»Und meine Tochter?«
»Eine Leiche wurde ja in dem Haus nicht gefunden. Das hatte man Ihnen doch schon gesagt. Also ist das eine zweite Baustelle«, stellte Larsson fest. »Sie müssten jetzt noch einmal telefonisch nachfassen, damit eine Fahndung nach Ihrer Tochter herausgegeben wird.«
»Können Sie das nicht für mich erledigen?«, fragte die Frau.
»Nein, in diesem Fall müssen Sie das selbst machen. Ich bin nicht offiziell hier, aber da Sie mich angesprochen haben, möchte ich mir ein Bild von Ihrer Tochter machen.«
»Warum? Wenn Sie ja doch nichts unternehmen können.«
»Ich kann zumindest einmal mit dem für diese Ermittlung zuständigen Beamten sprechen. Aber erst wenn Sie die Vermisstenanzeige aufgegeben haben, wird eine Bearbeitung in der dafür zuständigen Fachabteilung stattfinden. Das ist das offizielle Prozedere und das gilt auch für mich.«
Inka Schröder lud Larsson mit einer Handbewegung zum Sitzen ein. »Und wie sieht das offizielle Prozedere in der Praxis aus?«, fragte sie.
»Ihre Tochter geht in die Fahndung. Haben Sie, als Sie mit den Kollegen sprachen, ein Foto Ihrer Tochter abgegeben?«
»Nein.«
»Können Sie auf die Schnelle eins besorgen?«
»Natürlich. Wir haben eine ganze Serie Fotos auf dem Laptop.«
»Dann sollten Sie die Erneuerung Ihrer Vermisstenanzeige mittels einer SMS nach Anklam schicken. Da können Sie gleich ein Bild anhängen. Mit Bild sind die Chancen besser, Ihre Tochter zu finden.« Larsson erklärte ihr in wenigen Sätzen die Arbeit der Kollegen bei der Suche nach einer vermissten Person. Man würde alle Kontakte nutzen, die ins Rotlichtmilieu gehen, um zu sehen, ob dem Mädchen etwas in dieser Art zugestoßen war. Aber es gab auch andere Kontakte, die man nutzen konnte. Vor allem war es nötig, das Umfeld des Mädchens zu beleuchten. Mit wem hatte sie Kontakt, zu Hause am Rhein und auch hier auf der Insel. Aber das würden die Kollegen erst machen, wenn eine ordnungsgemäße Anzeige bei ihnen vorlag.
»Das Entscheidende dabei«, sagte Larsson, »sind die Details. Wenn man die übersieht, ist man verloren, und wenn man sie nicht versteht zu interpretieren, wird man auch nichts finden.«
Die Frau erkannte, dass Larsson recht hatte. Es gab nichts, was es in dieser Welt nicht gab. Und einem jungen Mädchen konnte alles passieren.
»An wen soll ich die SMS schicken?«
»Sie haben mit Hauptkommissar Schubert gesprochen?«
»Ja.«
»Dann sollten Sie ihm diese schriftliche Vermisstenanzeige direkt schicken. Er wird das dann an die Abteilung Personenfahndung weitergeben.«
Inka Schröder bedankte sich für sein Kommen und das Gespräch.
Larsson stand auf und gab ihr die Hand. »Ich möchte noch eine persönliche Frage stellen.«
Die Frau sah ihn irritiert an. »Bitte?«
»Der Mann in Ihrer Begleitung, ist das der Vater Ihrer Tochter?«
»Er ist mein Lebenspartner. Und nein, Martin Horowitz ist nicht der Vater meiner Tochter. Ich lebe von meinem Mann getrennt. Jeder geht seine eigenen Wege.«
»Was für ein Verhältnis hat Ihre Tochter zu Ihrem Lebenspartner?«
»Sie hat ihn mehr oder weniger akzeptiert.«
»Und er? Was für ein Verhältnis hat Ihr Lebenspartner zu Ihrer Tochter?«
Die Frau lachte auf. »Sie glauben nicht etwa daran, dass Martin etwas damit zu tun haben könnte?«
»Es geht nicht darum, was ich glaube. Bei Ermittlungen zählen immer nur die Fakten. Und da wird das gesamte Umfeld von Ihrer Tochter, von Ihnen, von Ihrem Lebenspartner und ganz sicher auch von Ihrem Mann überprüft.«
»Da liegen Sie sicher ganz falsch. Wir sind eine glückliche Familie. Auch wenn mein Mann aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen ist. Wir haben uns eingerichtet. Meine Tochter lebt in der Hauptzeit bei uns, und hin und wieder fährt sie mit ihrem Vater mit seiner Jacht den Rhein entlang. Und es hat deswegen noch nie Krach gegeben.«
»Sie haben gesagt, dass Sie nicht glauben, Ihre Tochter sei weggelaufen. Fast hoffe ich aber für Sie, dass es so ist …«, schloss Larsson das Gespräch.
Larsson ging zurück zu seinem Wagen. Vor dem Eingang der alten Schule saßen noch die beiden älteren Leute. Er winkte ihnen zu und der Mann winkte zurück. Rückwärts ließ er den Wagen aus der Einfahrt gleiten und fuhr den Berg hinunter durchs Dorf Neu Sallenthin. Er wählte die Handynummer Inge Mohaupts.
»Ich habe noch eine Frage, Inge« sagte er.
»Im Augenblick habe ich keine Zeit für dich, Mutter«, antwortete Inge Mohaupt. »Ich rufe dich später zurück.«
Larsson verstand, dass sie im Augenblick nicht allein im Büro war. Wahrscheinlich saß ihr gerade Schubert genau gegenüber, und es war schlau von ihr, das Gespräch auf diese Weise zu beenden.
*
Kurz vor zwei meldete sich Inge wieder.
»Ich war vorhin nicht allein, Lasse.«
»Ich weiß.«
»Es war nicht nur Schubert, auch der Kriminaloberrat war hier im Raum.«
»Verstehe.«
»Es gibt einen Bekennerbrief zu den Bränden.«
Larsson stieß einen leichten Pfiff aus. »Einen Bekennerbrief. Und was gedenkt Schubert damit anzufangen?«
»Das ist es, was mich aufregt. Er weiß es nicht. Schubert überlegt, ob er ihn veröffentlichen soll.«
»Aber doch wohl nicht zu diesem Zeitpunkt, immerhin wird auch noch ein Mädchen vermisst«, warf Larsson ein.
»Ich habe ihm das auch gesagt.«
»Was steht in diesem Brief?«
»Das ist ja das Kuriose. Er ist in Italienisch verfasst.«
»Und? Habt ihr schon die Übersetzung?«
»Brucia in coloro che non hanno alcun affare qui! E ascoltare coloro che non vogliono sentirsi! Es brennt bei denen, die hier nichts zu suchen haben! Und jene, die nicht hören wollen, müssen fühlen«, sagte Inge Mohaupt.
»Kannst du mir das jetzt mailen?«
»Ich schicke es dir gleich rüber.«
»Sieh zu, dass Schubert erst einmal in dieser Frage gar nichts unternimmt.«
»Hast du eine Idee?«
»Ich denke schon. Aber schick es her.«
Sie beendeten das Gespräch, als Schubert, der scheinbar im Haus unterwegs gewesen war, wieder zu seinem Arbeitsplatz zurückkehrte und Inge auflegen musste.
Kurze Zeit später war die E-Mail mit der Kopie des Briefs eingetroffen. Larsson druckte die Nachricht aus und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. Er las es wieder und wieder: Brucia in coloro che non hanno alcun affare qui! E ascoltare coloro che non vogliono sentirsi! Es brennt bei denen, die hier nichts zu suchen haben! Und jene, die nicht hören wollen, müssen fühlen.
Larsson versuchte, ein erstes Täterprofil aus dem kurzen Text zu erstellen, und die erste Einsicht war schnell gewonnen: Es war eindeutig keine Beziehungsangelegenheit. Als Tatmotiv schied also verletzte Eitelkeit und Eifersucht aus. Es war eine Warnung für all diejenigen, die keine Einheimischen waren, aber hier Häuser als Geldanlage aufkauften und dann nur selten nutzten.
Aufgrund der Schrift schätzte er das Alter des Schreibers zwischen sechzehn und zwanzig. Höchstwahrscheinlich entstammte der Verfasser der Mittelschicht und verfügte über eine angemessene Bildung. Darauf ließ jedenfalls die Wortwahl schließen. Er legte das Papier in die obere Schublade seines Schreibtischs und verschloss sie sorgfältig. Nichts ist interessanter, dachte er, als dem Code des Bösen zu folgen und aus diesem erfolgreich Schlüsse ziehen zu können. Neuerdings interessierte sich Lasse sehr für Profiling. Aber das behielt er erst einmal für sich.
Montag, 11. Juli 2005
Die Tagesarbeit hatte die Kommissare in der Außenstelle Heringsdorf wieder eingeholt. Routinefälle meist, die Larsson langweilten und ermüdeten.
An diesem Montag änderte sich das schlagartig. Gleich am Morgen hatten Angler einen grausigen Fund gemacht. Ein menschlicher Arm, der durch das Aufwirbeln des Wassers durch die Schiffsschraube an die Oberfläche gekommen war, wurde vom Eigner des Boots sichergestellt. Dieser hatte dann auch über die 110 in der Notrufzentrale in Anklam Bescheid gesagt. Die Notrufzentrale schickte sofort einen Streifenwagen. Die beiden Polizisten nahmen eine Reihe von Aussagen auf und informierten dann die Kriminalbereitschaft. Der Kriminaldauerdienst benachrichtigte, wie es allgemein üblich ist, die Staatsanwaltschaft und telefonierte kurz mit der Rechtsmedizin in Greifswald; parallel dazu wurde der Chef der Mordkommission im Haus benachrichtigt, und Kriminaloberrat Kruse beauftragte dann seinerseits die Kriminalaußenstelle Heringsdorf mit dem Fall.
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