»Ich habe eine Frage und eine Bitte, liebe Frau Dr. Beckert. Ich brauche die DNA des Arms, der Ihnen gleich gebracht wird. Ich habe da eine Vermutung, und ich werde das Vergleichsmaterial dazu gleich beschaffen.«
»Du hast also eine Vermutung«, sagte Andresen, als Larsson die Verbindung unterbrochen hatte.
Larsson nickte, sagte aber nichts. Er suchte die Visitenkarte von Inka Schröder in seiner Tasche, fand sie und wählte ihre Nummer. Nach einigen Klingelzeichen nahm sie ab.
»Inka Schröder, guten Tag.«
»Larsson, guten Tag, Frau Schröder.«
»Wenn Sie anrufen, Kommissar, gibt es etwas Unerfreuliches zu berichten.«
»Das kann ich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber ich brauche etwas, um die DNA Ihrer Tochter feststellen zu lassen und für …«
»Das bedeutet nichts Gutes«, wurde Larsson von der Frau mit nervöser Stimme unterbrochen.
»Frau Schröder, wir haben etwas gefunden, ja, und dazu brauchen wir einen Vergleich.«
»Mein Mädchen?« Sie schrie schon fast ins Telefon.
»Es wäre im Augenblick unverantwortlich, Ihnen das so zu bestätigen.«
»Warum wäre das unverantwortlich?«
Larsson schaute Andresen fragend an, aber der zuckte mit den Schultern, weil er wusste, dass er seinem Chef nicht helfen konnte.
»Weil es keine Leiche gibt. Jedenfalls noch nicht.« Als die Frau nichts antwortete, fuhr er fort: »Wir haben ein Leichenteil gefunden, genauer gesagt, einen Arm, von dem ich glaube, dass er zu einer Frau gehört. Aber auch das muss erst noch von der Rechtsmedizin bestätigt werden.«
Die Frau war erstaunlich ruhig, als sie sagte: »Ich werde Ihnen eine Haarbürste meiner Tochter schicken. Glauben Sie, dass das reicht?«
»Bestimmt.«
»Ich schicke es mit der nächsten Maschine, die von Köln nach Heringsdorf liegt. Und sollten Sie sie finden … sie hat ein Muttermal genau unterhalb des Nabels.« Die Stimme der Frau versagte.
»Ich danke Ihnen.«
Larsson zeigte ärgerlich auf die immer näher rückenden Menschen und sagte zur Besatzung des Funkwagens: »Wenn Sie es nicht allein schaffen, die Leute fernzuhalten, müssen Sie Verstärkung anfordern.« Er schaute einen Augenblick zu, wie die beiden Beamten sich damit abmühten, die jugendlichen Voyeure hinter ein Absperrband zu drängen, das sie gespannt hatten.
Dann drückte Larsson die Kurzwahl der Nummer des Flughafendirektors. »Kannst du mir sagen, Hans-Jürgen, wann die nächste Maschine aus Köln in Heringsdorf landet?«, fragte er Markmann, als dieser sich meldete.
»Gibt es für die Frage einen bestimmten Grund?«
»Du hast neulich eine Frau Schröder zu mir geschickt. Es gibt eine Entwicklung, die einen DNA-Vergleich notwendig macht. Frau Schröder wird eine Tüte für mich mit der nächsten Maschine mitschicken. Ruf mich bitte an, wenn diese Tüte eingetroffen ist.«
Markmann nannte Larsson die nächste Ankunft einer Maschine aus Köln und versprach ihm, ihn sofort zu informieren, wenn er das Paket bekam.
Gegen Mittag brannte die Sonne erbarmungslos auf das Land, und die Einsatzkräfte der Suchtrupps und der Spurensicherung, die ihr schutzlos ausgesetzt waren, wünschten sich einen schattigen Platz. Doch es gab keinen Schatten, wo sie den Torso suchten. Die Männer des Tauchertrupps hatten zwei große Schlauchboote aufgepumpt, mit dem die einzelnen Taucher an ihren Einsatzort gebracht wurden.
»Ich denke, wir können hier im Augenblick nichts ausrichten«, sagte Larsson. »Vielleicht sollten wir in den nächsten Ort fahren und versuchen, etwas zu trinken aufzutreiben.« Er ging hinüber zum Taucherbasisfahrzeug. Salomon war mit zwei Mitarbeitern ins Gespräch vertieft.
»Ich denke, wir werden hier im Augenblick nicht gebraucht«, sagte Larsson. »Wir wollen noch mal nach Usedom Stadt fahren und im Hafen fragen, ob irgendjemand etwas gesehen hat.« Er gab Salomon eine Karte mit seiner Handynummer. »Rufen Sie mich bitte an, wenn sie etwas finden.« Er deutete auf die Männer der Spurensicherung, die an ihrem Wagen standen und sich mit einem gekühlten Drink aus einer Kühlbox erfrischten. »Unsere Spurensicherung bleibt, bis Sie Ihren Einsatz beenden.«
Er war noch nicht am T4 der Spurensicherung angekommen, als er in der Nähe einen lauten Pfiff hörte. Larsson drehte sich um und sah, dass in einem etwa zweihundert Meter entfernten Schlauchboot Unruhe aufgekommen war. Handzeichen wurden von dem Mann im Boot in Richtung Einsatzwagen gegeben und Salomon antwortete darauf seinerseits ebenfalls mit ausholenden Gesten.
»Wir haben etwas gefunden«, rief Salomon Larsson zu.
»Meine Leute haben mir signalisiert, dass sie einen Torso gefunden haben.«
Wenig später hörten sie den Motor des Boots und sahen, wie es Fahrt aufnahm und schnell auf sie zukam. Der Anblick, der sich ihnen bot, war entsetzlich. Ein nackter weiblicher Torso, Arme und Kopf fehlten. Brüste und Schambereich waren herausgeschnitten und fehlten ebenfalls. Andresen musste sich abwenden, weil ihm übel wurde. Larsson sah das kleine Muttermal, auf das Inka Schröder ihn aufmerksam gemacht hatte, und war sich nun sicher, dass es das vermisste Mädchen war.
Andresen bestellte noch einmal telefonisch einen Leichenwagen zum See. Maiers Leute nahmen die Arbeit des Erkennungsdiensts wieder auf.
»Manchmal ist diese Arbeit kaum auszuhalten«, meinte Larsson nachdenklich zum Einsatzleiter der Taucher.
»Meine Männer wissen, dass sie keinen Menschen mehr retten können. Wenn es um Menschen geht, bergen Taucher in der Regel Tote. Das ist das Spezielle an ihrer Arbeit. Zudem sind die Männer schon lange dabei und haben viel Erfahrung gesammelt. Jeder einzelne von ihnen hat seine Strategien gefunden, damit umzugehen«, sagte Salomon lakonisch.
»Aber es geht hier um ein grausiges Verbrechen, die Frau wurde nicht nur ermordet, sondern auch zerstückelt. Kann man das wirklich einfach ausblenden?«, mischte Andresen sich ein, der immer noch ein wenig blass war. Auch er war schon lange bei der Kripo und hatte in dieser Zeit so manches gesehen.
»Bei solchen Einsätzen kann man keine Emotionen zulassen, sonst könnte man nicht arbeiten. Die Kollegen gehen da sehr rational vor. Das hat auch eine schützende Funktion«, konterte Salomon.
»Schwer wird es nur, wenn es sich zum Beispiel um Kinder oder Personen aus dem Bekanntenkreis handelt. Dann lassen sich Emotionen nicht mehr verdrängen. Aber bei solchen Einsätzen wie hier gehört es absolut dazu, sich emotional abzugrenzen und kein Verhältnis zu der geborgenen Person aufzubauen, sonst kann man das auf Dauer nicht aushalten.«
»Sollen wir die Suche fortsetzen?«, fragte der Leiter der Tauchertruppe.
»Warten Sie einen Augenblick«, antwortete Larsson. Er rief seine Dienststelle in Anklam an und ließ sich mit der Leitstelle verbinden. Er schilderte kurz den Vorgang und fragte, ob man den See weiter absuchen solle. Nach einem kurzen Wortwechsel erhielt er den Bescheid, die Suche einzustellen. Das befriedigte Larsson nicht, und er ließ sich mit Kriminaloberrat Kruse verbinden. Er schilderte ihm den Zustand der aufgefundenen Körperteile und empfahl, die Suche fortzusetzen, denn er war nicht der Meinung, auf den weiteren Einsatz der Taucher schon verzichten zu können. Nach dem Gespräch gab er an Salomon weiter, dass sie noch warten sollten, bis sie Bescheid bekämen, ob sie weitermachen sollten. Er bedankte sich für die bisherige Arbeit der Truppe und verabschiedete sich.
»Du bleibst bitte, bis der Torso abgeholt wurde, und lässt dich von einem Streifenwagen nach Heringsdorf bringen«, sagte er zu Rolf Andresen.
Er ging zu Maier von der Spurensicherung, der mit seinen Leuten seine Utensilien gerade zusammenpackte. »Und?«
»Bisher nicht der leiseste Anhaltspunkt, Lasse. Das Wasser hat alles vernichtet. Nur die Hämatome am Hals lassen darauf schließen, dass die Frau erwürgt worden sein könnte.«
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