Tenaro ist der Sohn seines Vaters. Er hat viel von ihm, er sieht ihm sehr ähnlich, er hat sein freundliches Wesen und seine verbindliche Art geerbt, auch seine Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen, hat er von ihm. Er ist wie er ein geborener Anführer, aber er hat auch seine Härte geerbt. Sie zeigt sich, als sie dem Haus des Heermeisters einen Besuch abstatten. Es ist kein Höflichkeitsbesuch, es ist der Anfang vom Ende des Hauses eines grausamen Mannes.
Er reitet unter der Standarte des Nun’thain, das gelbrote Banner von Beth’anu mit einer liegenden goldenen Lanze anstelle des Siegels, die Bänder ein dunkles Violett, die Landesfarbe von Narn’kalar. Er hat sich grüne Bänder gewünscht, jadingrün wie die Augen seines An’tla, aber es ist schon vergeben. Es ist die Farbe der Provinz im Süden des Landes, Beth’terla, das grüne Land, auf deren endlosen Weiden die Herden gehalten werden, die das Thainan versorgen mit Fleisch, Leder, Käse und Wolle. Blau wie die Farbe des Kleides, das sie getragen hat, als sie ihn in der Nacht befreit hat, gehört zu Beth’kalar, es steht für das Wasser, an dem es liegt. Rot ist die Farbe des Thain, nur er, seine Familie und ihre Garden reiten unter dieser Farbe, die Provinz Beth’ab’Thain, in der sich die Feste und die Ländereien des Thain befinden, beansprucht Gold für sich. Das Land im Norden, Beth’draket, das geteilte Land, das zu einem Teil aus Wüste besteht, zeigt gelbbraun, ein silbriges Grau und Kupfer sind die Farben der beiden Bergprovinzen, Drat’irrim und Anu’betain, sie stehen für die Erze und Metalle, die dort geschürft werden, Silber im Norden, Kupfer im Süden. Es sind nicht mehr viele Farben übrig, schwarz ist die Farbe der Trauer, es wäre angemessen gewesen bei dem Zustand, in dem das Land sich befindet, aber Tenaro hofft, das bald zu ändern. Weiß ist die Farbe Melaks, seine Statue in seiner Halle und seine Altäre sind weiß. Er hat dieses dunkle Violett einmal gesehen an einem Kleid seiner Mutter, es ist eine Farbe, die sich nicht entscheiden kann. Dunkel, fast schwarz in der Nacht und der Dämmerung, strahlend violett im hellen Sonnenlicht. So wie die Provinz, deren Nun’thain er jetzt ist, dunkel, als es noch Beth’narn gewesen ist, strahlend, wenn es sich verwandelt in Narn’kalar.
Es ist das strahlende Violett, das der Heermeister erblickt, als der Reitertrupp vor seinem Tor haltmacht. Und er erkennt auch den dunkelhäutigen Mann, der neben dem Nun’thain reitet, der Diener eines Früchtehändlers, der früher oft in seinem Haus zu Gast gewesen ist und einmal nach dem Verbleib seines Schwesterkindes gefragt hat. Jetzt reitet er neben dem Mann, von dessen Wohlwollen die Zukunft, das Wohl und Wehe des Landes abhängig sind, dem er vierzig Jahre lang treu gedient hat. Zu erkennen an der Brosche, mit der sein Umhang auf seiner rechten Schulter befestigt ist. Ein ovaler Ring um drei Sterne, er hat dieses Siegel schon einmal gesehen. Ohne die liegende goldene Lanze darunter, damals ist es von Buchstaben umgeben gewesen. Den jungen Mann erkennt er nicht, Tenaro hat sich verändert seit damals. Er ist erst achtzehn gewesen, als er den Hof das letzte Mal betreten hat, noch sehr jung. Noch unfertig, sein Körper der eines jungen Mannes, nicht der des Reiters und Schwertkämpfers. Sein Gesicht ist glatt und rund gewesen, es hat noch nicht die kantige Kinnlinie der ab‘Daikim gezeigt wie heute. Die Narben in der Augenbraue und auf seiner Wange sind kaum zu sehen, nur helle Striche im Bronzeton seiner Haut, er ist dunkler geworden, er hat sich viel im Freien aufgehalten. Der erlittene Schmerz und die lange Krankheit haben Furchen gegraben in seine Haut, neben seinem Mund, neben seinen Augen, ihre Farbe ist noch die, die sie damals gezeigt haben. Tiefbraun, mit kleinen goldenen Funken darin, Mirini wird ihn erkennen daran. Nein, der Heermeister erkennt in ihm nicht mehr den jungen Kurier des Thain mit dem blauen Siegel auf dem rechten Schulterblatt. Und er hat mit zusammengebissenen Zähnen vor dem Fürsten gestanden, als der ihm ins Gesicht gebrüllt hat, wen er da in seiner Gewalt gehabt und hat entkommen lassen. Tenaro ab‘Daikim, der Sa’Rimar von Beth’anu. Der heute der Nun’thain von Narn’kalar ist, und der Mann, der über das Schicksal seines Hauses entscheidet.
Als Sa’Rimar hat Tenaro eine Leibgarde von zwanzig Männern gehabt, als Nun’thain reitet er unter dem Schutz einer halben Hundertschaft. Sie passen nicht alle auf den Hof, er ist sowieso schon fast überfüllt, er lässt sie mit dem Standartenträger auf der Straße zurück. Er verharrt einen Moment vor dem Tor, bevor er hineinreitet, da auf der rechten Seite hat sie gestanden. Auf das Pferd gestarrt, über dessen Sattel ein verhüllter Leichnam gelegen hat, und ein toter Hund. Sie hat erkannt, wer dort liegt, er hat die Trauer gesehen in ihren Augen. Er hat sich gefragt, ob er ihr Liebster war, aber hätte sie ihm geholfen, wenn es so gewesen wäre? Er hat das Gelb und Rot des Feindes getragen, aber etwas muss ihr der Tote bedeutet haben, er hat es an ihren Augen gesehen und ihre Traurigkeit gespürt.
Der Thain hat den Heermeister mit seinen Männern und seiner Familie in seinem Haus festsetzen lassen, sie werden bewacht von fünfzig Soldaten, und er hat die Träger der Draq’ir’lai angewiesen, die Hunde, die bei ihnen sind, ohne Zögern zu erschießen, wenn sie Anstalten machen, sie anzugreifen. Tenaro hat es ihm erzählt auf seinem Krankenbett, der Hund, der seine Hand zermalmt hat, hat nicht auf einen Befehl seines Herrn hin gehandelt. Er hatte sein Schwert kaum gezogen, es nicht mehr senken können zum Zeichen seiner Kapitulation, da hat er schon den Biss gespürt. Sie handeln nach eigenem Gutdünken, der Thain hat den Kommandierenden der Wachmannschaft angewiesen, darauf zu achten, dass sie es im Haus des Heermeisters nicht tun.
Tenaro hat einen Kurier vorausgeschickt, der sein Kommen angekündigt hat, der wachhabende Kommandierende hat den Heermeister und seine Männer im Hof Aufstellung nehmen lassen. Er selbst, schon älter, aber immer noch ein massiger Mann, grauhaariger, als Tenaro ihn in Erinnerung hat. Der älteste Sohn, sein Stellvertreter, mit einem grausamen Zug um den Mund, er steht starr, ganz Ablehnung, er kann sich nicht abfinden mit dem, was geschehen ist. Noch zwei Söhne, und zwei Männer, an die Tenaro sich nicht erinnert. Die Hände vor ihnen mit Handeisen und Ketten gefesselt, aber sie knien nicht, sie stehen aufrecht, sie verweigern Tenaro die Ehrerbietung, die ihm zusteht. Der Wachhabende brüllt einen Befehl, die Schäfte der Lanzen, die die Soldaten hinter ihnen tragen, sind hart, sie zwingen sie auf die Knie. Aber ihre Köpfe senken sich nicht. Tenaro nimmt es scheinbar gelassen zur Kenntnis, aber Metú erkennt an dem Ausdruck in seinen Augen, was er davon hält, er lenkt sein Pferd vorsichtshalber einen Schritt näher zu ihm, aber er hat sich in der Gewalt. Nur die Anspannung seines Kinns und seiner rechten Hand, die sich um das Schwertheft krampft, lassen erkennen, was ihn bewegt in diesem Moment. Seine linke steckt in einem ledernen Reithandschuh, sie hält die Zügel. Tenaro lässt seinen Blick über den Hof schweifen, er erkennt ihn wieder. Die Pforte in der Mauer, hinter der eine Koppel liegt, auf der eine kleine Stute aus Beth‘nindra gestanden hat. Sandfarben, mit dunkler Mähne und Schweif, ohne Sattel, nur mit Zaumzeug und Zügel. Er hört immer noch ihr leises Wispern. „Kannst du so reiten mit einer Hand?“ Er hat es nicht gekonnt, aber er hat es getan. Metú hat ihm erzählt, dass ein Stallknecht sie am langen Zügel in die Wüste gebracht und dort zurückgelassen hat, als Ablenkungsmanöver, sie haben gehofft, dass der Stallmeister sie findet und annimmt, dass er sich verirrt hat und in der Wüste verdurstet ist. Er hat sie tot gefunden, es hat einen Hund das Leben gekostet, weil er der Spur der Stute gefolgt ist. Er ist nicht darauf hereingefallen.
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