Sie befinden sich schon auf dem Gebiet des ehemaligen Beth’narn, und Tenaro ist fast sicher, hier ist die Stelle, an der ihn der Heermeister damals gefangen genommen hat. Sie durchsuchen das Schilf am Ufer, zwei Männer mit gespannter Draq’ir’lai beobachten das Wasser, aber das Südufer ist zu seicht und zu schlammig für die großen Echsen, sie versinken darin. Sie finden das Schwert, das Tenaro damals fallengelassen hat, als der Hund seine Hand zermalmt hat, es steckt halb im Schlick. Eine einfache Waffe aus dem Bestand der Kuriere, das Leder, mit dem das Heft umwickelt ist, halb verfault, die Klinge rostig. Und eine silberne Gürtelschließe mit dem Kopf eines Pferdes darauf, solche Schließen tragen die Soldaten aus dem Reiterheer des Mar’thain von Beth’nindra, aber Tenaro weiß sicher, dass die beiden Männer die Farben von Beth’narn getragen haben. Und sie glänzt noch zu neu, einer der Reiter, die die Grenze hinter der Armee des Fürsten geschlossen haben, muss sie verloren haben. Sonst finden sie nichts, keine Überreste der Knochen des Pferdes, keine Uniformfetzen der beiden Deserteure, vielleicht haben sich die großen Echsen doch ans Ufer gewagt, dem Futter nicht widerstehen können. Tenaro steht lange am Rand des Sees und sieht über das Wasser, mit der Gürtelschließe in der Hand. Hier hat damals seinen Anfang genommen, was drei Tage später damit geendet hat, dass er ein An’tla hinter sich zurückgelassen hat. Denn das muss sie gewesen sein, eines der gütigen Wesen, die Melak aussendet, um Menschen in Not beizustehen. Er hat ihm schon tausendmal gedankt dafür, er hat ihn angefleht, sie noch einmal zu ihm zu schicken, aber niemand, der nach ihr gesucht hat, hat je eine Spur von ihr gefunden. Tenaro schuldet ihr viel, er schuldet ihr sein Leben, er möchte ihr danken, es vergelten an ihr, aber es scheint, sie ist wirklich ein An’tla gewesen. Erschienen, um ihn zu retten, und dann zurückgekehrt an die Seite Melaks, nicht mehr zu erreichen für ihn. Aber er wird die Suche nach ihr nicht aufgeben.
Tenaro findet seinen Vater in der großen Halle der Residenz des Fürsten, er sitzt zu Gericht. Es hat Plünderungen gegeben, und eine Frau ist gegen ihren Willen mit Gewalt genommen worden, das ist etwas, was sein Vater nicht duldet bei seinen Soldaten. Die Urteile sind schnell gefällt, auf Plünderung steht lebenslange Zwangsarbeit in den Steinbrüchen an den Hängen des Drat’kalar, Gewalt gegen eine Frau wird ausnahmslos mit Hängen bestraft. Und zwar immer, unbesehen des Standes oder des Ansehens der Person, die sie begangen hat, selbst ein Mitglied der thainanischen Familie würde dem nicht entgehen. Nur wenn das Opfer selbst um Gnade bittet für den Verurteilten, entgeht er seinem Tod, hier war es nicht zu erwarten. Der Verurteilte ist ein Kommandierender der Reiterei, er bittet um die Gnade des Thain, sie wird nicht gewährt. Tenaros Vater ist ein guter Thain, ein gerechter Thain, sein Gattinbruder, Mar’thain Kastir von Beth’nindra hält ihm oft vor, dass er zu nachsichtig ist mit seinen Untertanen, aber es gibt Dinge, bei denen auch er keine Nachsicht kennt. Jeder Mann in seiner Armee kennt die Strafen für die beiden Vergehen, wer sich nicht an die Gesetze des Thain hält, trägt die Folgen. Und kann nicht mit seiner Gnade rechnen. Das ist etwas, das Tenaro noch lernen muss, hart zu sein gegen die, die es nicht besser verdient haben. Der Thain wird einen Teil seiner Armee zurücklassen als Besatzungsarmee, wenn er der Nun’thain von Narn’kalar ist, wird er die Urteile fällen. Dann wird er lernen müssen, sein Herz zu verhärten gegen das Entsetzen in den Augen der Verurteilten, wenn ihrem Ersuchen um Gnade nicht nachgegeben wird. Es ist ein hartes Gesetz, aber es ist das Gesetz des Thain, und es wird durchgesetzt.
Aber noch ist es nicht soweit, erst muss er sich an etwas anderes gewöhnen. Er ist jetzt nicht nur eine Hoheit, sondern auch eine Exzellenz, und er droht es Metú an, als der ihn grinsend das dritte Mal so anspricht, noch einmal, dann haue ich dir meine goldene Hand auf den Kopf, und die ist massiv am Gelenk, es wird wehtun. Der grinst nur noch breiter, dir mehr als mir, und jetzt komm, Exzellenz, dein Vater erwartet dich zum Essen. Mit dem ehemaligen Fürsten, dann wird er wieder jammern und heulen, wie schlecht er doch behandelt wird. Vielleicht solltest du ihm deine goldene Hand auf den Kopf schlagen, schließlich war es sein Heermeister, der dir das angetan hat. Und es wird ihn vielleicht zum Schweigen bringen, ist ja nicht auszuhalten, das Gegreine. Und eines Fürsten nicht würdig.
Der Thain hat das Haus des Fürsten requiriert, es wird Residenz und Amtssitz des Nun’thain werden. Hier wird Tenaro wohnen, von hier aus wird er die Provinz regieren und versuchen, die Wunden zu heilen, die Geltungssucht und Unvernunft seines Herrschers dem Land geschlagen haben. Er und seine Familie sind umquartiert worden in das Dienstbotenhaus, sie sind eingeladen, am Tisch des Thain zu speisen, sie haben es abgelehnt. Nur der Fürst nimmt die Einladung gelegentlich an, aber nur, um sich zu beschweren über die Behandlung, die ihm und seiner Familie zu Teil wird. Dass er nicht zugelassen ist bei den Besprechungen des Thain, bei denen über die Zukunft seines Reiches entschieden wird, dass die Fürstin nicht mehr zweimal am Tag baden kann in dem goldenen Trog im Badehaus, dass der Prinz nicht mehr ausreiten und dabei seinen Reitknecht mit der Reitgerte verprügeln darf, dass die Prinzessinnen den Abtritt mit den kupferbeschlagenen Sitzen nicht mehr aufsuchen dürfen, sie müssen jetzt Nachttöpfe unter ihren Betten benutzen, und die stinken. Seine Älteste weint, weil sie die Bücher im Schreibzimmer nicht mehr lesen darf, das Morgenmahl wird ihnen nicht mehr an ihre Betten gebracht wie sie es gewohnt sind. Gedanken über das Wohlergehen der Bewohner seines Landes macht er sich nicht.
Die Familie des Fürsten wird nicht mehr bedient, sie wird bewacht, und ihnen ist nicht erlaubt, ihre Räume zu verlassen. Sie verweigern dem Thain die Ehrerbietung, die ihm zusteht, die Fürstin will nichts zu tun haben mit dem Mann, der plötzlich unter der Tür der großen Halle gestanden hat, mit einem blutigen Verband um den unteren Arm, und erklärt, ein gemütliches Zuhause, aber es ist jetzt nicht mehr ihr Zuhause. Die ältere Prinzessin jammert nach ihren Büchern, die jüngere nach ihrer Zofe, und der Prinz fürchtet sich vor dem Mann mit dem grimmigen Gesicht und den blau schimmernden Klingen, der immer einen Schritt hinter dem Thain steht. Sie haben ihn unter seinem Bett versteckt gefunden, als sie das Haus durchsucht haben, an einem Fuß darunter hervorgezogen, er hat geschrien, als ob er am Spieß steckt. Vor Angst in die Hose gemacht, er hat sich gebärdet, als ob es ihm ans Leben geht. Die Männer des Thain haben sich angesehen und mit dem Kopf geschüttelt, sie können verstehen, dass er Angst hat. Aber er ist der Sohn eines Fürsten, und er ist schon vierzehn, er sollte gelernt haben, sich würdevoller zu betragen. Selbst der jüngste Prinz von Beth’anu würde sich nicht so aufführen, und der ist erst sechs.
Aber auch Tenaro benimmt sich wenig würdevoll, als er die große Halle betritt, er grinst und verdreht die Augen, als ihn der Haushofmeister ankündigt. Seine Hoheit Exzellenz Tenaro ab‘Daikim, Sa’Rimar von Beth’anu, Nun’thain von Narn’kalar. Na das kann ja lustig werden, wenn das bei jeder Mahlzeit so ist, ist er schon verhungert, ehe er sich zu ihr an den Tisch setzt. Und auch sein Vater grinst ihm entgegen, dieser Mann benimmt sich majestätischer als seine Majestät der Thain. Sie umarmen sich zur Begrüßung, und dann prusten sie laut los, sie haben sich an etwas erinnert, das die Thaini einmal einer neuen, sehr von sich eingenommenen Hoffrau der Mar’thaini von Beth’nindra geantwortet hat, als die sie gefragt hat, ob sie ihren Mann stets mit Majestät anredet. Nein, so redet sie ihn nur an, wenn er in ihrem Bett liegt, sonst nennt sie ihn schlicht Deramo. Es ist ihr zu aufwändig, ihn immer mit Seine Majestät Deramo ab’Daikim, Thain von Beth’anu anzureden, bis sie damit fertig ist, hat sie schon wieder vergessen, was sie ihn fragen wollte. Der Thain und der Mar’thain haben Tränen gelacht, die Mar’thaini Schluckauf bekommen vom Kichern, die Thaini sanft gelächelt. Die Hoffrau ist sehr rot und sehr verlegen geworden, sie hat sich hicks zurückziehen hicks dürfen, und nachts in ihrem großen Himmelbett hat der Thain wieder gelacht, als seine Frau den Teil von ihm, auf dem ihre Hand gelegen hat, Majestät genannt hat, dann hat er sie zärtlich geküsst und mit ihr ihren jüngsten Sohn gezeugt. Versehentlich, seine Majestät hat ein wenig die Beherrschung verloren, der Arzt der Thaini war nicht begeistert. Sie ist schon fünfunddreißig, das ist kein Alter mehr zum Kinderkriegen. Er ist gesund und munter auf die Welt gekommen, aber Majestät haben sie ihn nicht genannt, das führt nur zu Verwechslungen. Er heißt Danuro nach seinem Ahnvater.
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