Tenaro kehrt in die Residenz zurück, ohne Metú, er wird ihn lange nicht wiedersehen. Er erhält eine Nachricht von ihm am nächsten Tag, nur ein paar Worte. „Ich weiß, wo sie ist. Ich hole sie.“ Er weiß nicht, was sich zugetragen hat im Hof des Hauses, er will es auch nicht wissen. Er kennt Metú so lange er denken kann, er ist sein Beschützer, seit er auf der Welt ist, ein umgänglicher sanftmütiger Mensch, der gern lacht. Aber er hat auch eine andere, eine finstere Seite, Tenaro hat sie nie kennengelernt. Er ist freundlich gegenüber jedem, der ihm wohlgesonnen entgegentritt, wie er mit den Feinden seines geliebten Prinzen umgeht, steht nicht auf diesem Blatt geschrieben.
Er wächst hinein in sein Amt als Nun’thain der Provinz Narn’kalar, aber als erstes organisiert er seinen Haushalt um. Er ist es leid mit dem Haushofmeister, er muss nicht dreimal am Tag vorgesagt bekommen, wer er ist und was er ist. Zu Tisch sitzen nur Leute mit ihm, die ihn kennen, manche davon schon sein Leben lang. Seine Hoheit Exzellenz Tenaro ab‘Daikim, Sa’Rimar von Beth’anu, Nun’thain von Narn’kalar. Wenn sie bis jetzt nicht wissen, wer er ist, werden sie es dadurch auch nicht lernen. Auch seine Mutter hat einen Haushofmeister, er ist schon ewig bei ihr, auch er ist majestätischer als die Majestäten, aber nur, wenn es sein muss. Wenn der Thain seine Nun’thainu empfängt, zum Beispiel. Dann kündigt er sie an als Seine Hoheit Tenaro ab‘Daikim, Sa’Rimar von Beth‘anu. Ihre Hoheiten, die Prinzessinnen Sirima und Derani. Seine Majestät Deramo ab’Daikim, Thain von Beth‘anu. Wenn die Familie unter sich ist, sind sie der Lausebengel, die Kicherlinsen und schlicht der Thain, sein jüngster Bruder die Springbohne und sein Bruder Mereno der Gelehrte. So haben sie ihn alle genannt, weil er immer mit einem Buch in der Hand anzutreffen ist. Sogar beim Gehen, er ist einmal über einen Blütenkasten im Flur der Feste gefallen, sein Handgelenk war geschwollen danach. Sirima und Derani haben ihrem Ruf als Kicherlinsen alle Ehre gemacht, der Thain hat ihn ausgelacht, die Thaini geseufzt. Und alle Blütenkästen auf den Fluren entfernen lassen. Sicher ist sicher. Es sind immer lustige Mahlzeiten gewesen am Tisch der höchsten Familie von Beth’anu.
So hält es auch Tenaro, es geht locker zu, wenn er mit Freunden und Vertrauten zu Tisch sitzt, formeller, wenn er Gäste empfängt. Er ist der Sa’Rimar, er ist ausgebildet worden für seine Aufgabe als zukünftiger Thain, er setzt jetzt um, was er gelernt hat. Er teilt die Provinz in Bezirke ein, so wie er es kennt aus Beth’anu, er setzt Richter und Verwalter ein, er muss sich nicht um jede Kuh, die vom Bullen des Nachbarn gedeckt worden ist, um jeden Apfel, der auf der falschen Seite des Zauns vom Baum fällt, selbst kümmern. Er ist der oberste Richter der Provinz, er liest die Urteile und wandelt sie um, wenn sie ihm ungerecht erscheinen. Er ist der Oberkommandierende der Besatzungsarmee, die sein Vater zurückgelassen hat, er besucht ihre Garnisonen. Viele der Männer kennen ihn, sie jubeln ihm zu, wenn er auf seinem schwarzen Hengst ihre Reihen abreitet. Er ernennt die Ältesten für die Standorte, an denen die jungen Rekruten ausgebildet werden, auch in Narn’kalar gilt jetzt der Pflichtdienst. Viele der Sechzehnjährigen sind vom Heermeister in die Armee des Fürsten gepresst worden, aber sie haben nie gelernt, Soldaten zu sein. Nur Hauen, Stechen, Draufschlagen, sie sind die ersten gewesen, die ihre Waffen haben fallen lassen, als die Soldaten des Thain sie gestellt haben. Er führt die Pflichtschule ein, jedes der Dörfer hat ein Versammlungshaus, es genügt, bis die Schulhäuser gebaut sind. Er bittet die weißen Schwestern um Hilfe, sie eröffnen Häuser für Kranke in den Bezirken, in ihnen werden die Männer gepflegt, die krank oder verwundet zurückgekommen sind aus der Schlacht. Er möchte sie nicht in die Hände der Heiler fallen lassen, er hat am eigenen Leib erfahren, was ihre Heilkunst wert ist. Er setzt die Steuerpflicht aus für ein Jahr, die Truhen des Fürsten sind überreichlich gefüllt, der Thain hat sie beschlagnahmt als Entschädigung für den Sieger, Tenaro bestreitet die Ausgaben für seinen Haushalt damit und bezahlt die Richter, Verwalter und Lehrer daraus.
Er öffnet die Vorratsspeicher, die der Fürst hat anlegen lassen, und verteilt die Nahrung, die er beansprucht hat für die Versorgung seiner Armee. Sie ist nicht zu ihr gelangt, der Mar’thain von Beth’nindra hat mit seinem Reiterheer die Grenze zwischen Beth’narn und Beth’kalar geschlossen, nachdem die Armee des Fürsten durchgezogen war. Er hat damit seinem Schwestergatten einen Gefallen getan, und viel zu tun gehabt haben sie nicht. Ein paar Deserteure gefangengesetzt, ab und zu einen Kurier abgefangen, Proviantwagen aufgehalten, es war mehr ein Manöver als ein Eingreifen in den Krieg. Der Bevölkerung im Land geht es schlecht, in der letzten hellen Zeit ist kaum geerntet worden, sie haben nicht viele Vorräte anlegen können, und es ist noch zu früh im Jahr für die neue Ernte. Die Männer, die der Heermeister in die Armee gepresst hat, sind zurückgekehrt, die Felder sind bestellt worden, aber selbst Melak kann nicht über Nacht aus einem Samenkorn Getreide machen, aus dem man Mehl für Brot mahlen kann, Kohlköpfe brauchen ihre Zeit zum Wachsen. Tenaro bittet seinen Vater um Hilfe, er lässt Brot und Gemüse verteilen, die Bevölkerung dankt es ihm damit, dass es ruhig bleibt im Land. Ab und zu ein kleiner Zwischenfall mit den Soldaten der Garnisonen, aber es gibt keine Aufstände, kaum Beschwerden, die Menschen in Narn’kalar lernen, was die Bewohner von Beth’anu schon wissen. Dass es ihnen besser geht mit einem Thain, der seinem Land dient. Praesis ut Prosis Non ut Imperes. Tenaro lebt, was die Buchstaben auf seinem rechten Schulterblatt ihm vorgeben.
Sie sind gar nicht so verschieden, die Menschen von Narn‘kalar und Beth’kalar, sie sprechen fast die gleiche Sprache, und sie teilen die gleichen Nöte und Ängste. Bald herrscht wieder reger Handel über den See, und auch die kleinen wohlschmeckenden Fische sind nicht mehr eine fast unerschwingliche Delikatesse. Immer noch teuer, aber sie werden nicht mehr mit Leben bezahlt. Die Fischerboote trauen sich jetzt öfter auf den See, sie werden nicht mehr so häufig angegriffen, wenn sie die prall gefüllten Netze einholen. Draq’ona, die Waffe die schützt, die Einheit, die auf der Beth’kalar-Seite des Sees unter Tenaros Oberbefehl steht, hat sich bewährt. Es gibt immer noch Echsen im See, sie sind immer noch gefährlich, aber sie sind jetzt leichter zu töten. Sie haben herausgefunden, dass die Bolzen der Draq’ir’lai auch die Panzer auf der Oberseite der Tiere durchschlagen, wenn sie nahe genug abgefeuert werden. Sie dringen nicht tief ein, sie töten die Echsen nicht, aber sie verwunden sie, und ihre Artgenossen erledigen dann den Rest. Der Barar von Beth’kalar gibt seinen Fischerbooten einen Soldaten mit einer Draq’ir’lai mit, sie schießen auf die Echsen, wenn sie versuchen, sich in das Netz zu verbeißen, meist können sie es dann unbehelligt aus dem Wasser ziehen. Und auch die Narn’kalar-Seite wird jetzt von Soldaten geschützt, die mit Draq’ir’lai bewaffnet sind, auch diese Einheit steht unter dem Oberbefehl des Sa’Rimar. Das Leben der Menschen am See wird leichter, ihre Ernährung abwechslungsreicher, aber noch sind die drei roten Pfähle am Ufer des Sees eine stete Mahnung, sich diesem vorsichtig und nicht ohne Schutz zu nähern.
Aber es gibt noch etwas, das den Menschen Sorge bereitet, auf beiden Seiten des Sees, auf den Ebenen im Süden, am Rand der Wüste im Norden, an den Hängen des Drat’kalar. Ihr junger, geliebter Sa’Rimar hat immer noch keine Frau an seiner Seite. Er wird zweiundzwanzig am Ende der dritten Jahreszeit, zur zweiten Tag- und Nachtgleiche feiern sie ein fröhliches Geburtsfest mit einem Feuerwerk zu seinen Ehren. Der Yen-Meister lebt jetzt in der Residenz des Nun’thain, Tenaro schätzt die Weisheit und den Rat des alten Mannes immer noch. Er meditiert oft mit ihm, und er schafft es jetzt öfter, sein Yen’gi zu finden. Und immer wieder hat er das Gefühl, dass er nicht allein ist auf der dreieckigen Wiese mit den drei stehenden Steinen, dass jemand bei ihm ist, der ihn ergänzt, die zweite Hälfte seines Ichs. Aber es entzieht sich seinen Blicken, wenn er sich umsieht, und es stimmt ihn traurig. Er sehnt sich nach einem Menschen, der zu ihm gehört, der sein Leben mit ihm teilt, aber wann immer er es versucht, es fehlt etwas. Mekira, sie hat seinen Körper befriedigt, aber sein Herz leer gelassen, sie haben beide gewusst, dass es nicht für immer ist. Eine der Töchter des Schatzkanzlers seines Vaters, er hat sich mit ihr eingelassen, als er am Beginn der dritten Jahreszeit seine Eltern besucht hat, es hat ihn hohl und unbefriedigt zurückgelassen. Es macht ihn rastlos, bald ist es auch in Narn’kalar kein ungewohnter Anblick mehr. Tenaro auf Griud im rasenden Galopp auf den Wegen rund um die Residenz des Nun’thain, allein, die Pferde seiner Garde können dem Tempo nicht folgen. Er sitzt oft mitten in der Nacht auf dem Balkon seines Schlafzimmers und starrt hinauf in den Sternenhimmel. Manchmal sieht er einen Stern fallen, und dann wünscht er sich etwas. Aber sein Wunsch geht nicht in Erfüllung. Es kommt einfach keine Nachricht von Metú.
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