»Die Frau hat bereits mit mir gesprochen. Aber ich sehe eigentlich gar keine Möglichkeit, ihr zu helfen. Zuerst muss sie eine ordentliche Vermisstenanzeige aufgeben. Dann wird das von der zuständigen Fachabteilung in Anklam bearbeitet. Mehr kann ich dir gar nicht dazu sagen.« Larsson merkte, dass seine Antwort den Anrufer nicht richtig zufriedenstellte. Aber was sollte er machen? Nach einigen lapidaren belanglosen Sätzen über eine Flugvorführung des Clubs, die am Wochenende stattfinden sollte, beendeten sie das Gespräch.
In seinem Büro angekommen, wählte er die Telefonnummer Inge Mohaupts.
»Was machen die Urlaubsvorbereitungen«, fragte Larsson, nachdem sie sich gemeldet hatte.
»Sie laufen noch. Aber deshalb rufst du doch wohl nicht an«, lachte Inge.
Larsson fühlte sich ertappt. »Nein, nicht wirklich. Ist Schubert da?«
»Er ist beim Chef.«
»Ihr habt in eurer Abteilung den ersten Brand der Serie bearbeitet … Es geht um ein Haus in Zirchow.«
Inge Mohaupt holte sich die Informationen zu dem Fall auf den Bildschirm ihres Computers. »Ja. Wieso interessierst du dich dafür?«
»Dabei ist ein junges Mädchen verschwunden«, sagte Larsson lakonisch.
»Liisa Schröder. Der Fall ist abgeschlossen, Lasse.«
»Ich weiß. Die Mutter hat heute mit mir gesprochen. Sie ist aber immer noch auf der Suche nach ihrer Tochter.«
»Eine Ausreißerin, wahrscheinlich eine Ausreißerin, wie viele Mädchen in diesem Alter.«
»Daran glaubt die Mutter nicht.«
»Sie ist vielleicht mit irgendeinem Jungen durchgebrannt. Ich muss dir ja wohl nicht sagen, dass das vorkommt.«
»Nein, sie hat einen Freund, der gerade in Amerika ist, und sie ist sehr verliebt, sagte die Mutter. Sie würde keinesfalls mit irgendeinem Jungen durchbrennen.«
Inge Mohaupt überlegte einen Augenblick, dann sagte sie: »Du weißt, dass wir ohne die Genehmigung des Chefs die Ermittlungen nicht wieder aufnehmen können, wenn sie bereits abgeschlossen sind.«
»Wer sagt dir, dass ich irgendetwas aufnehmen will. Ich würde mir nur allzu gern mal den Bericht anschauen. Kannst du ihn mir mailen?«
»Ich müsste Schubert erst fragen. Er war der Leiter der Ermittlung.«
Larsson lachte gequält auf. »Du weißt, wie er zu mir steht.«
»Das beruht ja wohl auf Gegenseitigkeit«, stellte Inge Mohaupt fest. »Vielleicht fragst du ihn ja selbst.«
»Vergiss es, Inge. Danke für deine Hilfe.« Larsson legte den Hörer auf. Dass Frauen sich immer so unkooperativ verhalten müssen, dachte er ärgerlich.
Dann durchdachte er noch einmal das Gespräch mit dieser Inka Schröder. Sie machte nicht den Eindruck einer Mutter, die sich grundlos über das Verschwinden ihrer Tochter aufregt. Und der Mann, mit dem sie da war? Larsson hatte nicht gefragt, ob es sich um den Vater des Mädchens handelte, aber er nahm an, dass er der Ehemann oder der Liebhaber war. Schön, er hatte keinen Auftrag, zu ermitteln. Allein auf den Wunsch der Frau hin, ohne jeglichen Tatverdacht, konnte er kaum ermitteln.
Gerade als er den Hörer des Telefons aufgenommen hatte, um Inka Schröder anzurufen, bemerkte er den Eingang einer E-Mail. Sie kam von Inge Mohaupt. Inge hatte ihm die komplette Ermittlungsakte im Fall des Hausbrands zugeschickt. So sehr er sich auch bemühte, eine Fahndungslücke in den Unterlagen zu finden, musste er sich bald eingestehen, dass Schubert ordentlich gearbeitet hatte. Was die Anzeige der Frau wegen des Verschwindens ihrer Tochter betraf, so hätte er selbst auch nicht anders gehandelt. Larsson fischte die Visitenkarte von Inka Schröder aus seiner Tasche und begann die Nummer zu wählen. Bevor er die letzte Zahl eingab, legte er wieder auf. Dafür aber wählte er die Nummer Inge Mohnhaupts.
»Bist du allein?«, fragte er, als sie den Hörer abnahm. »An Schuberts Untersuchung ist nichts auszusetzen. Aber dennoch«, er lachte, und sie hörte sein Lachen mit dem besonderen Unterton, den sie kannte, wenn er einen Fehler entdeckt hatte, »ihr habt einen Schreibfehler in der Akte, der sich dauernd wiederholt.«
Inge Mohnhaupt wusste sofort, worauf Larsson hinauswollte.
»Du meinst Liisa?«
»Ihr habt sie mit zwei i geschrieben. Liisa, das habe ich so noch nie gehört.«
»Tja, mein lieber Lasse, einmal ist immer das erste Mal. Der Name ist richtig, denn ihr Vater ist ein Finne und dort schreibt man den Namen so.«
»Aus Finnland?« Sie hörte seine leichte Verärgerung darüber, dass er das nicht selbst erkannt hatte.
»Na ja, Holopainen wollte sie nach der Trennung ihrer Eltern nicht heißen …«
Er ging ins Büro der Kommissare. Andresen und Simons unterhielten sich über einen Sexskandal, an deren Aufdeckung sie beteiligt waren. Ein vierundvierzigjähriger Mann befand auf einem Campingplatz in Zempin und wollte über ein ungesichertes W-LAN-Netz ins Internet. Dort geriet der Urlauber durch Zufall auf die Festplatte des Notebooks eines anderen Urlaubers. Er fand kinderpornografisches Material. Es waren acht bis vierzehnjährige Jugendliche beider Geschlechter zu sehen. Weil Larsson zu einer Dienstbesprechung in Schwerin war, hatte Andresen den Einsatz geleitet. Sie konnten einen Mann aus Bayern festnehmen und seinen Rechner beschlagnahmen. Beim Verhör musste der Mann zugegeben, mehr als fünfzig kinderpornografische Dateien zu besitzen. Sie wurden eingezogen und eine Wohnungsdurchsuchung in seinem Heimatort veranlasst.
»Ich bin mal für eine halbe Stunde außer Haus«, sagte Larsson. »Ihr könnt mich übers Handy erreichen. Wer hat den Autoschlüssel?«
Simons nahm den Schlüssel aus seiner Schreibtischschublade und hielt ihn Larsson hin. »Fahr bitte vorsichtig, wir brauchen den Wagen noch.« Dabei kniff er ein Auge zu.
Larsson wandte sich ab. Er winkte seinen Männern noch einmal zu, verließ das Büro und ging hinunter zum Dienstwagen. Im Frühjahr hatte man eine Reihe neuer Dienstfahrzeuge angeschafft. Im Gegensatz zu früher leaste die Polizei die Fahrzeuge nun und erneuerte sie bei Bedarf. Das war ein wesentlicher Vorteil, der sich nun auch für seine Ermittlungsgruppe auszahlte. Langsam fuhr er vom Hof, bog rechts in den Setheweg ein, um nach wenigen Hundert Metern auf die Neuhoferstraße einzubiegen. Zehn Minuten später hielt er vor der alten Schule in Neu Sallenthin. Vor dem Eingang des Hauses stand eine hölzerne Sitzgruppe, auf der sich ein älteres Ehepaar niedergelassen hatte.
Larsson stieg aus dem Wagen und ging auf das Haus zu. »Guten Tag. Mein Name ist Larsson, ich suche eine Frau Schröder. Können Sie mir weiterhelfen?«
»Wenn Sie am Haus hier vorbeigehen und über die Wiese, dann sehen Sie unten den Steg am großen Krebs-See. Da wollte sie hingehen. Wir haben dort ein Boot liegen.«
Larsson ging am Haus vorbei zwei Stufen hoch und sah vor sich eine lange, abschüssige Wiese bis zum See hinunter. Auf der linken Seite, etwas weiter unten, standen mehrere Gartenstühle unter einer großen Eiche. In einem davon saß Inka Schröder und las ein Buch. Sie schien ihn nicht kommen zu hören, denn sie sah nicht auf, als er näherkam.
»Entschuldigen Sie, Frau Schröder, darf ich mit Ihnen noch einmal kurz sprechen?«, sprach er sie an.
Die Frau hob den Blick und klappte das Buch zu. Larsson konnte sehen, dass es Max Frischs Roman »Montauk« war.
»Haben Sie schon etwas herausgefunden?«, wollte sie wissen.
»Nein.«
»Und dann kommen Sie bis hierher?«
»Ich habe mir die Unterlagen von der Brandermittlung kommen lassen«, begann Larsson, während er sich auf einen der Stühle am Tisch setzte. »Nur so viel dazu: Die Polizei hat bisher formal ordentlich gearbeitet. Anders hätte ich auch nicht verfahren können, wenn Sie zuerst zu mir gekommen wären. Bei dem Brand ist ein Brandbeschleuniger benutzt worden. Die Analyse hat ergeben, dass es Benzin war.«
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