicht ein differenziertes Selbstbild haben, bleiben Sie in überholten Bewertungsmustern gefangen und erreichen kein gesundes Selbstbewusstsein.
Die Voraussetzung nun, realistische Vorstellungen für ihr zukünftiges Selbst zu entwickeln, ist ihr heutiges Selbst. Wer sind Sie jetzt, in diesem Augenblick? Es ist eine ganz schwer zu beantwortende, im Grunde eine philosophische Frage. Es wäre die Antwort darauf, wie ihre intrapsychische Intelligenz aussieht. Identität ist die Chiffre für ihre paradoxe, zwiespältige Lebenssituation geworden. Deshalb will ich versuchen, Ihnen einige Hinweise zu geben, wie Sie die Angelegenheit besser verstehen und anfassen können.
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